Merkel gibt sich gelassen angesichts der Ernennung Praets zum EZB-Chefvolkswirt. Ein Land könne nicht immer einen bestimmten Posten besetzen.
Frankfurt/Berlin. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gibt sich gelassen angesichts der Ernennung des Belgiers Peter Praet zum Chefvolkswirten der Europäischen Zentralbank. Vize-Regierungssprecher Georg Streiter sagte am Mittwoch in Berlin: „Die Bundeskanzlerin wusste immer, dass es keine Erbhöfe in der EZB gibt, und es kann nicht immer ein Land einen bestimmten Posten besetzen." Der Posten, den Asmussen jetzt einnehme, sei „von außerordentlicher Wichtigkeit und großer Bedeutung und quasi eine Schlüsselposition. (...) Die Bundeskanzlerin sieht das nicht als Schlappe“, konterte Streiter die Ansicht der Grünen, die Entscheidung gegen Asmussen sei eine Schlappe für Merkel.
„Für die Bundesregierung ist das eine peinliche personalpolitische Schlappe“, sagte der finanzpolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Gerhard Schick, der „Rheinischen Post“. „Der Versuch der Bundesregierung, das Amt des EZB-Chefvolkswirts als eine Art Erbhof zu betrachten, ist gründlich gescheitert“, sagte Schick. Eine Richtungsentscheidung sei mit der Ressortverteilung in der EZB aber wohl nicht gefallen.
+++Bundesbank-Chef warnt vor Anleihenkäufen durch EZB+++
Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hatte schon am Dienstagabend erklärt, er sehe die EZB gut gerüstet für die Zukunft. „Der neue Aufgabenzuschnitt im Direktorium der EZB ist eine ausbalancierte Entscheidung“, so Schäuble . „Die EZB ist für die anstehenden Herausforderungen personell gut aufgestellt.“ Der 62 Jahre alte Währungsfachmann Praet tritt die Nachfolge von Jürgen Stark an, der aus Protest gegen die Staatsanleihenkäufe der Notenbank und die Entwicklung der Währungsunion vorzeitig gegangen war.
Die Vorsitzende des Finanzausschusses im Bundestag, Birgit Reinemund (FDP), zeigte sich überrascht von der Entscheidung: „Schade, dass Deutschland nicht den Posten des Chefvolkswirts bekommen hat“, sagte sie dem „Handelsblatt“. Vielleicht wäre ein anderer deutscher Kandidat besser zu vermitteln gewesen. Trotzdem sei die Entscheidung der EZB keine Schlappe für Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Die fachliche Expertise Praets sei ausgezeichnet. Linke-Chef Klaus Ernst sieht die Wahl grundsätzlich positiv: „Wenn Praet eine geldpolitische Taube bleibt, dann ist er ein gute Wahl für Europa. Die EZB muss aktiver gegen die Eurokrise vorgehen. Sofort!“, schrieb er im Kurznachrichtendienst Twitter.
Der deutschstämmige Belgier mit Wurzeln im nordrhein-westfälischen Herchen rückte im Juni 2011 nach Jahren bei der belgischen Notenbank ins EZB-Direktorium auf. Geldpolitisch wird er eher den „Tauben“ zugerechnet, die anders als die „Falken“ beim Thema Preisstabilität ein Auge zudrücken, um mit niedrigen Zinsen die lahmende Konjunktur in Schwung zu bringen.
Der frühere Berliner Finanzstaatssekretär Asmussen soll die EZB quasi als „Außenminister“ bei internationalen Treffen vertreten und Notenbank-Präsident Mario Draghi bei allen wichtigen Gipfeln begleiten. Zudem soll der 45 Jahre alte Ökonom und erfahrene Polit-Manager künftig die Rechtsabteilung leiten, die unter anderem wegen der Beurteilung der umstrittenen Staatsanleihenkäufe wichtig ist. Der „Bild“-Zeitung sagte Asmussen: „Ich bin zufrieden. Gemeinsam mit EZB-Präsident Draghi werde ich mich um das kurzfristige Krisenmanagement und die langfristige Ausgestaltung der Euro-Stabilitätsunion kümmern.“
Asmussen galt als Favorit für die Nachfolge von Jürgen Stark - zumal der einflussreiche Posten des Chefvolkswirts seit der Gründung der EZB stets von einem Deutschen besetzt war. Als Konkurrent war allenfalls noch der Franzose Benoît Coeuré im Rennen, der ebenso wie Asmussen neu im EZB-Direktorium ist. Jürgen Stark hatte im vergangenen September im Streit um die Aufkäufe von Staatsanleihen überschuldeter Euro-Länder seinen Rückzug aus dem Notenbank-Direktorium angekündigt. Aus diesem Grund war auch schon Axel Weber als Bundesbankpräsident zurückgetreten und hatte darauf verzichtet, neuer EZB-Präsident zu werden.
Eintägige Einlagen auf Rekordwert
Die „Vorsichtskasse“ der Banken bei der Europäischen Zentralbank (EZB) ist zu Beginn des Jahres auf einen neuen Rekordwert gestiegen. Die eintägigen Einlagen kletterten auf rund 453,2 Milliarden Euro, wie aus Zahlen der EZB vom Mittwoch hervorgeht. Am Vortag hatten sie bei 446,3 Milliarden Euro gelegen. Zuletzt erreichten die Einlagen einen Rekord in der letzten Handelswoche 2011 bei knapp 452 Milliarden Euro.
Die eintägigen Ausleihungen der Banken bei der EZB stiegen ebenfalls von 14,8 Milliarden auf 15,0 Milliarden Euro. Am vergangenen Freitag erreichte der Wert bei 17,3 Milliarden Euro den höchsten Wert seit zwei Jahren. Die eintägigen Einlagen und Ausleihungen der Banken bei der EZB gelten als Zeichen für das Misstrauen der Institute untereinander. Normalerweise greifen Banken der Eurozone kaum auf diese sehr kurzfristigen Geschäfte mit der Notenbank zurück, da die Konditionen ungünstig sind. Ende 2011 hatte die EZB in einem Dreijahreskredit ein Volumen von fast 500 Milliarden Euro an Banken der Eurozone ausgeschüttet. Nach Einschätzung von Experten wird ein Großteil dieses Geldes nun über Nacht bei der EZB geparkt.
Für gewöhnlich versorgen sich die Banken lieber untereinander mit Zentralbankgeld. Dieser Handel am sogenannten „Interbankenmarkt“ ist aber – ähnlich wie in der ersten Finanzkrise 2008 – erneut gestört. Ausschlaggebend sind die Schuldenkrise und das starke Engagement einzelner Institute in Staatsanleihen angeschlagener Euro-Staaten. Wegen der aktuell hohen Unsicherheit parken die Banken reichlich Liquidität bei der EZB und nehmen selbst Zinsverluste in Kauf.
Mit Material von dpa/dapd