Am Donnerstag wird Günther Fielmann 70 Jahre alt. Er lenkt nach wie vor sein Brillen-Imperium, aber sein Leben dreht sich immer mehr um Biohöfe.
Schierensee. Günther Fielmann schlägt das Lenkrad nach rechts ein. Runter von der Schotterpiste. Rauf auf die Wiese. Der Blick vom Hügel herab ist atemberaubend. Dichte Wälder umrahmen einen tiefblauen See. Links und rechts saftiges Gras, so weit das Auge reicht. Idylle pur. Günther Fielmann hat den Motor des Geländewagens abgestellt. Er steigt aus, geht zu einem Stacheldrahtzaun, bleibt stehen und klatscht ein paar Mal in die Hände. Es dauert etwa zehn Sekunden, bis man ein leises Klopfen hört, das immer lauter wird. Der Boden unter den Füßen beginnt leicht zu vibrieren. Am grünen Wiesenhorizont bewegt sich etwas. Braun. Kraftvoll. Eine Herde Rinder trottet gemütlich, aber zielstrebig ihrem Besitzer entgegen.
"Sind das nicht tolle Tiere", sagt er. "Schauen Sie sich diesen geraden Rücken an - echte Limousin-Rinder. Denen geht es richtig gut hier. Die Luft, der Auslauf." Die Tiere stehen nun direkt vor ihm. Fielmann hält sich mit der rechten Hand an einem der hölzernen Pfähle fest, steigt mit dem rechten Fuß auf den Stacheldraht und springt mit Schwung über den Zaun.
Ein Mitarbeiter reicht dem sportlichen Chef einen schwarzen Plastikeimer mit Futter. Die Rinder kommen Fielmann, der unter seiner Jacke und dem Pullover ein weißes Hemd mit Krawatte trägt, bedenklich nahe. Die spitzen Hörner sind nur wenige Zentimeter vom Krawattenknoten entfernt. Die Tiere haben Hunger. Günther Fielmann lächelt ins Objektiv der Fotografin. "Gut so?", fragt er. "Oder soll ich noch ein bisschen näher ran an die Rinder?" Obwohl die Ärmel der Jacke die Handgelenke bedecken, wirkt der 69-Jährige hemdsärmlig. Ein Macher eben. Einer, der sein Leben mit voller Kraft gestaltet. Angetrieben von der Überzeugung, eine geniale Idee zu haben. Das Ziel des geschäftlichen Erfolgs nie aus dem Blick verlierend. Auch die Bio-Rinder, die er auf seinem 1,6 Hektar großen Gut Schierensee nahe Rendsburg hält, verkauft er selbstverständlich weiter. Ökologie trifft Ökonomie.
Dass er ein Macher-Gen in sich trägt, hat Günther Fielmann schon als Jugendlicher bewiesen. Sein erstes Geld verdiente er mit dem Verkauf selbst gezüchteter, lebend gebärender Zahnkarpfen - besser bekannt als Guppys. Später fotografierte er für Hamburger Zeitungen, und als er 18 Jahre alt war, kaufte und verkaufte er VW Käfer - selbstverständlich mit Gewinn. So finanzierte er seine Ausbildung zum Augenoptiker. Fragt man ihn, warum er den Beruf des Optikers gewählt hat, erzählt er aus seiner Schulzeit. Als er mit 15, 16 Jahren den Mogelzettel seines Tischnachbarn nicht mehr lesen konnte. "Da bekam ich meine erste Brille - und schon konnte ich wieder abschreiben", scherzt er. "Das hat mich fasziniert - das hässliche Kunststoffgestell damals dagegen weniger", sagt er und schiebt seine moderne, halb randlose Brille auf der Nase etwas zurück. Ein guter Schüler sei er nicht gewesen, eher ein wenig aufsässig. Mit seinem Vater, einem Oberstudiendirektor, hatte er es deshalb nicht leicht. "Er hat mir die Lust an der Pflicht vermittelt", sagt der Sohn heute mit Respekt. Der Vater hat wohl dazu beigetragen, dass er nicht Fotograf, sondern Optiker wurde. Die Mutter bestärkte ihn dagegen in seiner Liebe zur Natur, bestimmte mit dem kleinen Günther Pflanzen, als die Familie in den 40er-Jahren noch in Stafstedt zu Hause war, etwa 15 Kilometer südlich von Rendsburg. "Das Leben auf dem Land hat mich nie losgelassen, mich geprägt", sagt er.
Der Geländewagen ist einen Kilometer weitergefahren. Wieder steht Günther Fielmann an einem Zaun, der diesmal ganz aus Holz ist. Jetzt pfeift er. Erneut kommen Tiere auf ihn zugelaufen. Es sind Schafe mit dunklen kleinen Flecken rund um die Augen. Kärntner Brillenschafe. Fielmann hat sie im Mai 1998 aus Österreich in die norddeutsche Provinz geholt, um sie vor dem Aussterben zu retten. Heute verkauft er den Nachwuchs wieder in die alte Heimat. Brillenschafe vom Brillenkönig. Keine Werbeagentur hätte sich einen besseren Marketing-Gag ausdenken können. Doch für Fielmann sind die Schafe mehr: die perfekte Symbiose aus seiner Liebe zur Natur und seinem Sinn fürs Geschäft.
