Experten sehen keine schnelle Aufhellung - und hohe Preise belasten die Bürger. Muss nun der Staat helfen?

Hamburg. Schrumpfende Wirtschaft, kräftig steigende Preise: Die jüngsten Zahlen zur Konjunktur wirken beunruhigend. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) nannte das Minus beim Bruttoinlandsprodukt im zweiten Quartal von 0,5 Prozent ein "Alarmsignal für die Wirtschaftspolitik". Nun sei es Zeit für ein Eingreifen der Bundesregierung. Das sehen auch manche Politiker so: FDP-Generalsekretär Dirk Niebel forderte eine Senkung der Energiesteuern, während der Chef der Linkspartei, Oskar Lafontaine, Steuerschecks für Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen für den richtigen Weg hält, um den Konsum und damit die gesamte Wirtschaft anzukurbeln.

Das Abendblatt befragte Wirtschaftsforschungsinstitute nach ihren Prognosen für die Konjunktur und ihrer Einschätzung gegenüber den Rufen nach dem Staat.

IW, Köln Der Konjunkturchef des arbeitgebernahen Kölner Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW), Michael Grömling, sieht trotz der schlechten Zahlen derzeit keinen Grund zur Schwarzmalerei: "Deutschland schlittert nicht in eine Rezession." Der Rückgang im zweiten Quartal sei vor allem eine Reaktion auf den Verlauf des sehr guten ersten Quartals. Grömling sieht auch keinen akuten konjunkturellen Handlungsbedarf : "Die Erfahrung der Vergangenheit zeigt, dass Konjunkturprogramme meistens wirkungslos sind und politischem Aktionismus entspringen."

IfW, Kiel Der Direktor des Instituts für Weltwirtschaft (IfW), Joachim Scheide, gibt sich dagegen wenig optimistisch, was die kommenden Monate angeht: "Bis Mitte 2009 ist nicht viel an Wachstum zu erwarten." Zu groß seien die Belastungen durch die Finanzkrise und durch die nachlassende Weltkonjunktur, sagte Scheide dem Abendblatt. "Die Stimmung in der Wirtschaft hat sich erheblich verschlechtert und auch die Auftragslage in der Industrie hat sich erkennbar eingetrübt." Dennoch müsse man in Deutschland keinen allzu tiefen Absturz befürchten: "Wir rufen jetzt nicht die Rezession aus." Scheide sieht ebenfalls keinen Grund für Konjunkturprogramme. Abgesehen von der Gefahr steigender Staatsverschuldung sei die Wirkung fraglich: "Die Finanzpolitik kann das BIP nicht auf Knopfdruck anheben."

ZEW, Mannheim Der Konjunkturindikator des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) sinkt seit Beginn der US-Finanzkrise vor etwa einem Jahr stetig und fiel im Juli auf seinen historischen Tiefststand. "Die befragten Finanzexperten erwarten eine deutliche Abschwächung der Konjunktur", sagte die ZEW-Konjunkturexpertin Sandra Schmidt.

Ifo Institut, München "Ich wäre nicht allzu pessimistisch", sagte Ifo-Konjukturchef Kai Carstensen. "Die Wahrscheinlichkeit, dass es in diesem Jahr noch einmal ein Quartal mit einem Minus gibt, liegt bei vielleicht 25 Prozent." Der Experte lehnt konjunkturstimulierende Maßnahmen nicht grundsätzlich ab: "Eine gute Idee könnte es sein, die schleichenden Steuererhöhungen, die durch die Progression der Steuersätze zunehmenden Einkommen resultieren, an die Bürger zurückzugeben." Von dem Vorschlag, Steuerschecks zu verschicken, hält Carstensen dagegen wenig, schon wegen des bürokratischen Aufwands. "Außerdem ist das Verbrauchervertrauen tief im Keller." Wenn die Deutschen das Geld vom Staat aber zur Bank brächten, "wäre für die Konjunktur wenig gewonnen".

RWI, Essen Abgesehen von der jüngsten BIP-Zahl deuten nach den Worten von Roland Döhrn, Konjunkturchef des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI), auch etliche andere Indikatoren an, dass das Klima in der Weltwirtschaft rauer geworden ist. Zudem sei nicht klar, ob sich die Inflationsrate, die den privaten Konsum belastet, wirklich spürbar verringert: "Wir sehen zwar eine gewisse Beruhigung bei den Energie- und den Nahrungsmittelpreisen. Aber manche Unternehmen nehmen Preiserhöhungen, die durch verteuerte Rohstoffe und höhere Tariflöhne nötig wurden, erst nach und nach vor." Döhrn ist jedoch skeptisch, ob staatlich geförderte Investitionsprogramme wirklich sinnvoll sind: "Es besteht das Risiko, dass ein solches Programm nur einen Preisschub auslöst, denn die Industrie ist derzeit gar nicht so schlecht ausgelastet."

IWH, Halle Udo Ludwig, Leiter der Abteilung Makroökonomik am Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH), sieht keine schnelle Rückkehr zu positiven Wachstumsraten: "Wir rechnen damit, dass die deutsche Wirtschaft im dritten Quartal stagniert." Allerdings könne man davon ausgehen, dass sich die Teuerungsrate vom Herbst an verringert und dann den privaten Konsum stützt. Im Hinblick auf staatliche Konsumanreize wie etwa Steuerschecks ist Ludwig skeptisch: "Die Menschen müssten Güter aus deutscher Produktion kaufen, damit so etwas wirken kann. Beim privaten Konsum ist der Anteil ausländischer Produkte aber überproportional hoch." Sinnvoller seien schon höhere Ausgaben für Bildung und Forschung. "Man müsste aber sicherstellen, dass dies nicht auf Pump geschieht und auf Dauer den Staatshaushalt belastet."

DIW, Berlin Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) sieht die deutsche Wirtschaft unverändert im Aufschwung. Gemessen an den Halbjahreszahlen ergebe sich ein Wirtschaftswachstum von 2,1 Prozent im Vergleich um Vorjahreszeitraum, erläutert der DIW-Konjunkurchef, Christian Dreger. Angesichts der sich eintrübenden Weltwirtschaft erwartet er jedoch auch für Deutschland eine "leichte Eintrübung" insbesondere beim Export. Das dritte Quartal werde sich "schwach entwickeln."