Branchen wie Pflege, IT oder Medizintechnik finden kaum Personal - obwohl 70.500 Hamburger arbeitslos sind. Auch die Otto-Gruppe sucht.
Hamburg. Am Image als Arbeitgeber kann es nicht liegen, dass die Hamburger Otto-Gruppe ihre offenen Stellen nur schwer besetzen kann. Erst gestern wurde der zweitgrößte Versandhändler der Welt von einem Fachmagazin erneut als bester Arbeitgeber der deutschen Textilbranche ausgezeichnet. Und trotzdem: Allein in Deutschland sucht Otto fast 100 Fachkräfte für IT und E-Commerce . "Im Schnitt dauert es rund acht Wochen, bis wir eine Stelle neu besetzen" , sagte Otto-Personaldirektor Michael A. Picard dem Abendblatt. "Leute mit Spezialkenntnissen sind heiß begehrt."
Das zeigt sich auch an der aktuellen Arbeitsmarktstatistik. Im Oktober fiel die Zahl der Erwerbslosen auf 2,945 Millionen - und damit auf den tiefsten Stand seit 1992. In Hamburg wirkte der Aufschwung noch stärker als im Bund: 70 546 Menschen waren arbeitslos gemeldet, neun Prozent weniger als im Vorjahresmonat. Bei jenen, die weniger als ein Jahr arbeitslos waren und meist gut ausgebildet sind, sanken die Zahlen sogar um 14 Prozent auf 20 970. Die Schere zwischen gut und schlecht Qualifizierten öffnet sich demnach immer stärker: Mehr als zwei Drittel der Hamburger ohne Job sind Langzeitarbeitslose, die oft kein Deutsch sprechen oder keinen Schulabschluss haben. "Ob die Zahlen weiter sinken, hängt davon ab, ob das Problem dieser strukturellen Arbeitslosigkeit bekämpft werden kann", sagt Rolf Steil, Chef der Hamburger Agentur für Arbeit.
Demografischer und technologischer Wandel erschweren Personalsuche
Für Hamburger Firmen ist der Kampf gegen den Fachkräftemangel das größte Problem. Bei der Agentur für Arbeit waren im Oktober 14 907 offene Stellen gemeldet - rund 1000 mehr als im Vorjahresmonat. "Je besser die Konjunktur läuft, umso schwerer wird es, Stellen zu besetzen", sagt Peter Haas vom Arbeitgeberverband Nordmetall. "Beim Unterschreiten der Drei-Millionen-Marke werden viele Arbeitslose nur noch schwer vermittelbar sein, daher gibt es offene Stellen trotz der Arbeitslosigkeit." Gezielt gesuchte Qualifikationen seien in der Region oft nicht mehr vorhanden.
Probleme bei der Personalsuche bereiten den Firmen neben der rasanten technologischen und demografischen Entwicklung auch die Folgen des Aufschwungs. Denn auch Fachkräfte für einfachere Jobs sind rar: So sucht die Hamburger Hochbahn derzeit händeringend 100 Busfahrer. "Es wird schwieriger, Personal zu bekommen, wenn die Qualitätsansprüche erhalten werden sollen", sagt Hochbahn-Sprecher Christoph Kreienbaum. Oliver Lehmann, Chef der Harburger Logistikfirma Süderelbe Logistik, ist "mühsam" auf der Suche nach Lkw-Fahrern: "Wir kriegen zwar viele Bewerbungen, die Leute sind aber oft nicht geeignet", sagt Lehmann. Zwar hat er in diesem Jahr schon 60 Mitarbeiter eingestellt, diverse Stellen sind aber noch offen.
Auch Ingenieure, IT-Fachleute und Naturwissenschaftler waren nie gefragter. In der Boombranche Medizintechnik und Biotechnologie sind dem Branchenbetreuer Norgenta zufolge Hunderte Stellen in Hamburg offen. "Es gibt fast einen Notstand bei Hochqualifizierten", sagt Sprecherin Ina Akkerman. Die Firmen müssen hohen Aufwand für die Personalsuche betreiben." Norgenta erarbeitet deshalb gerade gemeinsam mit den rund 500 Firmen eine Strategie, um Arbeitskräfte anzulocken.
Ebenso schwierig ist die Suche nach IT-Fachleuten. "Der Arbeitsmarkt ist leer gefegt", sagt Dierk Ladendorff, Personalexperte vom IT-Branchennetzwerk Hamburg@work. "Die Firmen werben sich die Leute schon gegenseitig ab." Besonders gefragt seien Spezialisten für E-Commerce, Socialmedia oder Programmierer. Das Problem: Technologische Entwicklungen wie soziale Netzwerke oder Tablet-Computer wie das iPad sind so neu, dass es kaum Experten dafür gibt. "Einiges wird zwar schon an Hochschulen unterrichtet, der Ausbildungsbedarf ist aber gigantisch", sagt Otto-Personaldirektor Picard.
In der Pflegebranche macht sich die demografische Entwicklung doppelt bemerkbar: Es rücken nicht nur weniger junge Leute ins Arbeitsleben nach, es müssen auch immer mehr Ältere versorgt werden. Das bekommt Frank Westermann durch das permanente Telefonklingeln in seiner Zeitarbeitsagentur für Pflegepersonal zu spüren. "Ich bekomme mehr Anfragen von Krankenhäusern und Pflegeheimen, als ich bedienen kann", sagt Westermann. Denn: Auch er nimmt lieber ausgebildetes Fachpersonal unter Vertrag, weniger qualifizierte Pflegehelfer seien kaum mehr gefragt. "Die Anforderungen im Job werden auch in der Pflegebranche immer anspruchsvoller."