Im Fall der gestohlenen CD mit Bankdaten gibt es eine erste Spur. Angeblich hat ein einstiger Mitarbeiter der HSBC die Daten angeboten.
Am 13. Dezember 2009 hatte Hervé Falciani seinen großen Auftritt. Der Informatiker berichtete im französischen Staatssender France 2, wie schockiert er gewesen sei, als er bei seinem ehemaligen Arbeitgeber auf das „dunkle System“ gestoßen sei. Dabei habe es sich um „Strukturen“ gehandelt, die „nur ein Ziel haben, nämlich das Ziel, den Fiskus zu umgehen“. Doch seine Vorgesetzten, die er davon unterrichtet habe, hätte das nicht weiter interessiert. Daraufhin habe er begonnen, Informationen zu sammeln, zu denen er „freien Zugang“ gehabt habe. So begann ein Prozess, an dessen Ende Falciani zum Prototyp des Datendiebes wurde.
Der ehemalige Arbeitgeber ist die HSBC Private Bank in Genf, die Schweizer Filiale einer großen britischen Privatbank, bei der Falciani von 2002 bis 2008 arbeitete. Während dieser Zeit kopierte der Franzose italienischer Herkunft heimlich 130.000 hoch sensible Kundendaten auf seinen Laptop. Weil ihm die Schweizer Ermittlungsbehörden dabei auf die Spur kamen, flüchtete Falciani im Dezember 2008 Hals über Kopf nach Südfrankreich. Dort beschlagnahmte die Staatsanwaltschaft Nizza einen Monat später das brisante Material. Darauf gestützt, erklärte der Pariser Haushaltsminister Eric Woerth im Sommer, er verfüge über eine Liste mit 3000 Namen französischer Steuerflüchtlinge, die rund drei Milliarden Euro in der Schweiz angelegt hätten.
Bei betroffenen Kontoinhabern in Frankreich sorgte die Nachricht für Panik. Viele von ihnen nutzten das bis Ende Dezember vergangenen Jahres befristete Angebot der Regierung, die Schwarzgelder gegen eine verhandelbare Strafe und die Entrichtung der Steuerschuld zu legalisieren. Nach den Angaben von Minister Woerth konnte der französische Staat auf diese Weise rund 500 Millionen Euro einnehmen, was doch „gar nicht schlecht“ sei. Die grassierende Angst vor drohender Strafverfolgung hatte Wirkung gezeigt.
Jetzt beginnt auch in Deutschland das große Zittern. Hiesigen Behörden ist eine CD mit Schweizer Kontendaten von rund 1500 möglichen deutschen Steuerflüchtlingen für einen Preis von 2,5 Millionen Euro zum Kauf angeboten worden. Experten zufolge könnten damit nachträglich 100 Millionen Euro und mehr an Steuern eingetrieben werden. Nach Informationen der „Financial Times Deutschland“ soll es sich genau um jenes Material handeln, das von Falciani entwendet worden ist. Eine offizielle Bestätigung dafür gibt es nicht – weder von dem Finanzinstitut noch von deutschen Stellen.
Unterdessen hat sich aber Falciani selbst zu Wort gemeldet und energisch bestritten, in die deutsche Affäre involviert zu sein. „Ich arbeite nur mit der französischen Justiz zusammen“, sagte der 37-Jährige der Online-Ausgabe der französischen Zeitschrift „Le Point“. Wenig verwundert zeigte er sich darüber, dass die Affäre immer weitere Kreise zieht: „In jedem Fall ist das Ganze eine globale Angelegenheit.“ Gegenüber den Journalisten betonte Falciani, er habe nie versucht, Daten zu verkaufen: „Es hat niemals Geld gegeben.“
Wie schon bei seinem Auftritt im Staatssender France 2 stellte sich Falciani auch gestern als ein Biedermann dar, als einer, der aus uneigennützigen Motiven handelt und allein aus ethischen Gründen seinen Arbeitgeber bestohlen hat. Bei der Schweizerischen Bundesanwaltschaft in Bern sorgt das für Kopfschütteln. Der ehemalige Bankangestellte habe Medien schon alles Mögliche erzählt, sagte Sprecherin Jeannette Balmer WELT ONLINE: „Das nimmt schon die Dimensionen eines Münchhausen-Falls an.“ Balmers Behörde hat gegen Falciani bereits im Mai 2008 ein Verfahren wegen des Verdachts auf „wirtschaftlichen Nachrichtendienst“, unbefugte Datenbeschaffung sowie der Verletzung von Geschäfts- und Bankgeheimnissen eingeleitet.
Belastet wird der Datendieb auch von einer früheren Freundin, seiner ehemaligen Arbeitskollegin Georgina Mikhael. Die franko-libanesische Doppelbürgerin, gegen die in der Schweiz ebenfalls ermittelt wird und die sich auch in Frankreich aufhalten soll, sagte vor wenigen Tagen in einem Interview, Falciani habe sie manipuliert. Beide zusammen hätten sie das Ziel gehabt, „die Daten zu verkaufen und Geld zu machen“. Dabei versuchten die beiden Beschuldigten laut Medienberichten zunächst, die Unterlagen im Libanon zu verscherbeln. Doch die dortigen Behörden informierten die Schweizer Behörden.
Nach seiner Rückkehr wurde Falciani am 22. Dezember 2008 in Genf verhaftet. Den Beamten soll er gesagt haben, er müsse sich um seine Kinder kümmern, werde sich aber am nächsten Tag melden. Stattdessen setzte er sich nach Frankreich ab. Die Schweiz richtete nun ein Rechtshilfeersuchen an das Nachbarland, das zur Beschlagnahmung der gestohlenen Unterlagen führte. Erst dadurch wurden die Franzosen auf den Fall aufmerksam.
In Frankreich muss Falciani keine Strafverfolgung fürchten. Im Gegenteil: Die Behörden statteten den Mann, der sich unverhüllt im Fernsehen zeigte und im Großraum Nizza leben soll, mit einer neuen Identität aus. Angeblich wird er sogar von Polizisten geschützt. Dafür gibt es gute Gründe. Denn von dem Datendiebstahl sollen auch Kunden betroffen sein, mit denen nicht zu spaßen ist – Geschäftsleute mit „gefährlichem Profil“, darunter Kolumbianer. Falciani, der Tausende Steuersünder in Angst und Schrecken versetzt hat, lebt gefährlich.