Am Dienstagmittag kam die gefürchtete Nachricht: Die Karstadt-Mutter Arcandor ist pleite, 43.000 Mitarbeiter sind betroffen. Und geschockt.
Hamburg. Um 12.04 Uhr hat Werner von Appen die Nachricht erhalten, die für ihn bis zu diesem Zeitpunkt unvorstellbar war. Die Nachricht, vor der er sich seit Wochen gefürchtet hat - die Insolvenz seines Arbeitgebers Arcandor. Der Geschäftsführer der Karstadt-Filiale in der Mönckebergstraße ist kurze Zeit später noch immer geschockt. "Ich bin heute Morgen mit der festen Überzeugung zur Arbeit gefahren, dass uns dieser nun eingeschlagene Weg einer Insolvenz erspart bleibt", sagt der 47-Jährige dem Abendblatt.
Natürlich habe er in den ersten Stunden seines gestrigen Arbeitstages immer wieder im Internet und in Nachrichtensendungen die Entwicklungen verfolgt. "Mit einem Ergebnis habe ich allerdings erst frühestens am Abend gerechnet." Er sei fest davon überzeugt gewesen, dass der Konzern seinen Antrag auf staatliche Notkredite noch einmal nachbessern werde. "Dieser Tag ist mit Sicherheit der schwärzeste in meiner beruflichen Laufbahn", sagt von Appen.
Es ist auch einer der schwärzesten in der Geschichte von Karstadt. Jahrelang dauerte der Niedergang der traditionsreichsten deutschen Warenhauskette. Vier Vorstandsvorsitzende haben sich in diesem Jahrzehnt ohne Erfolg an der Sanierung des Unternehmens versucht, darunter der große Hoffnungsträger Thomas Middelhoff. Er hinterließ seinem Nachfolger Karl-Gerhard Eick im März ein hoch defizitäres, mehrfach notoperiertes und 2007 in "Arcandor" umgetauftes Unternehmen. Eines, das in dieser Form nicht überlebensfähig ist, wie nun feststeht.
Betroffen sind von der Insolvenz nach Angaben des Unternehmens rund 43 000 Mitarbeiter in Deutschland bei Karstadt, der Versandhandelstochter Primondo und dem Katalogversender Quelle. Nachdem klar war, dass Arcandor keine staatlichen Finanzhilfen aus dem sogenannten "Deutschlandfonds" erhalten würde, kam der Vorstand zum einzig verbleibenden Schluss: "Es bestand keine nachhaltige Finanzierungsperspektive mehr", hieß es gestern in einer Erklärung. Am Freitag werden Kredite über 710 Millionen Euro fällig - die muss Arcandor unter Gläubigerschutz nun erst einmal nicht bedienen.
Das Insolvenzverfahren bedeutet für die einzelnen Sparten von Arcandor keineswegs automatisch das Aus - im Gegenteil: Unter Regie des vom Gericht bestellten Insolvenzverwalters, des Kölner Anwalts Klaus Hubert Görgen, kann das Unternehmen nun mögliche Käufer sondieren: "Die Unruhe, die bei Arcandor und bei Karstadt in den vergangenen Wochen herrschte, war für die Mitarbeiter wohl unerträglich", sagt der Hamburger Rechtsanwalt und renommierte Insolvenzverwalter Jan H. Wilhelm. "Gemeinsam mit dem Vorstand hat der Insolvenzverwalter viel mehr Handlungsspielraum, als der Vorstand ihn zuletzt vor dem Insolvenzantrag hatte".
Für die einzelnen Geschäftszweige dürften sich durchweg Käufer finden. Der Handelskonzern Metro, der mit Erfolg unter anderem die Kaufhäuser von Galeria Kaufhof betreibt, will die Mehrzahl der Karstadt-Warenhäuser übernehmen. "Nach der Aussetzung der Gespräche am Montag sind wir bereit, konkrete Verhandlungen zeitnah wieder aufzunehmen. Dies beinhaltet auch Gespräche mit Eigentümern und Vermietern", teilte Metro gestern mit. "Wir haben ein großes Interesse daran, schnell mit Karstadt zu einer Lösung zu kommen, damit die Rettung der Karstadt-Warenhäuser nicht durch die Insolvenz bei Arcandor verzögert werden kann." Metro hatte angeboten, etwa 60 Karstadt-Standorte zu übernehmen und mit seiner Kaufhof-Kette zu einer Deutschen Warenhaus AG zusammenzuführen.
Auch für die Versandhandelssparte könnte schnell ein Bieter gefunden werden. "Wir sind von der schnellen Insolvenz bei Arcandor sehr betroffen", sagte der Sprecher des Hamburger Versandhandelskonzerns Otto Group, Thomas Voigt:
"Wir führen derzeit keine Gespräche über den Kauf von Unternehmensteilen. Wenn der Insolvenzverwalter die Dinge geordnet hat und die Versandhandelssparte Primondo zum Kauf stellt, wären wir an Teilen interessiert. Das betrifft Konzepte, die internetfähig und internationalisierbar sind." Die Hamburger schauen auch auf die Filialkette Karstadt Sport, die sich gut mit der eigenen Ladenkette Sport Scheck verschmelzen ließe.
Unkritisch bleibt die Lage nach dem Stand der Dinge für das Reiseunternehmen Thomas Cook, den derzeit einzigen profitablen Geschäftszweig von Arcandor. Der Essener Konzern hält an Thomas Cook 52,8 Prozent der Anteile. "Es hat sich nichts verändert, und es wird sich nichts verändern", sagte Thomas-Cook-Chef Manny Fontenla-Novoa gestern. Bei Europas zweitgrößtem Reisekonzern (Neckermann Reisen, Bucher Last Minute) gehe das Geschäft ganz normal weiter. Das Management betonte in einer Mitteilung erneut, Thomas Cook sei eine eigenständige Firma mit unabhängigen Finanzen. Die ausstehenden Forderungen gegenüber Arcandor aus dem normalen Geschäft lägen bei lediglich unter einer Million britischen Pfund (1,1 Million Euro).
Der drittgrößte deutsche Reiseveranstalter Rewe hatte bereits Interesse bekundet, die Thomas-Cook-Anteile von Arcandor zu übernehmen. Dies hatte Arcandor-Chef Eick allerdings abgelehnt, da er die Anteile derzeit unter Wert verkaufen müsste. Zudem wollte sich der Konzern nicht von seinem wichtigsten Gewinnbringer trennen.
Für die Mitarbeiter bei Karstadt in der Mönckebergstraße und in allen anderen Karstadt-Filialen heißt es nun abwarten. Bereits heute werden sie in einer Betriebsversammlung über den aktuellen Stand informiert. "Wir Führungskräfte haben jetzt die Aufgabe, für alle Mitarbeiter da zu sein", sagt Geschäftsführer Werner von Appen. "Wir müssen versuchen, ihnen die Ängste zu nehmen, schließlich haben sie in den vergangenen Wochen alles gegeben." Die Zukunft der Filiale in der Mönckebergstraße sieht von Appen hingegen zuversichtlich. "Wir stehen im Umsatzranking bundesweit an zweiter Stelle", sagt er selbstbewusst. Zudem seien im vergangenen Jahr gerade 37 Millionen Euro in den Umbau des Standortes in zentraler Hamburger Lage investiert worden. "Deshalb werden wir trotz dieser schlechten Nachrichten nach vorne schauen."