Die gewaltsamen Proteste in Libyen haben den Ölpreis über 100 Dollar katapultiert. Experten befürchten einen Flächenbrand in den Öl-Staaten.
Der Aufstand in Libyen hat in der Wirtschaft und an den Aktienmärkten Zweifel an der zukünftigen Sicherheit der Ölversorgung ausgelöst. Marktbeobachter fragen sich bereits, ob der Funke der arabischen Revolutionen jetzt auch noch auf den wichtigsten Ölexporteur Saudi-Arabien überspringen könnte. „Die Situation ist chaotisch und es gibt die akute Sorge, dass die Ölexporte aus Libyen unterbrochen werden“, sagte Tony Nunan, ein Risiko-Manager des japanischen Mitsubishi-Konzerns: „Die eigentliche Frage ist, ob der Funke nach Saudi-Arabien überspringt.“
Andere Analysten schlossen nicht aus, dass sich der Ölpreis innerhalb kürzester Zeit noch um mehr als zehn Dollar pro Barrel (Fass mit 159 Litern) verteuern könnte. Für die deutschen Autofahrer dürften sich die unmittelbaren Auswirkungen aber vorerst in Grenzen halten: Da die eigentlichen Rohölpreise nur einen geringen Anteil am Benzinpreis an der Zapfsäule haben, ist nicht damit zu rechnen, dass die steigenden Notierungen eins zu eins durchschlagen.
Deutsche Energiekonzerne sind von den Unruhen in Libyen unmittelbar betroffen. Die BASF gehörte zu Wochenbeginn zu den größten Verlierern an der Frankfurter Börse. Die BASF-Papiere gaben um gut zwei Prozent auf 60,31 nach. Kein Wunder: Die BASF-Konzerntochter Wintershall besitzt in Libyen acht Ölfelder, die ihre Produktion wegen der Aufstände bereits drosseln mussten. BASF benötigt das Öl auch zur Herstellung von Kunststoffen und Chemikalien. Die Konzerntochter Wintershall produziert in Libyen pro Tag bis zu 100.000 Barrel Öl. Jetzt fliegt Wintershall ihre rund 100 ausländischen Mitarbeiter und deren Angehörige aus, wie ein Sprecher sagte. Es bleibe nur eine Kernmannschaft am Ort.
Auch die für Öl- und Gasförderung zuständige RWE-Tochter DEA flog nach eigenen Angaben den Großteil ihrer 100 Mitarbeiter aus dem Lande aus, nur ein Kernteam verbleibe im Land. Ebenso erklärten andere europäische Energiekonzerne wie etwa die italienische Eni und die OMV aus Österreich, dass ihre Mitarbeiter ausgeflogen werden. Angesichts dieser Entwicklungen stieg der Preis für ein Barrel der Nordsee-Ölsorte Brent auf ein Zweieinhalb-Jahres-Hoch von 104,60 Dollar.
Unmittelbarer Grund war, dass ein einflussreicher Stammesführer damit gedroht hatte, die Öllieferungen in den Westen binnen 24 Stunden einzustellen, falls die Gewalt gegen die Aufständischen nicht aufhört. Wegen der negativen Auswirkungen eines Ölpreisanstiegs auf die Weltwirtschaft flüchteten die Anleger unterdessen erneut stärker in Anlagewerte wie Gold. Die Feinunze verteuerte sich in diesem Monat bereits um rund 70 US-Dollar auf knapp 1400 Dollar. Die EU-Kommission versuchte unterdessen, die Märkten zu beruhigen: Die Unruhen in Libyen stellten kein Problem für die Ölversorgung Europas dar, verlautete aus Brüssel.
„Falls die Öllieferungen von Libyen in die EU unterbrochen würden, hätte dies nur kurzfristige, aber keine andauernden oder bedeutenden Auswirkungen auf die Versorgungsbilanz“, erklärte EU-Energiekommissar Günther Oettinger. Ein Engpass könnte von Lieferländern wie Saudi Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten oder Katar ausgeglichen werden. Bei Lieferunterbrechungen werde die EU handeln.
Die 27 EU-Mitgliedsstaaten haben derzeit 138,7 Megatonnen Rohöl und Ölprodukte gelagert – dies entspreche dem Verbrauch von 120 Tagen. Die Lagerbestände seien doppelt so hoch wie der jährliche Ölimport aus Libyen in die EU. Im Jahr 2009 hat die EU 60,2 Megatonnen Rohöl von Libyen importiert, das entsprach nur einem Zehntel der gesamten Öleinfuhren.