Mehr und mehr Arbeitnehmer verdienen weniger als den Niedriglohn. Gewerkschaften und Politik schlagen Alarm.
Wiesbaden. Immer mehr Beschäftigte in Deutschland sind trotz ihres Jobs von Armut bedroht. Der Grund: Der Anteil derjenigen mit Teilzeitjobs, Zeitarbeit, geringfügig oder befristeter Beschäftigung ist auf mittlerweile 22,2 Prozent gestiegen, wie das Statistische Bundesamt mitteilte.
Diese Arbeitnehmer verdienen den Angaben zufolge deutlich weniger als sogenannte Normalbeschäftigte und haben ein deutlich höheres Armutsrisiko. Im vergangenen Jahr lag es bei 14,3 Prozent, bei Normalbeschäftigten lediglich bei 3,2 Prozent.
Den Angaben zufolge erhielt 2006 jeder zweite der sogenannten atypischen Beschäftigten einen Bruttostundenlohn unter der Niedriglohngrenze von 9,85 Euro. Am stärksten waren 2006 die Mini-Jobber mit 81,2 Prozent von Niedriglöhnen betroffen, bei Zeitarbeitern waren es 67,2 Prozent, bei befristet Beschäftigten 36,0 Prozent und bei Teilzeitbeschäftigten knapp ein Fünftel.
„Dumpinglohn-Melder“
Unterdessen starteten die Gewerkschaften ver.di und Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) fünf Wochen vor der Bundestagswahl einen „Dumpinglohn-Melder“. Die Arbeitnehmervertreter wollen damit eine Bestandsaufnahme der Einkommenssituation sogenannter Aufstocker machen.
Im Fokus der Untersuchung sind Arbeitnehmer, die trotz ihrer Arbeit auf staatliche Zuschüsse angewiesen sind. Schuld daran seien häufig Niedriglöhne von 5,50 Euro oder weniger, erklärten die Gewerkschaften am Mittwoch.
Der Geschäftsführer der NGG-Region Rhein-Main, Peter-Martin Cox, kündigte zudem ein bundesweites „Niedriglohn-Barometer“ an. Zunächst appellierten die beiden Gewerkschaften an Beschäftigte in Frankfurt am Main, Dumpinglöhne zu melden. Dies sei unter der Internetadresse dumpinglohn.de möglich. Ver.di und NGG treten für einen gesetzlichen Mindestlohn von 7,50 Euro pro Stunde ein.
Neuer Mindestlohn-Ausschuss
Die Bundesregierung hat am Mittwoch die Weichen für die Ausweitung von Mindestlöhnen gestellt. Das Kabinett berief auf Vorschlag von Arbeitsminister Olaf Scholz (SPD) den neuen Mindestlohn-Hauptausschuss. Dieser soll festlegen, in welchen Branchen mit geringer Tarifbindung ein von der Regierung verordneter Mindestlohn angebracht wäre. Als eine mögliche davon betroffene Branche nannte Scholz die Fleischindustrie.
Als Vorsitzenden des Gremiums berief die Regierung den früheren Hamburger Bürgermeister und SPD-Politiker Klaus von Dohnanyi. Der 81-Jährige zählt zu den persönlichen Freunden von Kanzlerin Angela Merkel (CDU).
Der Ausschuss soll noch vor der Bundestagswahl am 27. September seine Arbeit aufnehmen. Er werde die Mitglieder „in Kürze und auch noch deutlich vor der Wahl“ zur konstituierenden Sitzung einladen, kündigte Scholz an. Sein Ministerium werde nun untersuchen lassen, in welchen Wirtschaftszweigen Lohnverhältnisse existierten, die ein Handeln notwendig machten.