Börsenkurs sinkt zeitweise unter Buchwert. Anleihen-Derivate des Konzerns fast schon auf Ramschniveau
Hamburg. Dem britischen Ölkonzern BP entgleitet zunehmend die Kontrolle über die Lage im Golf von Mexiko und über die Folgen des Öldesasters am Kapitalmarkt. In London fiel die BP-Aktie gestern zeitweise um zehn Prozent auf 345 Pence, das waren 47 Prozent weniger als am 20. April. An jenem Tag war im Golf von Mexiko die Bohrplattform "Deepwater Horizon" explodiert. Seither läuft Öl in den Golf, rund 190 Kilometer Strände an der Südküste der USA sind bereits verseucht. "Der Markt sieht die Zukunft des Konzerns gefährdet", sagte der Analyst Fadel Gheit vom Investmenthaus Oppenheimer & Co. in New York. "Die Anleger glauben, dass BP-Chef Tony Hayward abgesetzt wird, die Dividende auf unbestimmte Zeit gestrichen wird und am Ende sogar die Abwicklung des Konzerns droht."
Der Konzern reagiert mit Unverständnis auf die Erosion am Kapitalmarkt: "Wir kennen keinen Grund, der den aktuellen Absturz rechtfertigt", teilte BP gestern mit. Bislang habe die Bekämpfung der Ölpest das Unternehmen 1,4 Milliarden Dollar gekostet. Der Gewinn im ersten Quartal 2010 lag bei mehr als 6,0 Milliarden Dollar. An der New Yorker Börse ist der Wert von BP innerhalb der sieben Wochen seit der Explosion auf annähernd die Hälfte abgestürzt und sank zuletzt zeitweise unter den Buchwert des Unternehmens. Das schürt Spekulationen, der Konzern könne übernommen und zerschlagen werden. Immer mehr Anleger verlieren die Zuversicht, BP könne das Leck abdichten und die Schäden zu einem überschaubaren Preis beheben.
BP-Anleger geraten angesichts der Dimensionen allmählich in Panik
Besonders drastisch für den Konzern zeigt sich das an den Kreditversicherungsderivaten, den sogenannten CDS. Vor einem Jahr lag deren Niveau für die Versicherung von BP-Anleihen noch bei 41 Basispunkten, gestern stiegen sie um 195 auf 570 Basispunkte noch einmal deutlich an. Für zehn Millionen Dollar ausstehende BP-Anleihen müssen demnach zurzeit 570 000 Dollar jährlich an Ausfallversicherungen bezahlt werden. Gemessen an den Bewertungsschemata der Ratingagenturen bedeutet dies Ramschniveau.
Die Flucht aus der BP-Aktie wird dadurch noch zusätzlich beschleunigt. "Das ist reine Panik", sagte Michael Donelan vom US-Finanzinvestor Ryan Labs. "Jeder will seine BP-Positionen auflösen. Der Markt preist eine härtere Aufsicht und hohe Strafen für den Ölkonzern ein." Marktbeobachter von Banken und Investmentfonds schätzen derzeit, dass die Folgekosten für BP auf 28 bis 33 Milliarden Dollar hochschnellen können. Zu den Kosten der Reinigungsarbeiten werden sich Strafzahlungen der US-Regierung addieren sowie Wiedergutmachungen und Entschädigungen für die von der Ölpest betroffenen Menschen und Unternehmen.
Was auf die Umwelt im und am Golf von Mexiko und damit auch auf den Konzern tastsächlich zukommt, ist allerdings völlig offen. In den vergangenen Wochen musste BP seine Prognosen über die Abdichtung des Lecks immer wieder zurücknehmen. Derzeit saugt der Konzern einen Teil des ausströmenden Öls mit einer Spezialglocke ab. Wie viel Öl nach wie vor austrete, sei "die große Unbekannte", sagte Admiral Thad Allen, der frühere Chef der US-Küstenwache und Sonderbeauftragte der US-Regierung für die Bekämpfung der Ölkatastrophe. US-Präsident Barack Obama lässt seiner Wut über das Versagen von BP freien Lauf. Nächste Woche will er zum vierten Mal ins Katastrophengebiet. Indirekt hatte er bereits die Ablösung von BP-Chef Hayward gefordert. Dieser Tage sagte er einem US-Fernsehsender, er spreche mit allen Betroffenen, um herauszufinden, "wem wir in den Hintern treten müssen". Drastischer kann der US-Präsident seine Kritik nicht formulieren.
Der Absturz des Konzerns durch die Umweltkatastrophe ist ohne Vorbild
Nie in der Geschichte ist ein so großes privatwirtschaftliches Unternehmen durch eine Umweltkatastrophe derart unter Druck geraten. Selbst wenn das Leck schnell abgedichtet werden kann, sind die Folgeschäden für die Umwelt in den USA katastrophal. Und die wirtschaftlichen Folgen für BP dürften weit über die unmittelbaren Auswirkungen der Ölpest hinausreichen. Es ist schwer vorstellbar, dass BP bei der Vergabe von Bohr- und Förderrechten in den Vereinigten Staaten in absehbarer Zeit wieder zum Zuge kommt. Bislang ist das Unternehmen der größte Erdölförderer im Golf von Mexiko.
Eine Komplettübernahme des Konzerns durch einen Konkurrenten wäre zwar angesichts des relativ niedrigen Börsenwertes theoretisch denkbar. Der Käufer würde dann allerdings auch die Risiken für die Folgekosten mit übernehmen. Der US-Ölmarktexperte Matt Simmons hält eine andere Variante für wahrscheinlicher: "Präsident Obama hat BP vor drei Wochen darauf festgenagelt, dass der Konzern jeden Dollar der Reinigungskosten übernehmen wird. Mit allem Geld der Welt aber kann man den Golf von Mexiko nicht reinigen. Sobald BP das wahre Ausmaß realisiert, wird das Management in Panik geraten und das Insolvenzverfahren nach Chapter 11 beantragen." Dann könnte das Geschäft des Konzerns zumindest in den USA neu bewertet, aufgeteilt oder abgewickelt werden.
Besonders gravierend ist diese Lage, finanziell gesehen, für die britischen Pensionsfonds. Für sie ist BP, das größte britische Unternehmen, bislang einer der wichtigsten Anlagewerte.