Chevrolet, Buick, Cadillac - sie waren groß wie das Land und seine Träume. Ohne sie wäre Hollywood weniger schillernd und Rockefeller weniger reich geworden. Ihre Zeit ist vorbei wie einst die der Saurier. Ein Nachruf.

Noch rumpeln sie in langen Schlangen über die löchrigen Straßen der amerikanischen Innenstädte - die wuchtigen, hochrädrigen, verchromten Großraum-Pkw, gern in wichtigem Schwarz gehalten. So, als könnte ihnen nichts geschehen. Dabei dräut am Horizont der amerikanischsten aller Branchen der Albtraum einer gigantischen Pleite; nicht nur den durstigen "SUV", den Sport-Utility-Vehicles, sondern - im Ernstfall - dem Selbstverständnis einer Nation, sollte ihre Autoproduktion tatsächlich, wie es scheint, unaufhaltsam den Bach der Geschichte hinuntergespült werden.

Amerika, das Land der Fords und Chryslers, der Chevrolets, Jeeps und Cadillacs, bald ohne eigene Autoindustrie? Was soll dann aus dem amerikanischen Traum werden, zu dem seit Jahrzehnten die überlangen und -breiten Limousinen gehören, in Texas gern auch mal vorn mit Hörnern ausgerüstet? Was wird aus Hollywood? Nie wieder diese nachts über die Toppen blinkenden, rosaroten Gefährte? Nie wieder dieser blubbernde Acht-Zylinder-Klang, der Männer rund um den Globus faszinierte? Was wird aus Daytona Beach mit seinen legendären Rennen?

Was wird überhaupt aus dem Kontinent der Freiheit, der ohne das uramerikanische Auto eine Abart von Sibirien geblieben wäre? Ohne diese strotzenden, schaukelnden Blechschlitten, wäre doch Al Capone nie das geworden, was er immer hatte werden wollen: Herr über eine Armada dieser Statussymbole, mit denen er wenigstens äußerlich den Präsidenten der Vereinigten Staaten herausfordern konnte. Ohne Straßenkreuzer wäre das Valentinstag-Massaker von 1929 eine Ganovenballade geblieben; ohne Bonnies und Clydes Filmtod in einem Ford-Modell hätte das Gangstermilieu nie an die Tore von Hollywood geklopft, und Amerika hätte nicht zu der schillernden Größe gefunden, die Jugendliche überall in der Welt mit fiebrigen Augen verfolgten. Wäre die Hauptstraße in den Kleinstädten dieses Kontinents mit ihren "Drive-in-Möglichkeiten" ohne die schaukelnden Cabriolets zu dem geworden, was Sinclair Lewis in seinem Roman "Main Street" literarisch veredelt hat? Auf jeden Fall hätte sich ohne diese fahrbaren Sofas für Generationen von Machos der Reifeprozess verzögert und sich das Petting nie so entwickeln können (etwa in einem VW-Käfer aus Wolfsburg?).

Das Land wäre an etlichen Stellen Transsilvanien geblieben und hätte nie Abermillionen Touristen den Trip in atemberaubende, hinterletzte Gegenden ermöglicht. Wie die Navajo-Indianer Nordamerikas einst unbewusst den Pferden der Spanier entgegengelebt haben, um auf ihnen sehr bald die schnellsten und gefährlichsten Reiter des Westens zu werden, fuhren die Amerikaner einige Jahrhunderte später mit ihren Cars made in USA auf direktem Weg ihrer individuellen Freiheit entgegen - einer Freiheit, die nur dieses Land zu bieten vermag.

Als die Japaner noch zu Fuß gingen, machten sich (nach Gottlieb Daimler und Carl Benz) von Technik faszinierte Männer wie Henry Ford, Walter Percy Chrysler und William C. Durant daran, Autos für alle auf den Markt zu bringen. 1912, als Kaiser Wilhelm II. die knatternden und stinkenden Kisten in Berlin noch für eine vorübergehende Mode-Episode hielt und weiterhin auf das Pferd setzte, hatte Henry Ford mit seinem legendären "T-Modell" (Tin Lizzy) schon die erste Million an Fahrzeugen verkauft; 15 Millionen wurden es bis 1927. Schon 1913 nahm er das erste Montagefließband in Betrieb. Ein Jahr später ließ er seine Arbeiter am Gewinn teilhaben, indem er ihnen für den achtstündigen Arbeitstag statt der üblichen 2,30 Dollar gleich fünf Dollar zahlte. Parallel zu seinem Reichtum wuchs das Erdöl-Vermögen von John D. Rockefeller ins Aberwitzige - wie Amerika insgesamt, mit dem entfesselten New York an der Spitze, wo Chrysler 1928 seinen silberfarbenen Firmensitz errichtete, der noch heute wegen seiner Nadelspitze als Albtraum für Fallschirmspringer gilt, als "Parachuters nightmare".

