Herbstgutachten sagt für dieses Jahr 3,5 Prozent Wachstum voraus und zwei Prozent für 2011. Gewerkschaften und SPD fordern höhere Löhne
Hamburg. Die deutsche Wirtschaft hat die globale Krise überstanden und steht in einem stabilen Aufschwung. Das traditionelle Herbstgutachten der führenden deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute prognostiziert für dieses Jahr ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) gegenüber 2009 von 3,5 Prozent. Im kommenden Jahr werde die Wirtschaft um voraussichtlich zwei Prozent wachsen.
"Die deutsche Wirtschaft ist auf gutem Weg, den krisenbedingten Produktionseinbruch wettzumachen", heißt es in der gestern veröffentlichten Studie. Nach Einschätzung der Ökonomen stärkt das Wachstum auch den Arbeitsmarkt. 2011 könnte die Zahl der arbeitslos gemeldeten Menschen in Deutschland im Jahresdurchschnitt erstmals seit Beginn der 90er-Jahre wieder auf unter drei Millionen sinken. Derzeit sind bundesweit rund drei Millionen Arbeitslose registriert.
Weit besser als andere Industriestaaten hat sich Deutschland, die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt, von den Folgen der Krise erholt. Das Land gilt derzeit als wettbewerbsfähigste Wirtschaft in Europa. Stärker als in den vergangenen Jahren werde das Wachstum derzeit von der Nachfrage im Inland getrieben, schrieben die Institute.
Die Ökonomen lobten auch die Wirtschafts- und Finanzpolitik der Bundesregierung. "Während der Finanz- und Wirtschaftskrise ist deutlich geworden, dass große und insbesondere globale Schocks nur von finanziell gut aufgestellten Staaten in den Griff zu bekommen sind", schreiben die Wissenschaftler. Die Koalition aus Union und FDP hat ein Sparprogramm mit einem Volumen von 80 Milliarden Euro auf den Weg gebracht, um die Staatsausgaben zu kürzen und die neue Schuldenbremse im Grundgesetz einzuhalten.
Der wirtschaftliche Aufschwung führt nach Einschätzung der Institute dazu, dass Deutschland mit einer Neuverschuldung von weniger als drei Prozent des BIP im kommenden Jahr wieder die europäischen Stabilitätskriterien erfüllen kann. Demnach dürfte Deutschland 2011 mit 2,7 Prozent die Defizitgrenze des EU-Stabilitätspakts von drei Prozent einhalten.
Die USA und der labile Finanzmarkt bleiben Risiken für die Weltwirtschaft
Das Herbstgutachten erwähnt allerdings auch die Risiken für den wirtschaftlichen Aufschwung. "Es kommen gute Jahre auf uns zu, aber ein dauerhafter Aufschwung ist schwierig", sagte Kai Carstensen vom ifo-Institut. Das Münchner ifo-Institut erarbeitete die Studie zusammen mit dem IfW in Kiel, dem Essener RWI und dem IWH in Halle, unterstützt vom ZEW in Mannheim, dem Zürcher KOF, dem Wiener IHS sowie von Kiel Economics.
Noch sei das Vorkrisenniveau nicht wieder erreicht, heißt es in der Studie. Im Jahr 2009 war das BIP um den Rekordwert von 4,7 Prozent eingebrochen. Joachim Scheide vom Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) sagte: "Ein Ende der Finanzkrise können wir keineswegs ausrufen." Auch die US-Wirtschaft gilt weiterhin als Risikofaktor. Die größte Volkswirtschaft der Welt stimulierte mit der großen Nachfrage ihrer Bürger die internationale Wirtschaft jahrzehntelang. Die USA aber haben die Krise, die vor drei Jahren am US-Immobilienmarkt begonnen hatte, bislang nicht eindeutig überstanden.
Die Bundesregierung stellt am Donnerstag kommender Woche ihre eigene neue Wachstumsprognose vor. Es wird erwartet, dass der Ausblick von 1,5 Prozent auf knapp unter drei Prozent fast verdoppelt wird. Die Zahlen sind Grundlage für die nächste Steuerschätzung im November.
Gewerkschaften und SPD mahnten angesichts der guten Zahlen gestern erneut Lohnerhöhungen an, um das Wirtschaftswachstum mit einer stärkeren Binnennachfrage zu stabilisieren.