Die 1800 Insolvenzverwalter in Deutschland rüsten sich für eine Pleitewelle, denn 2009 droht die tiefste Rezession in der Geschichte der Bundesrepublik.

Hamburg. "Wir erwarten eine deutliche Zunahme der Krisenfälle und damit auch der Insolvenzen", sagt der Vorsitzende des Verbands der Insolvenzverwalter Deutschlands (VID), Siegfried Beck. Besonders betroffen könnte die Autobranche sein. Der Autoexperte Willi Diez sagt, dass dort hunderte Autohäuser und Zulieferer mit bis zu 60 000 Jobs gefährdet seien. Nach dem Weihnachtsgeschäft kämen aber auch auf den Einzelhandel wohl schwere Zeiten zu, warnt VID-Chef Beck. Einige Kollegen sehen aber Insolvenzen auch als Chance und verweisen als Vorbild auf die USA.

2003 - dem vergangenen Rezessionsjahr in Deutschland - hatte die Zahl der Pleiten mit 39 320 Fällen einen Höchststand erreicht. Bis 2007 ging sie um gut ein Viertel auf 29 160 zurück. Aber die schwächere Konjunktur ließ die Firmenpleiten im Juli bereits erstmals seit dreieinhalb Jahren wieder steigen. Der Trend dürfte sich durch die Finanz- und Wirtschaftskrise drastisch verschärfen.

VID-Chef Beck sagt, die Unternehmen hätten aus der Krise nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 gelernt: Durch mehr Flexibilität könnten Insolvenzen herausgezögert werden - etwa durch den Abbau von Überstundenkonten, flexible Arbeitszeiten, Kurzarbeit und vorgezogenen Urlaub.

Wer die Krise nicht überstehe, habe aber trotz Insolvenz häufig gute Chancen zu überleben, meint der Professor für Wirtschafts- und Insolvenzrecht am RheinAhrCampus Remagen, Hans Haarmeyer. "In einer Insolvenz liegt auch eine riesige Chance, das muss nur in die Köpfe", sagt er. Die Gleichung "Insolvenz = Pleite oder Konkurs" sei schlicht falsch. Das seit 1999 geltende neue Insolvenzrecht ermögliche oft die Weiterführung von Unternehmen.

Das US-Insolvenzrecht bietet einen Gläubigerschutz ("Chapter 11"), der es kriselnden Konzernen ermöglicht, sich ohne direkten Zahlungsdruck zu sanieren. Große US-Fluglinien haben so viel Ballast abgeworfen und sind dann neu an den Start gegangen. "Chapter 11" hat beim deutschen Recht Pate gestanden.

Beispiele von Unternehmen, die aus einem Insolvenzverfahren herauskamen, gibt es auch in Deutschland. 2003 hatten die damaligen Lübecker Kinobetreiber Kieft & Kieft ("Cinestar") die insolventen Ufa-Kinos übernommen. Der Hamburger Insolvenzverwalter Jens-Sören Schröder hatte mit den Gläubigern erreicht, dass 32 der 37 Ufa-Kinos in einer Auffanggesellschaft gerettet werden konnten. 2006 wurde der Plüschtier-Hersteller Nici von einem US-Finanzinvestor aus der Insolvenz herausgekauft.

"Wir brauchen noch mehr unternehmerisch denkende Verwalter, die auch ein Risiko eingehen", fordert Haarmeyer. Das neue Recht müsse auch in Deutschland offensiver genutzt werden. Tausende Arbeitsplätze, die durch zu vorschnelle Abwicklungen verloren gegangen seien, hätten eventuell gerettet werden können, sagt er. Haarmeyer bewertet mit einem Rating-Verfahren deutsche Insolvenzverwalter. Es gebe aber nur 100 bis 150 "sanierungsorientierte" Verwalter, die es schafften, 30 bis 50 Prozent der Unternehmen, die sie bekommen, zu einer Zukunft nach einer Insolvenz zu verhelfen. Von den knapp 30 000 Insolvenzen 2007 sei bei rund 5000 Unternehmen auf Fortführung des Betriebs entschieden worden.

Ein Beispiel, wie Unternehmen mit vollen Auftragsbüchern plötzlich Insolvenz anmelden müssen, ist die Kieler Lindenau-Werft. Trotz eines Auftragsbestandes von 225 Millionen Euro, fast keiner Schulden und eines erstklassigen Rufs musste die Werft Ende September Insolvenzantrag stellen. Für die Vorfinanzierung eines im Bau stehenden Tankers stand nicht genug Geld zur Verfügung - auch weil Kredite schwierig zu bekommen sind.

Insolvenzverwalter der Werft ist der Hamburger Rechtsanwalt Jan H. Wilhelm - laut Haarmeyer einer der besten in Deutschland mit der Bewertung AAA+. Wilhelm stellte zwar erheblichen Modernisierungsbedarf fest, aber der Sanierungsplan überzeugte Gläubiger und Banken: Ein 28-Millionen-Euro-Kredit der HSH Nordbank sicherte das Überleben, 370 Menschen behielten ihre Arbeit.

"Gerade in Branchen, wo Projekte mit hohen Summen vorfinanziert werden müssen, besteht derzeit erhöhte Gefahr", sagt Wilhelm. Je größer ein Unternehmen und je höher der Liquiditätsbedarf ist desto höher sei durch die Kreditzurückhaltung der Banken das Risiko einer Insolvenz. Aber: "Letztlich setzen sich in Krisenzeiten die Unternehmen mit Qualität durch, es findet eine Anpassung an den Markt statt."