Zu jener Zeit hatte Henry Ford schon lange seinen Geburtsort Dearborn bei Detroit zur ersten Autostadt der Welt erkoren; da sich General Motors, der Dritte im Bunde dieser prosperierenden Industrie, ebenfalls in Detroit ansiedelte, entwickelte sich dort der Welt größter Industriestandort - heute der Welt gefährdetster. Ford entwickelte mit dem T-Modell das genialste Auto, von seiner sozialen Bekömmlichkeit her zugleich das modernste; Chrysler baute das brillanteste; und General Motors (GM) schuf das erste globale, weltumspannende Unternehmen, das sich 1928 auf seiner Einkaufstour "round the world" auch Opel einverleibt hatte. GM hatte bald einen Status erreicht, den US-Präsident Franklin D. Roosevelt während des Zweiten Weltkriegs zum "Kernbestand der amerikanischen Demokratie" erhob.

Das Weltumspannende war aber damals schon alles andere als spannungsfrei, bekriegten sich doch just zu jener Zeit in Europa - im wahrsten Sinne des Wortes - die von Opel erbauten Panzer mit denen der britischen Vauxhall-Company, die 1925 ebenfalls von GM aufgekauft worden war. Gegen Kritik verteidigte sich das Detroiter Unternehmen mit dem Argument, auf Opel-Deutschland keinen Einfluss mehr zu haben, wiewohl weiterhin wechselseitig Geld geflossen sein soll. Dennoch: Als Erwin Wilton 1953 vom GM-Geschäftsführer zum höchst ehrenhaften Staatssekretär für Verteidigung aufstieg, antwortete er auf die Frage eines Journalisten, ob er sich gegebenenfalls auch gegen sein früheres Unternehmen entscheiden würde, mit dem klassischen Satz: "Das, was für das Land gut ist, ist gut für GM."

Heute macht GM jeden Tag 30 Millionen Dollar Miese (was auch fürs Land nicht mehr gut ist) und braucht allein bis März 2009 zehn Milliarden Dollar, ohne deswegen gerettet zu sein. Schlimmer noch, soll die gesamte amerikanische Autoindustrie, so der diesjährige Wirtschafts-Nobelpreisträger Paul Krugman, verloren sein. Das würde neben dem Verlust des nationalen Renommees das Aus für mindestens eine halbe Million Arbeitsplätze bedeuten. Mit dem Ringen um mehr als 30 Milliarden Dollar an staatlichen Überbrückungskrediten und dem Hinweis, andernfalls überlebten sie nicht einmal die nächsten Monate, haben die "großen drei" gegen mindestens eine der zahllosen Weisheiten des "alten" Ford verstoßen: "Es gibt mehr Leute", war sich der Gottvater aller Autos sicher, "die kapitulieren, als solche, die scheitern." Und das Gejammere der Autobosse dieser Tage hätte Ford absolut unter dieser Kategorie abgebucht und noch einen zweiten Satz hinterhergeschoben: "Ich lehne es ab anzuerkennen, dass es Unmöglichkeiten gibt."

Der Abstieg der US-Autoindustrie begann genau genommen schon vor 35 Jahren mit der ersten Ölkrise, die aus den Centpreisen für eine Gallone Benzin (knapp vier Liter) plötzlich Dollarpreise machten, wenngleich auch das noch billig war. Dass inzwischen die Japaner angefangen hatten, Fuß auf dem amerikanischen Kontinent zu fassen, wurde nicht wahrgenommen angesichts der schmächtigen Fahrzeuge, die die Asiaten auf den Markt warfen. Die Amerikaner, die es gewohnt waren, den Boxweltmeister aller Klassen zu stellen, haben sich nie zum Feder- oder Weltergewicht hinuntergebeugt.

Waren sie nicht die Gründungsväter fürs Auto? Hielten sie nicht sämtliche Rekorde - vom Fließband bis zur Servolenkung, vom ersten 6-Zylinder bis zum ersten Windkanal? Hatte nicht der geniale GM-Manager Alfred Sloan auch die passende Rundumverteidigung gegen alle Angriffe von außen mit der Erkenntnis ausgerufen, ein "Auto für jeden Geldbeutel und jeden Geschmack" zu haben? Für den Aufsteiger Buick und Oldsmobil, für den Aufschneider Pontiac, für Reiche und Schöne den Cadillac. Und hatten sie nicht endlich sogar aus der Raumfahrt Etliches für ihre Fahrzeuge übernommen? Was also sollte passieren?

Die Antwort: Sie verpassten die zweite und dritte Entwicklungsgeneration. Dieser Hybris folgte Mitte der 60er-Jahre der Fall, nachdem bei GM die Corvair zum Synonym für das unfallträchtigste Fahrzeug geworden war, Ford unmoderne Autos lieferte und selbst Chrysler trotz der Rückholaktion für einen Starmanager wie Lee Iacocca sein Niveau verspielte.

Aus Detroit ist Slum-City geworden, das Zerrbild menschlichen Zusammenlebens, aus dem gewaltigen GM-Komplex ein versteinerter, immobiler Koloss - eine Mammutbehörde wie auch die von Ford, die einst mit Otto Kaisers Prüfungsstempel "o. k." einen Weltbegriff für Markenqualität geschaffen hatte.

"O. k." ist heute im US-Autobau nichts mehr.