Im Kinofilm “Borat“ wurden die Zentralasiaten als debile Hinterwäldler verunglimpft. Die Realität ist eine andere. Ein Abendblatt-Report.

Almaty. Dröhnend rauscht das elf Meter lange und sieben Tonnen schwere Gefährt vorbei. Ein weißer Luxuspanzer mit silbern glitzernden Felgen, gefolgt von fünf ebenfalls tadellos glänzend weißen Mercedes-Limousinen. Im amerikanischen Stretch-Hummer, der vorausfährt, sitzt ein frisch verheiratetes Pärchen, gleich werden Fotos gemacht, der Champagner wird perlen. Sie sind ein alltäglicher Anblick dieser Tage auf den Straßen von Almaty, die Hochzeitskonvois. Fährt mal kein Monsterjeep an der Spitze, ist es ein lang gestreckter Lincoln - Hauptsache weiß und Eindruck schindend.

Die frühere Kapitale Kasachstans, die ihren Hauptstadtrang an Präsident Nursultan Nasarbajews Großbauprojekt Astana abgeben musste, ist auch heute noch das führende Wirtschaftszentrum Zentralasiens. 1,3 Millionen Menschen leben hier, nur zwei Autostunden von der chinesischen Grenze und wenige Kilometer von Kirgisien entfernt, das hinter dem schneebedeckten Tian-Shan-Bergmassiv beginnt.

Als das Ende der Welt stellen sich Ausländer, die hier noch nicht waren, das riesige, fast unbekannte Land oft vor. Und wer vor einem Jahr die Kinokomödie "Borat" gesehen hat, wurde in seinem Unwissen noch bestätigt. Als tölpelhafter kasachischer Reporter verunglimpfte der britische Komiker Sacha Baron Cohen die Zentralasiaten als debile, inzestuöse Sippe. Wer dann noch an Borats schrottiges Ostblockauto denkt, das von einem lahmen Gaul über eine schlammige Straße gezogen wird, der wird sich umso mehr über das Aufkommen von Stretch-Hummern im richtigen Kasachstan wundern - denn das ist in Almaty ähnlich hoch wie in New York.

Dass die vermeintlichen Kasachstan-Bilder des international erfolgreichen Films im rumänischen Glod, einer ärmlichen Siedlung von Roma gedreht wurde, deren Naivität die Filmproduzenten gnadenlos ausnutzten, trat bei vielen Betrachtern in den Hintergrund. Ansonsten beschränkt sich die Bekanntheit Kasachstans in Europa häufig auf den durch Doping bekannt gewordenen Radrennstall Astana und den Weltraumbahnhof Baikonur.

Wer das Land betritt - und vor allem dessen Großstädte -, der belächelt die Kasachen nicht mehr. Während Nasarbajew, der Sohn eines Schäfers, Dollar-Milliarden in sein liebstes Hobby Astana pumpt und dort Regierungspaläste und Hochhäuser im Wochentakt aus dem Boden stampft, vibriert auch Almaty schon seit Langem. Nicht, weil mal wieder ein Erdbeben die Stadt, die zu Sowjetzeiten Alma-Ata (Vater der Äpfel) hieß, erzittern lässt, sondern weil auch hier allerorten Bagger den Boden umpflügen und Kräne einen Büroturm nach dem anderen hochziehen.

Seit Jahren wächst die kasachische Wirtschaft im Schnitt um zehn Prozent pro Jahr. Und im gleichen Tempo soll es bis mindestens 2009 weitergehen, erwartet die Regierung in Astana. "Die Dynamik", sagt Martin Hoffmann, Geschäftsführer des Länderkreises Zentralasien beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), "ist größer als in Russland." Seinen Nachbarstaaten wie die Mongolei, Turkmenistan oder Usbekistan ist Kasachstan wirtschaftlich weit enteilt. Das nominale Bruttoinlandsprodukt stieg im Jahr 2006 auf 5020 US-Dollar pro Kopf und liegt damit auf dem Niveau von Ländern wie Brasilien, Rumänien und der Türkei. Wenn es nach dem Willen Nasarbajews geht, gehört Kasachstan im Jahr 2030 zu den 50 am meisten entwickelten Ländern der Welt. Dabei helfen soll der Eintritt in die Welthandelsorganisation WTO, den der Präsident bald anstrebt.

Bei deutschen Unternehmen spielte das Land trotz des Booms lange Zeit keine Rolle. Entweder waren sie zu sehr mit ihrer Expansion in Osteuropa beschäftigt, oder der kasachische Markt erschien ihnen mit seinen knapp 15 Millionen Bürgern einfach zu klein. "Allmählich wird die Investitionsbereitschaft deutscher Unternehmen stärker", sagt Galia Shunusalijewa, die Repräsentantin der deutschen Handelskammern in Kasachstan, dem Abendblatt. Ein Grund dafür sei, dass Kasachstan von der Rohstoffabhängigkeit wegkommen und in anderen Branchen stärker werden wolle.

