Ostap Okhrin ist 26 und seit drei Jahren Juniorprofessor für Statistik in Berlin. Seine Studenten hat er im Griff. Doch nach jeder Vorlesung fühlt er sich “halbtot“.

Um kurz vor acht eilt Ostap Okhrin die Treppe hoch in den zweiten Stock. Schritte und Stimmen hallen unter den hohen Decken des Gebäudes der Berliner Humboldt Universität (HU). Einige Studenten warten bereits vor dem Vorlesungssaal. „Every second row, every third place, aligned in lines!“, ruft Okhrin. Und weist die Studierenden an, wohin sie sich setzen sollen. Heute ist das Semester zu Ende. Klausur. Die Vorlesung um die es geht heißt Multivariate Statistical Analysis, also Statistik, Okhrins Spezialgebiet.

Er ist Juniorprofessor an der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät und gerade mal 26 Jahre alt. Wenn er mit einem Overhead-Projektor die Examens-Regeln an die Wand wirft und die Identität der 26 Studierenden im Raum kontrolliert, wenn er sich beinahe väterlich zu seinen Studenten hinunterbeugt, um eine Frage zu beantworten, ist es eine seltsame Vorstellung. So mancher Master-Student in diesem Kurs ist älter als Ostap Okhrin. Als er vor drei Jahren die Stelle als Juniorprofessor an der HU bekam, war er 23 Jahre und der jüngste Professor Deutschlands. Okhrin selber scheint das große Interesse an seiner Person nicht viel auszumachen. Angenehm ist es ihm nicht, vielleicht eher ein wenig lästig, dazu die immergleichen Fragen der Journalisten.

Aufgewachsen ist er in der Ukraine, in der Stadt Lemberg. Dort hat er ein Mathe-Studium begonnen. Nach dem Bachelor-Abschluss folgte ein Master in Statistik: Summa cum laude. Seine Doktorarbeit schrieb er an der Europa Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder. Abschlussnote: Summa cum laude. Direkt danach: die Juniorprofessur in Berlin.

Seine Frau Irena ist Juniorprofessorin an der wirtschaftwissenschaftlichen Fakultät in Frankfurt/Oder, im Bereich Information and Operations Management. Manchmal streiten sie über Mathematik, erzählt Ostap Okhrin. „Naja, das ist doch klar. Sie hatte dort Statistik, ich hatte andere Statistikkurse und dann streiten wir eben über die unterschiedliche Herangehensweisen.“

Professorales Gehabe fehlt ihm. In Jeans, olivfarbener Sweatshirt-Jacke, mit seinem Dreitagebart und den Haaren, die den Widerstand gegen das Ende der letzten Nacht noch nicht aufgegeben haben, ist er den Studenten – was das Aussehen anbelangt – sehr nah. Sein Auftreten allerdings ist alles andere als studentisch. Seine Ansagen sind klar, aber freundlich.

Die Studenten in diesem Kurs seien gut gewesen, sagt er. Es habe Spaß gemacht, weil sie interessiert gewesen seien und sich am Unterricht beteiligt hätten, erklärt Okhrin.

Aber wenn Ostap Okhrin sich zwischen Forschung und Lehre entscheiden müsste, würde seine Wahl auf Ersteres fallen. „Es sieht so einfach aus, werden die meisten denken. Er steht da und redet ein bisschen und hat dazu auch noch seine Folien. Aber in Wirklichkeit ist es sehr anstrengend. Am Ende einer Vorlesung gehe ich oft nass geschwitzt und halb tot aus dem Raum.“ Überhaupt müsse er mehr Papers schreiben, damit sein nächstes Ziel möglichst bald Wirklichkeit wird: eine ordentliche Professur.

Schon als Kind wurde sein Interesse für technische und mathematische Zusammenhänge geweckt. „Mein Vater ist Physiker“, erzählt er, „deshalb hat er mir und meinem Bruder immer mathematische und physikalische Fragen gestellt. Wir haben Maschinen, Geräte und Lampen gebaut, haben versucht, mit Wasser Strom zu erzeugen.“ Auch der sechs Jahre ältere Bruder ist Professor für Statistik, an der Uni Augsburg hat er eine W-3 Professur.

Dieses Ziel steht für Ostap Okhrin noch aus. Die Chancen, dass er es erreicht, bevor er 30 wird, sind nicht schlecht. Früher wollte Okhrin Regisseur werden. Die Faszination für Filme ist geblieben, auch wenn er kaum Zeit fürs Kino hat. Auf die Frage, wann er seinen Wunsch für Mathe, Statistik und Wirtschaftswissenschaften an den Nagel gehängt hat, sagt er: „Das kann man so nicht sagen. Ich sterbe ja noch nicht. Aber auf Platz eins stehen die Wissenschaften.“

Es ist 9.17 Uhr. In einer halben Stunde muss Ostap Okhrin die Klausuren einsammeln.

Quelle: Welt Online