Die deutschen Konjunkturforscher überbieten sich mit immer düsteren Vorhersagen. Das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) setzte sich gestern...

Hamburg. Die deutschen Konjunkturforscher überbieten sich mit immer düsteren Vorhersagen. Das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) setzte sich gestern nun mit seiner Prognose für das kommende Jahr an die Spitze der Pessimisten: 2009 werde die Wirtschaft um 2,7 Prozent schrumpfen, sagten die IfW-Forscher voraus. Das wäre die schlimmste Rezession seit mehr als 50 Jahren.

Das Münchner Ifo-Institut hat jüngst ein Minus von 2,2 Prozent vorhergesagt. Das gewerkschaftsnahe Düsseldorfer IMK ist nur wenig optimistischer und rechnet mit einer um 1,8 Prozent schrumpfenden Wirtschaftsleistung in Deutschland. Die gesamte Forscherzunft wurde von der seit Mitte September zugespitzten Finanzkrise und der immer schwächeren Weltkonjunktur kalt erwischt.

Auch für die Weltwirtschaft korrigierten die Forscher aus Kiel ihre Wachstumsprognose drastisch nach unten: Sie erwarten 2009 nur noch einen Anstieg um 0,4 Prozent. Noch im September hatten sie 3,3 Prozent veranschlagt. In den Industrieländern dürfte die Wirtschaft sogar um 1,8 Prozent schrumpfen. Das Abendblatt sprach mit IfW-Konjunkturchef Joachim Scheide.


Abendblatt:

Herr Scheide, das Kieler IfW geht für 2009 davon aus, dass die deutsche Wirtschaftsleistung um 2,7 Prozent schrumpfen wird. Damit würde das Minus dreimal so stark sein wie im bisher schlechtesten Wirtschaftsjahr in der Geschichte der Bundesrepublik 1975. Damals lag das Minus bei 0,9. Woher kommt der Pessimismus, nachdem Ihr Institut im September noch von einem Wachstum von 0,2 Prozent für 2009 ausgegangen ist?

Joachim Scheide:

Alle Institute haben inzwischen ihre Prognosen kräftig nach unten korrigiert. Die Lage hat sich gegenüber dem September 2008 nochmals zugespitzt. Die Stimmung hat sich verschlechtert, alle Indikatoren, die die Zukunftserwartungen widerspiegeln, sind nach unten gegangen. Hinzu kommt, dass die Auftragseingänge und die Produktionsleistung seither stark gesunken sind.



Abendblatt:

Wie wirkt sich die Rezession auf den Arbeitsmarkt aus?

Scheide:

Ich rechne damit, dass wir Ende 2010 die Vier-Millionen-Marke bei den Arbeitslosen erreichen werden.



Abendblatt:

Welche Branchen leiden besonders unter der Wirtschaftskrise?

Scheide:

Die Exportindustrie wie etwa der Maschinenbau. Denn die gesamte Welt ist von den Folgen der aktuellen Finanzmarktkrise betroffen. Das bedeutet weniger Aufträge für die deutsche Industrie. In Deutschland selbst lassen sich die Produkte zudem ebenfalls schwerer absetzen, weil die Unternehmen ihre Investitionen reduzieren. Und die Probleme der Automobilindustrie sind ja bekannt. Es sind also fast alle Branchen von der Rezession betroffen.



Abendblatt:

Gibt es Ausnahmen und wenn ja, welche?

Scheide:

Der Einzelhandel profitiert davon, dass wegen der sinkenden Ölpreise die Inflation zurückgeht und die Realeinkommen voraussichtlich steigen werden. Das hilft dem privaten Konsum. Die Bauwirtschaft kann möglicherweise von den Konjunkturprogrammen von Bund, Ländern und Kommunen profitieren. Investitionen etwa in die Infrastruktur oder die Gebäudesanierung werden deshalb vorgezogen.



Abendblatt:

Sie sprachen den gesunkenen Rohölpreis an. Wie wird sich der Preis in den nächsten Jahren entwickeln?

Scheide:

Den Ölpreis kann man nicht gut prognostizieren. Wir unterstellen daher, dass er bis Ende 2010 um die Marke von 45 Dollar pro Barrel pendeln wird.



Abendblatt:

Wann wird sich die Lage wieder verbessern?

Scheide:

Wir gehen frühestens im Frühjahr 2010 von einer Erholung aus. Der Jahresdurchschnitt 2010 dürfte das Wachstum bei 0,3 Prozent liegen, während im kommenden Jahr sich das Pendel zwischen einem Schrumpfen von 0,8 bis 4,6 Prozent pro Quartal bewegt. Für 2009 ergibt sich insgesamt ein kräftiger Rückgang um 2,7 Prozent. Allerdings möchte ich einschränken, dass Prognosen derzeit sehr schwierig sind. Wir haben es nicht mit einer "normalen" Rezession zu tun, sondern gleichzeitig mit einer Krise an den weltweiten Finanzmärkten, in einem Ausmaß, wie wir es bisher noch nicht erlebt haben.



Abendblatt:

Was kann die Politik tun, um die wirtschaftliche Lage zu verbessern?

Scheide:

Sie sollte Vorhaben vorziehen, die sowieso sinnvoll sind. Dazu gehören eine Senkung der Einkommensteuern oder - was schnell und problemlos funktioniert - die Abschaffung des Solidaritätszuschlags. Das würde die Wachstumskräfte stärken.