1972 eröffnete Fielmann seinen ersten Optikerladen. In Cuxhaven. Für fünf Mark bot er seine Brillen an, die bei der Kundschaft reißenden Absatz fanden. Während die Fehlsichtigen jubilierten, kochte die Konkurrenz vor Wut. "Vor der Filiale wurde sogar ein Abfallcontainer in Brand gesteckt und die Türen verklebt", erinnert sich Fielmann. Ehemalige Mitarbeiter wurden damals in anderen Optiker-Läden wie Aussatz behandelt, bekamen keine Anstellung. "Wäre der Widerstand nicht so immens gewesen, hätte ich mich womöglich mit 20 bis 30 Geschäften zufriedengegeben. Aber dieser Hass hat mich noch zusätzlich angespornt." 1981 betrieb Fielmann bundesweit 56 Läden - viele im Franchisesystem. Und er startete eine Revolution in der Branche. Mit der Krankenkasse AOK schloss er einen Sondervertrag, sodass gesetzlich Versicherte bei ihm mehrere Hundert moderne Fassungen zum Nulltarif bekamen. Die Kunden freuten sich, dass sie nicht länger mit "Sozialprothesen im Gesicht" herumlaufen mussten, wie Fielmann es selbst formuliert. Die Medien feierten ihn als Robin Hood unter den Optikern, als "Rächer der Bebrillten". Die Konkurrenz klagte. Doch der Schrecken der Branche war längst noch nicht am Ende. Er führte eine Geld-zurück-Garantie ein, mit der er Kunden bis zu sechs Wochen nach Kauf einer Brille den Preis vollständig erstattete. Ohne Angabe von Gründen. Er richtete in Kiel das bislang größte Optikergeschäft ein - mit einer Auswahl von mehr als 7000 Fassungen. Er expandierte weiter und wagte im Herbst 1994 den Börsengang.
Günther Fielmann sitzt im großen Kaminzimmer seines Gutshauses in Schierensee. Wie in einem Museum. Mobiliar aus dem 18. Jahrhundert, Ölgemälde und feine Porzellantassen, in denen der Espresso serviert wird, versetzen den Besucher in eine andere Zeit. Fielmann hat das Anwesen mit viel Liebe zum Detail restaurieren lassen, die Kunstsammlung ergänzt. Am Wochenende bewohnt er hier einige der rund 30 Zimmer zusammen mit seiner Lebensgefährtin. Auch die beiden Kinder schauen dann und wann vorbei. Besucher können das Haus nach Anmeldung besichtigen.
"Der Börsengang hat mir ein Luxusproblem beschert", erinnert er sich. "Ich hatte plötzlich keine Schulden mehr, wusste nicht, was ich mit dem Geld machen sollte." Statt kürzer zu treten, legte er noch an Tempo zu. "Um die Finanzen habe ich mich eigentlich nie selbst gekümmert, dafür hatte ich immer gute Vorstände", sagt er. Fielmann ist kein Banker, sondern Ideengeber und Antreiber. Mehr als 630 Filialen in Europa mit rund 12 000 Mitarbeitern umfasst sein Optiker-Imperium heute. Neben Schierensee bewirtschaftet er drei weitere streng ökologisch betriebene Güter in Norddeutschland. Und in der nach ihm benannten Akademie im Schloss Plön, das er 2002 dem Land Schleswig-Holstein abkaufte, bildet er jedes Jahr rund 6000 junge Augenoptiker aus und fort.
Der Mann in dem Sessel aus dem 18. Jahrhundert ist Multimillionär. Doch Geld ist lange nicht mehr die Triebfeder seines Handelns. Kurz vor seinem 70. Geburtstag am kommenden Donnerstag spricht er über "Nachhaltigkeit", sagt ohne Pathos, dass "wir unseren Kindern die Erde in einem guten Zustand überlassen sollten". Sein Geschäft will er eines Tages an seinen Sohn Marc übergeben. Mit dem 20-Jährigen, der in London an der School of Economics und Political Science studiert, verbindet ihn eine besonders innige Beziehung. Nachdem die Eltern sich getrennt hatten, zog der Sohn nach der Konfirmation auf eigenen Wunsch zum Vater. Die jüngere Schwester blieb bei der Mutter.
"Er ist ein toller Junge", sagt Günther über Marc Fielmann. Die ersten Praktika im Konzern hat der Filius schon absolviert. "Und ich habe von den Mitarbeitern nur Gutes gehört", sagt der stolze Vater. Er rede viel mit ihm, lege großen Wert auf seine Meinung und habe die eine oder andere Idee schon umgesetzt. Doch bis Marc das Unternehmen leiten darf, muss er sich noch ein wenig gedulden.
Denn Günther Fielmann sagt: "Der Job macht mir noch immer großen Spaß." Dafür hält er sich mit täglichen Fünf-Kilometer-Läufen und Radfahren fit. Und dann redet er über seine Zukunftspläne: dass er die Zahl der Filialen in Deutschland von 545 auf 700 und den Umsatz von gut einer auf zwei Milliarden Euro erhöhen wolle. "Faul am Strand herumliegen - das ist ganz einfach nicht meine Welt."