Eine NDR-Dokumentation zeigt die unmenschlichen Arbeitsbedingungen bei Zulieferern von Kik im Billiglohnland Bangladesch.
Hamburg. Alea ist 20 Jahre alt. Eine junge Frau mit großen Augen, einem schmalen Körper und Händen, die von der Arbeit in der Fabrik gezeichnet sind. Tag für Tag arbeitet die junge Frau bei einem Zulieferer in Bangladesch, der Kleidung für die deutsche Textilkette Kik produziert. Mit Hunderten anderen Frauen sitzt sie neun Stunden täglich in einer heruntergekommenen Halle und näht Hosen, die dann für 9,99 Euro in den Geschäften der Billigkette landen.
Umgerechnet 25 Euro monatlich bekommt die Näherin für ihre Arbeit. Geld, das für sie gerade mal zum Leben reicht. Ein ärmliches Leben in einem Slum voller Wellblechhütten in Bangladeschs Hauptstadt Dhaka. Der Lohn reicht aber nicht, um Aleas Neffen, der an einer schweren Krankheit leidet, den dringend benötigten Arztbesuch zu bezahlen. Die junge Frau weiß noch nicht einmal, woran genau der Junge erkrankt ist.
Aleas Schicksal und das ihres Neffen sind Teil der Dokumentationen "Die Kick-Story - die miesen Methoden des Textildiscounters" und "Die Kick-Story 2", die ARD (21.45 Uhr) und NDR (22.35 Uhr) morgen ausstrahlen. Ginge es nach dem Willen der Billigkette, dann wäre diese Geschichte im deutschen Fernsehen allerdings nicht zu sehen. Mit insgesamt elf Unterlassungsbegehren hatte das Unternehmen im Vorfeld versucht, die Ausstrahlung der Dokumentation doch noch zu verhindern.
Unter anderem bestritt Kik, dass Alea und drei weitere auftretende Näherinnen jemals für das Unternehmen gearbeitet hatten. Die Frauen berichteten von desaströsen Arbeitsbedingungen in den Fabriken, unbezahlten Überstunden, Lohnabzug bei Krankheit und Arbeitszeiten von morgens bis drei Uhr nachts.
Nachdem das Hamburger Landgericht die Ausstrahlung des Materials zunächst untersagt hatte, reiste ein NDR-Reporter erneut nach Bangladesch und beschaffte eidesstattliche Versicherungen der Näherinnen, woraufhin das Gericht das zuvor erlassene Verbot wieder aufhob. Insgesamt konnte der NDR nach eigenen Angaben acht der elf Unterlassungsbegehren abwehren. Gegenüber dem Abendblatt wollte sich Kik gestern nicht zu den gerichtlichen Auseinandersetzungen äußern. Im Internetauftritt der Firma heißt es, das Unternehmen mache sich "für die Durchsetzung von guten Arbeitsbedingungen stark".
Es ist bei Weitem nicht das erste Mal, dass der Textildiscounter wegen fragwürdiger Geschäftspraktiken am Pranger steht. Erst vor wenigen Wochen wurde bekannt, dass das Unternehmen über Jahre systematisch Informationen über die Vermögensverhältnisse von Beschäftigten eingeholt haben soll. Wer verschuldet war, lief Gefahr, entlassen zu werden. Eine Praxis, die Kik mittlerweile eingestellt hat.
Was die Arbeitsbedingungen in Bangladesch angeht, so ist es allerdings nicht der Textildiscounter allein, der wegen einer zu geringen Bezahlung von Näherinnen in der Kritik steht. Auch große Modekonzerne wie Hennes & Mauritz, Zara, Levi Strauss und Tommy Hilfiger oder Handelsriesen wie Wal-Mart, Metro und Carrefour lassen in dem Billiglohnland fertigen. Die Textilbranche ist nach der Landwirtschaft der größte Arbeitgeber und beschäftigt rund 2,5 Millionen Menschen, die meisten von ihnen sind Frauen.
Im Frühjahr dieses Jahres war auch die Billigkette Lidl unter Druck geraten, nachdem Menschenrechtler und Verbraucherschützer fehlende Sozialstandards in vier Produktionsstätten in Bangladesch aufgedeckt hatten. Der Discounter musste daraufhin eine Werbekampagne für Kleidung aus angeblich fairer Produktion zurückziehen. Lidl hatte damit geworben, Textilien nur von ausgewählten Lieferanten und Produzenten zu beziehen, die gewisse arbeitsrechtliche Standards einhalten. Tatsächlich aber sollen Näherinnen auch hier über unmenschliche Arbeitsbedingungen und überlange Arbeitszeiten von bis zu zwölf Stunden geklagt haben.
Die katastrophalen Bedingungen in Bangladesch haben mittlerweile zu heftigen politischen Auseinandersetzungen in dem Entwicklungsland geführt. Seit Wochen kommt es in der Hauptstadt Dhaka immer wieder zu Straßenschlachten zwischen der Polizei und Textilarbeitern, die für höhere Löhne streiken. Erst am Sonntag gingen die Sicherheitskräfte erneut gewaltsam gegen die Demonstranten vor. Nach Berichten von Augenzeugen wurden dabei etwa 80 Menschen verletzt.
Bangladeschs Regierung hatte zuletzt zwar angekündigt, den Mindestlohn für die Näherinnen von 1700 Taka (etwa 19 Euro) auf 3000 Taka (34 Euro) anzuheben. Die Arbeiterinnen hatten jedoch eine Erhöhung auf 5000 Taka im Monat verlangt. "Die Regierung hat nur getan, was die Textilfabrikchefs wollen", sagte die Vorsitzende der Textilarbeitergewerkschaft, Mosherafa Mishu.