Eine neue Studie aus der Wirtschaft sagt, warum die AKW-Laufzeiten verlängert werden sollen.
Das geplante Energiekonzept der Bundesregierung, das die Grundlagen der Stromerzeugung in Deutschland für die nächsten Jahrzehnte festschreiben und nach der Sommerpause vorgelegt werden soll, sorgt schon im Vorfeld für heftige Debatten. Nachdem Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) seine Länderkollegen über die bisherigen Überlegungen informiert hatte, sparten diese nicht mit Kritik. Umstritten ist vor allem die Zukunft der Atomkraft.
Nach Nordrhein-Westfalens Ressortchef Johannes Remmel (Grüne) bemängelte auch die rheinland-pfälzische Umweltministerin Margit Conrad (SPD) bei dem Programm eine zu starke Konzentration auf das Thema Atom. SPD-Chef Sigmar Gabriel wetterte gar, es gehe nicht um ein tragfähiges Energiekonzept, „sondern um Lobbyarbeit für die Atomindustrie“.
Dagegen geht das Konzept manchem in der Union gar nicht weit genug: Baden-Württembergs Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) etwa sprach von einer „grandiosen Fehlleistung“, weil Röttgen sich sträube, die Laufzeiten der Kraftwerke deutlich zu verlängern, und Bayerns Regierungschef Horst Seehofer (CSU) plädierte in der „Frankfurter Rundschau“ sogar für eine unbegrenzte Laufzeitverlängerung. Auch BASF-Vorstandschef Jürgen Hambrecht warnte in der „Welt am Sonntag“ davor, „alles blind auf die Karte erneuerbare Energien“ zu setzen.
Was nicht nur die Politiker so sehr in Rage bringt, klingt eigentlich fast zu schön, um wahr zu sein – jedenfalls im „Energiewirtschaftlichen Gesamtkonzept“, das die Prognos AG für die Vereinigung der bayerischen Wirtschaft (vbw) erstellt hat. Das Institut berät in dieser Frage auch die Bundesregierung und sieht Deutschlands Energiezukunft folgendermaßen: Die Versorgung bleibt sicher, bezahlbar für industrielle wie private Verbraucher, wird dennoch profitabel für viele Branchen, und zudem reduziert sich die CO2-Produktion drastisch.
Voraussetzung ist allerdings, dass ein völkerrechtlich bindendes Klimaabkommen geschlossen wird und dass sich die Politik auf ein klares Gesamtkonzept verständigt.
Für die Bundesregierung gilt das als Prüfstein für die Handlungsfähigkeit der Koalition. Der Prognos-Studie zufolge kann die Umstellung auf regenerative Energiequellen für die deutsche Wirtschaft von großem Nutzen sein. Der Ausstieg aus der Kernenergie müsste dabei aber auf 20 Jahre gestreckt werden, die vbw, einer der größten Arbeitgeberverbände, plädiert sogar für eine Laufzeitverlängerung um 30 Jahre, denn die Energie, so vbw-Hauptgeschäftsführer Bertram Brossardt, müsse preisgünstig sein, die Versorgungssicherheit garantiert und der CO2-Ausstoß minimiert werden: „In einem überschaubaren Zeitraum können andere Energieträger nicht herangezogen werden, um diese Ziele umzusetzen.“ Insoweit sei die Kernkraft als Brückentechnologie notwendig: „Wir wollen den CO2-Ausstoß schnell minimieren. Wer das auch will, muss eingestehen, dass wir mittelfristig die Kernkraft noch brauchen.“
Die Prognos-Prognose geht davon aus, dass die Einwohnerzahl in Deutschland bis 2050 von derzeit 82 auf 72,4 Millionen Menschen sinkt. Die Wirtschaftsleistung soll dennoch jährlich durchschnittlich um ein Prozent wachsen. Wenn gleichzeitig die Nutzung erneuerbarer Energie ausgebaut und CO2-Einsparungen vorangetrieben werden, bedeutet das für den Energiesektor einen Strukturwandel. Denn der Primärenergieverbrauch wird deutlich sinken: „Im Jahr 2050 werden in Deutschland rund 77 Prozent weniger Öl und etwa 60 Prozent weniger Erdgas eingesetzt als 2008. Erneuerbare Energien tragen mit 56?Prozent zur Bedarfsdeckung bei“, heißt es in der Studie.
Weniger Energieimporte nötig?
Bei der Stromerzeugung sollen regenerative Energie bis 2050 mit 331 Terrawatt-Stunden sogar 75 Prozent der deutschen Stromerzeugung erledigen. Damit sinkt auch die Abhängigkeit von Energieimporten, die 2008 noch bei 80 Prozent lagen, und die energiebedingten Treibhaus-Emissionen könnten im Vergleich zum Jahr 1990 um 87?Prozent verringert werden.
Dabei sehen die Autoren im Ausbau dieser Energiequellen auch eine große Chance für die deutsche Wirtschaft. Vor allem die Branchen Elektrotechnik, Maschinenbau, Fahrzeugbau, und die chemische Industrie würden stark profitieren. Denn die Umstellung erfordere neue Produkte und Entwicklungen wie leichte Karbon-Verbundfaserstoffe für Fahrzüge, bessere Speicherbatterien, Methoden zur CO2-Lagerung oder neue Dämmstoffe. Wegen der energetischen Gebäudesanierung gehöre auch die Bauindustrie zu den Nutznießern.
Spitzenreiter beim Ausbau der regenerativen Energie würden die Windkraft und die Photovoltaik sein. Bei den Windkraftanlagen beispielsweise sagen die Gutachter einen Anstieg der Leistung von 23,9 auf 64,9 Gigawatt voraus. Die Strompreise würden sich nach einer kurzfristigen Anhebung auf die Dauer wieder einpendeln, sagt vbw-Geschäftsführer Brossardt: „Nach unserer Prognose werden die Energiepreise günstiger.“