die Regierung lehnt den Einsatz von Soldaten ab. So müssen die Schiffseigner auf privaten Wachschutz zurückgreifen, der aber kostet.
Vor wenigen Tagen erst haben Piraten vor Somalia wieder fette Beute gemacht: den Supertanker „Irene SL“ der griechischen Reederei Enesel mit 270.265 Tonnen Öl an Bord. Bei einem Barrel-Preis von 87 Dollar ist das ein Wert von rund 113 Millionen Euro. Zusammen mit den 25 Seeleuten dürfte das ein hohes Lösegeld einbringen. Denn allein für sie liegt der Kurs aktuell bei einer Million Dollar pro Besatzungsmitglied, wie einer verrät, der bei solchen Verhandlungen schon dabei war.
Mehr Glück hatten zuletzt 27 Seefahrer an Bord der „New York Star“. Ein niederländisches Kriegsschiff konnte den Angriff auf das Tankschiff der Hamburger Reederei Chemikalien Seetransport abwehren. Piraten hatten den Tanker in einem Schnellboot verfolgt und mit Panzerfäusten beschossen. Die Seeleute flohen in den gepanzerten Schutzraum unter Deck. Doch dann kam die Fregatte „De Ruyter“ zu Hilfe.
Solche Nachrichten gibt es täglich, und es werden immer mehr. Nach Angaben der zuständigen EU-Organisation NAVFOR befinden sich derzeit 25 Schiffe mit 587 Geiseln in der Hand somalischer Piraten. In den vergangen drei Jahren waren zu jeder Zeit mehr als 400 Seeleute in ihrer Gewalt. Insgesamt mussten mehr als 2600 Besatzungsmitglieder Geiselnahmen ertragen – darunter viele Deutsche. Denn nach Aussage des Verbandes Deutscher Reeder sind deutsche Schiffe bei den Piraten vor Somalia derzeit am beliebtesten: Ihre Eigner gelten als besonders zahlungswillig. „Wir sind mit unseren Möglichkeiten der passiven Sicherheitsmaßnahmen am Ende. Wir brauchen hoheitliche Kräfte der Bundesmarine oder der Bundespolizei an Bord, die die Schiffe vor Piratenangriffen schützen“, sagt Ralf Nagel, Hauptgeschäftsführer des Verbandes Deutscher Reeder, „Welt Online“.
Doch darüber ist nun ein heftiger Streit mit dem Maritimen Koordinator der Bundesregierung, Hans-Joachim Otto, entbrannt. Die Reeder werfen ihm vor, sich nicht genügend für ihre Belange einzusetzen. In einem Brief, der „WeltOnline“ vorliegt, nehmen sie den Maßnahmenkatalog des Koordinators zur Piratenabwehr gehörig auseinander.
„Koordinator Otto fragt dort nur Fakten ab, die allesamt längst bekannt sind. An Ergebnissen und echter Hilfe für die Reeder ist er anscheinend nicht interessiert“, sagt VDR-Lobbyist Nagel. Den Reedereien bleibe jetzt nichts anderes übrig, als sich selbst zu helfen: „Wer die Schiffspassage durch den Suez-Kanal vermeiden kann, wird Afrika umfahren. Wer das nicht kann, wird gegebenenfalls zivile Sicherheitskräfte an Bord einsetzen.“ Zwar akzeptiere die deutsche Schifffahrt das Gewaltmonopol des Staates, doch hätten die Unternehmen keine andere Wahl mehr.
