Aldi, Lidl, Netto, Plus & Co. kämpfen um Marktanteile. Verbraucherschützer fürchten mittelfristig schlechtere Qualität von Lebensmitteln.
Hamburg. Der Angriff auf Aldi kam keineswegs aus dem Hinterhalt, sondern äußerst öffentlichkeitswirksam daher. Mit schrillen, ganzseitigen Anzeigen in deutschen Tageszeitungen bewarb Lidl Ende Oktober "dauerhaft billigere" Produkte. Der Preis für Mehl sollte auf 29 Cent und der Preis für Zucker von 85 Cent auf 72 Cent sinken. Diese elfte Reduzierungswelle innerhalb eines Jahres dürfte bei den Verbrauchern kaum Emotionen ausgelöst haben, Branchenkenner horchten jedoch auf: Hatte Lidl es doch gewagt, Marktführer Aldi mit einer neuen Preissenkung herauszufordern.
Die Antwort auf diese Kampfansage ließ keine 24 Stunden auf sich warten. "Aldi reagiert sofort und aggressiv, wenn ein Konkurrent versucht, seine Preise zu unterbieten", sagte Boris Planer, Handelsanalyst bei Planet Retail, dem Abendblatt. So reduzierte der Discount-Marktführer prompt die gleichen Lebensmittel und bot sie deutlich günstiger an. Mehl war fortan in Deutschland für 25 Cent, Zucker für 69 Cent zu haben. Angriff abgewehrt, Lidl kapitulierte - Aldi hatte seine dominante Position erfolgreich verteidigt. Und setzte bei der nächsten Preisrunde Anfang Dezember wieder wie üblich als erster den Rotstift an und die Preise für zahlreiche Wurstwaren herunter. Die anderen kopierten den Marktführer umgehend.
Dass für Teewurst jetzt zehn Cent weniger kassiert werden, ist die harmloseste Folge dieser erneuten Preissenkungswelle. Denn nicht nur in den Filialen mit dem blau-weißen Logo, sondern auf dem gesamten Discountmarkt geht es mittlerweile um die Wurst. Der Kampf um Marktanteile und Kunden ist in eine Rabattschlacht ausgeartet, Branchenkenner sprechen von einem "masochistischen Preiskampf". Noch nie sind die Preise so schnell gefallen wie im Krisenjahr 2009. Ein Grund: Als Folge der weltweiten Wirtschaftskrise sind Agrarrohstoffe wie Milch oder Weizen günstiger geworden, was Spielraum für Rabatte schafft. Der wichtigere Grund für den Preiskampf aber ist die schärfere Konkurrenzsituation auf dem deutschen Markt, seit Anfang des Jahres die Discountmarken Netto und Plus unter dem Dach der Edeka-Gruppe fusionierten. "Früher gab es im Billigsegment Aldi, Lidl und sonst kaum jemanden", sagt Handelsexperte Planer. Dank der zusätzlichen 2300 Plus-Filialen, die derzeit umgestellt werden, besitze die Discounterkette Netto aber plötzlich ein flächendeckendes Netzwerk von Läden. Dessen laut Planet Retail für 2009 geschätzter Bruttoumsatz von 11,2 Milliarden Euro in Deutschland kommt den 15,8 Milliarden Euro des Branchenzweiten Lidl (2900 Filialen) schon deutlich näher als in früheren Jahren. "Netto kann jetzt preisaggressiver auftreten," erklärt Planer.
Auch für den unangefochtenen Marktführer Aldi mit 4200 Filialen wird es dadurch enger. Handelsexperte Thomas Roeb hält es für möglich, dass die übliche Umsatzrendite von fünf Prozent deutlich sinkt. "Aldi wächst bereits seit einigen Jahren nicht mehr, während Lidl zumindest an Fläche zulegt", sagt Roeb. Da kommt der Preiskrieg zur falschen Zeit: Die Gesellschaft für Konsumforschung geht davon aus, dass Aldis Umsätze seit Jahresbeginn um 4,7 Prozent gefallen sind. Der Discounter werde im Jahr 2009 Marktanteile verlieren, erwarten die Marktbeobachter.
Einen Ausweg aus der Rotstift-Strategie scheint es für das verschwiegene Unternehmen trotzdem nicht zu geben. Aldi kommentiert seine Preisstrategie zwar nie, nach Branchenmeinung lebt die Marke aber davon, immer die billigsten Produkte im Sortiment anzubieten. Auf großen Bannern in den Filialen hatte der Discounter seinen Kunden im vergangenen Jahr sogar versprochen, günstigere Einkaufspreise sofort weiterzugeben. "Aldi hat eine sehr intelligente Preisstrategie", sagt Hans-Christian Riekhof, Professor an der Göttinger Privatuniversität PFH. "Auch das macht einen Teil des Unternehmenserfolges aus."
Die Discounter-Kunden profitieren zumindest finanziell vom Rabattkrieg - einige Lebensmittel sind im Jahresvergleich um fast die Hälfte billiger geworden. Verbraucherschützer befürchten jedoch, die Tiefpreise könnten bei einigen Ketten zu Abstrichen bei der Qualität führen. "Diese Preissenkungsmentalität verlockt natürlich dazu, minderwertige Rohstoffe wie Schinkenimitat oder künstliche Garnelen einzusetzen", sagt Stefan Etgeton, Ernährungsexperte beim Bundesverband der Verbraucherzentralen. "Zudem geraten die Erzeuger durch niedrige Preise immer mehr unter Druck." Auch die Gewerkschaften warnen immer wieder vor einem "ruinösen Verdrängungswettbewerb" der Billigmärkte, der die Arbeitsbedingungen der Angestellten weiter verschlechtern werde.
Mit der Wurst-Offensive von Aldi werden die Preissenkungswellen wohl allmählich auslaufen. "Die Kosten für Energie und Rohstoffe steigen und lassen weniger Spielraum für Preisschlachten", sagt Planer. Der Rotstift dürfte aber nicht aus der Mode kommen: Ein besseres Presseecho als nach einer Kriegserklärung an Aldi können sich die anderen Discounter kaum wünschen.