Lediglich 13.500 Arbeitsplätze in Deutschland bleiben erhalten, 11.750 vornehmlich weibliche Mitarbeiter müssen sich einen neuen Job suchen.

Hamburg/Ehingen. Die Hoffnung ist dahin: Als sich die Hamburger Schlecker-Beschäftigten Ende Januar bei der Gewerkschaft Ver.di am Besenbinderhof trafen, da glaubten viele, es werde schon nicht so schlimm kommen für die insolvente Drogeriekette. Die Schließung von Filialen war erst einmal ausgesetzt, die Regale füllten sich langsam wieder und die Löhne waren zumindest für drei Monate gesichert. Doch nun kommt es knüppeldick für die Mitarbeiter: Mit einem harten Sanierungskurs will Insolvenzverwalter Arndt Geiwitz die zahlungsunfähige Kette aus der Krise führen. Jeder zweite der bundesweit 6000 Läden solle in den kommenden Monaten geschlossen werden, sagte Geiwitz gestern in Frankfurt. Lediglich 13.500 Arbeitsplätze in Deutschland bleiben erhalten, 11.750 vornehmlich weibliche Mitarbeiter müssen sich einen neuen Job suchen.

Trotz des harten Schnitts hält Geiwitz eine Sanierung der Drogeriekette für möglich. „Natürlich müssen wir noch mit Arbeitnehmern, Vermietern und Lieferanten verhandeln. Aber wir sind doch alle der Meinung, dass wir die Voraussetzungen geschaffen haben, dass Schlecker diese Zukunft hat“, sagte Geiwitz am Donnerstag im ARD-Morgenmagazin. Der Verwalter hatte am Mittwoch harte Einschnitte beim Konzern aus dem schwäbischen Ehingen angekündigt. Rund 2400 Filialen werden geschlossen, knapp 12 000 Mitarbeiter verlieren ihre Jobs. Er peilt an, bis Ende März das Sanierungskonzept – inklusive des Stellenabbaus und der Filialschließungen – geregelt zu haben.

Der zuständige Ulmer Amtsrichter Benjamin Webel sagte am Donnerstag, Geiwitz müsse ihm noch das Gutachten über Schlecker vorlegen. „Erst wenn das vorliegt, kann ich über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens entscheiden.“ Dieses werde spätestens am 1. April eröffnet. Er habe einen Gläubigerbeirat berufen, der bereits in den vergangenen Wochen Geiwitz' Arbeit begleitet und kontrolliert habe. Im Beirat seien alle wichtigen Gläubiger vertreten.

Geiwitz erklärte, die Auswahl der Läden, die geschlossen werden sollen, sei schwer gewesen. Auch „das Resultat von 12 000 Entlassungen ist bitter genug“, betonte er. Doch könne kein Unternehmen dauerhaft mit Verlusten leben. Hinzu komme die bisher fehlende Wettbewerbsfähigkeit. Schlecker brauche auch ein anderes Sortiment. „Das wird der Kunde merken, in den nächsten Wochen und Monaten“, so Geiwitz.

Verdi-Chef Frank Bsirske forderte ebenfalls im Morgenmagazin, schnell eine Transfergesellschaft für die tausenden betroffenen Frauen einzurichten. „Wir brauchen hier auch Initiativen aus der Politik, um Zeit zu gewinnen“, so Bsirske. Diese Zeit könne für die Investorensuche genutzt werden.

Wenig Chancen sieht Geiwitz dafür, dass die Kinder von Anton Schlecker, Meike und Lars, wie geplant den sanierten Konzern ihres Vaters aus eigener Kraft fortführen können. Ein neuer Investor für das Unternehmen sei wünschenswert, betonte er. Lars und Meike Schlecker hatten bereits kurz nach der Anmeldung der Insolvenz klargemacht, dass die Familie kaum noch Geld übrig habe und quasi ruiniert sei.

Die Sanierung muss nach Angaben des Insolvenzverwalters nun "kompromisslos" umgesetzt werden. Nach der Eröffnung des im Januar beantragten Insolvenzverfahrens im April dürfe Schlecker keine Verluste mehr schreiben. Die Auslandssparten in Österreich und Spanien sollen erhalten, andere Engagements außerhalb Deutschlands möglicherweise abgestoßen werden. Über die Sanierung der ebenfalls zahlungsunfähigen Schlecker-Tochter Ihr Platz solle separat entschieden werden.

Geiwitz sprach von "schmerzhaften Einschnitten" für die Beschäftigten, die aber ohne Alternative seien. In den kommenden Wochen werde ein Vorschlag erarbeitet, der die Stellenstreichungen "so sozialverträglich wie möglich macht". Bis Ende März sollen Interessenausgleich und Sozialplan abgeschlossen werden. Dabei gibt es für eine Transfergesellschaft nicht genügend finanzielle Mittel, möglicherweise könne mithilfe Dritter eine solche installiert werden. Auch den Gang zur Politik schloss der Insolvenzverwalter nicht aus. Er werde sich für Staatshilfe einsetzen, so Geiwitz.

Die wirtschaftliche Lage der Kette ist aus Sicht des Insolvenzverwalters schlimmer als erwartet. "Die Analyse des Schlecker-Konzerns fällt in gewisser Weise dramatisch aus", sagte er. Schlecker habe im vergangenen Jahr einen Verlust von 200 Millionen Euro gemacht, im Augenblick verliere die Kette monatlich einen zweistelligen Millionenbetrag. Den Bruttoumsatz bezifferte Geiwitz inklusive des Auslandsgeschäfts, welches von den Streichungen nicht betroffen ist, auf rund fünf Milliarden Euro. Netto - also ohne Mehrwertsteuer - seien es lediglich vier Milliarden Euro.

Geiwitz sagte, Firmengründer Anton Schlecker habe ihm gegenüber Fehler eingeräumt. Viele Probleme seien zu spät erkannt, die Restrukturierung zu spät angegangen worden, stellte der Insolvenzverwalter fest. Darüber hinaus seien "große Versäumnisse in der Unternehmensführung" festzustellen. Das Unternehmen sei "zu patriarchalisch" und "zu intransparent" geführt worden. Wichtig für die Zukunft sei daher "eine neue Managementkultur".

Marktbeobachter begrüßten die radikalen Einschnitte bei Schlecker: "Aufgrund vieler unrentabler Standorte in schlechter Lage ist die Schließung vieler Läden unausweichlich", sagte die Handelsexpertin der Marktforschungsgesellschaft Planet Retail, Denise Klug, dem Abendblatt. "Die Härte des Sanierungskurses ist aber schon überraschend." Sie sieht für Schlecker noch eine Zukunft als Nahversorger in Vorstädten und kleineren Ortschaften. Aus Sicht des Handelsprofessor Thomas Roeb kommt es für die Kette nun darauf an, die Umsätze der verbliebenen Filialen zu steigern, um konkurrenzfähige Kostenstrukturen zu erreichen.

Mit Material von dpa