Zivile Sicherheitsfirmen wie Xe Services, die früher Blackwater hieß, sind weltweit auf Auftragssuche und bieten den Reedern Geleitschutz an. Kosten dafür: ab 10.000 Dollar pro Tag. Neben kleineren Reedereien wie Komrowski soll auch die größte deutsche Containerlinie, Hapag-Lloyd, im Indischen Ozean über Sicherheitskräfte verfügen. Kapitäne anderer Reedereien berichten darüber, bestätigt wird es aber nicht. „Wir machen keine Aussagen zu unseren Sicherheitsvorkehrungen“, sagt ein Sprecher lediglich. Bei der Nummer zwei in Deutschland, Hamburg Süd, sagt eine Sprecherin: „Bei uns sind keine privaten Sicherheitskräfte an Bord. Jedoch fahren unsere Frachtschiffe für Massengüter den Umweg um Südafrika herum.“
„Es ist überhaupt nicht möglich, auf jedem Handelschiff eines deutschen Reeders eine Gruppe von vielleicht zehn Marinesoldaten mitfahren zu lassen. Für solch eine Aufgabe wäre eine vierstellige Zahl an Soldaten notwendig. Das ginge dann schon in Dimensionen der laufenden Kosovo- und Afghanistan-Einsätze“, sagt der Maritime Koordinator Otto „Welt Online“. Neben allen rechtlichen Fragen etwa zum Flaggenstaat der Schiffe, die dabei zu klären seien, sei ein solcher flächendeckender Einsatz für den Bund schlichtweg logistisch und personell nicht zu leisten. „Deutschland kann zudem keinen nationalen Alleingang antreten. Nur im Verbund mit der internationalen Staatengemeinschaft etwa unter dem Dach der Vereinten Nationen kann das Piraterieproblem nachhaltig bekämpft werden“, sagt Otto.
Das gelte zuallererst für jede Ausweitung der militärischen Präsenz. Koordinator Otto rät den Unternehmen, die Schiffspassage durch den Suez-Kanal zu meiden und die Schiffe rund um Afrika fahren zu lassen. Dies bedeutet jedoch nach Berechnungen der Reeder einen Mehraufwand je Passage von bis zu einer Million Euro.
Den Reedern ist klar, dass für einen groß angelegten Einsatz der Bundesmarine erst die politischen und organisatorischen Voraussetzungen geschaffen werden müssen. So müsste das Bundestagsmandat für die „Mission Atalanta“, den derzeitigen Militäreinsatz vor Ort, geändert werden, damit bewaffnete Kräfte an Bord zugelassen sind. „Wir werden versuchen, die Parlamentarier von der Notwendigkeit zu überzeugen und hoffen auf die nächste Abstimmung“, sagt VDR-Chef Nagel. Das wird aber erst im Dezember der Fall sein, denn erst dann steht im Bundestag die Verlängerung des Mandats an.
Bis dahin wollen die Reeder eine Organisation im Indischen Ozean geschaffen haben: So genannte Plattformschiffe sollen Soldaten oder Bundespolizisten aufnehmen und zu den Frachtschiffen bringen können, die dann in den gefährdeten Regionen begleitet werden. Eine Beteiligung an den Kosten bietet der VDR an. „Es muss der Exportnation Deutschland gelingen, die eigene Handelsschifffahrt so zu schützen, wie es andere Nationen machen“, fordert Lobbyist Nagel. So schickten Frankreich, die Niederlande oder Japan schon heute Soldaten an Bord.
Doch das will der Koordinator nicht als alleiniges Mittel gelten lassen. „Ich hoffe, dass sich der Reederverband trotz der bereits ergriffenen Dinge die von mir vorgeschlagenen Maßnahmen etwa zur passiven Sicherheit zielgerichteter anschaut. Fakt ist, dass von jedem Beteiligten noch etwas getan werden kann“, sagt Otto, der zugleich Staatssekretär im Wirtschaftsministerium ist. Zudem entfalte der militärische Einsatz etwa der Mission Atalanta Wirkung. „Das zeigt die Quote der erfolgreichen Piratenüberfälle: Sie ist von 40 Prozent auf 20 Prozent gesunken“, sagt Otto. Zwar gebe es mehr Überfälle, dabei gelinge es den Piraten jedoch seltener als früher, die Schiffe auch tatsächlich zu kapern. Und noch einen Tipp hat der Koordinator für die Reeder: „Einige von ihnen könnten noch mehr in die technische Ausstattung der Schutzvorrichtungen oder auch in die personelle Besetzung ihrer Schiffe investieren.“