Rund 1500 Firmen aus der Bundesrepublik unterhalten heute ständige Kontakte mit kasachischen Partnern, etwa 500 sind direkt im Land tätig, fast doppelt so viele wie noch im Jahr 2003. Darunter sind Konzerne wie HeidelbergCement, ThyssenKrupp, Salzgitter, MAN oder die BASF-Tochter Wintershall - genauso wie größere Mittelständler, etwa der fränkische Gipshersteller Knauf, der schon mehr als 40 Millionen Euro in verschiedene Werke investiert hat, oder die Günter Papenburg AG aus Schwarmstedt.

Die niedersächsische Baufirma errichtet gerade ein 100 Kilometer langes Stück Autobahn nördlich von Astana - die erste richtige Betontrasse im Land, sagt Firmenchef Günter Papenburg dem Abendblatt. Weitere 100 Kilometer würden 2008 gebaut, "Das Geld aus dem Ölgeschäft wird zunehmend in die Infrastruktur investiert, davon profitieren wir", sagt Papenburg, der auch eine Umgehungsstraße in Almaty und ein Einkaufszentrum in Astana errichten will. Zwei Büros mit Deutsch-Kasachen aus Niedersachsen hat er eröffnet.

Schon 1993 ist die Hamburger Spedition Brockmüller in das knapp 4900 Kilometer Luftlinie entfernte Almaty gestartet - allerdings via Straße und Schiene. Fast täglich schickt das Unternehmen Lastwagen oder Güterwaggons gen Osten. Sie bringen Nachschub für den florierenden Gebrauchtwagenmarkt. Tausende in Almaty fahrende Autos tragen Aufkleber wie "Schöne Grüße aus dem Harz" oder "Baby an Bord". Der Import für die Händler lohnt sich, denn die Verkaufspreise vor Ort liegen 30 Prozent über den deutschen. "Wir haben schnell gemerkt, welches Potenzial Kasachstan hat", sagt Stefan Gebenus, der für die Region zuständige Logistikmanager. "Stetige Wachstumsraten" verzeichne die Firma, denn auch Bau- und Landmaschinen, Busse, Lkw sowie Baumaterial aus Deutschland seien in Kasachstan begehrt.

Dabei kam der Markteintritt eher zufällig. "Ein Kunde hat uns nach Transportmöglichkeiten in ein komisches Land namens Kasachstan gefragt", erinnert sich Gebenus schmunzelnd zurück. Heute gehört Brockmüller zu den Marktführern im Speditionsgewerbe und beschäftigt mit einer Tochterfirma zehn Mitarbeiter.

Dass das Land nun stärker in den Fokus deutscher Interessen rückt, zeigte die Visite von Wirtschaftsminister Michael Glos, der Almaty und Astana Mitte Oktober mit einer 80-köpfigen Delegation besuchte. Der CSU-Politiker sah einen "äußerst perspektivreichen Partner", der sich mittlerweile zum fünftgrößten Erdöllieferanten der Bundesrepublik entwickelt habe.

Das schwarze Gold ist die Triebfeder des kasachischen Aufstiegs. Von dem teuren Gut hat das neuntgrößte Land der Erde reichlich. Während es bereits 1,3 Millionen Barrel am Tag fördert, lagern geschätzte zehn Milliarden Barrel im Kaspischen Meer. Bis 2015 will Kasachstan zu den zehn größten Erdölexporteuren der Welt gehören. Daneben spült der Verkauf von Eisenerzen, Nickel, Zink oder Mangan Dollar-Millionen in die Kassen von Staat und Unternehmen.

"Die Rohstoffeinnahmen nutzen die Kasachen, um andere Wirtschaftszweige zu stärken", sagt Katrin Morosow vom Ost- und Mitteleuropa Verein in Hamburg. So hätten ausländische Unternehmen gute Chancen, neben der Öl- oder Baubranche auch in der Nahrungsmittel- und Textilindustrie, dem Gesundheitswesen oder dem Tourismus zu investieren. Auch den Automobil- und Finanzsektor halten Experten für interessant. Volkswagen lässt in der Stadt Ust-Kamenogorsk bereits seit dem Jahr 2005 Autos der Marke Skoda montieren. Die Allianz kaufte den Versicherer ATF-Polis. Und die Deutsche Börse kooperiert mit dem Finanzplatz Almaty. Morosow: "Kasachstan eignet sich auch gut, um von dort die gesamte Region Zentralasien erschließen."

Allerdings hemmen Bürokratie, undurchsichtige Gesetze und besonders Bestechung mehr ausländische Investitionen. Polizisten, Zöllner oder Ministeriumsbeamte kassieren gern ein paar Scheine extra für bevorzugte Behandlung, weshalb Kasachstan im Korruptionsranking von Transparency International auf Rang 150 von 180 Staaten liegt. "Häufig kommen deutsche Unternehmen auch bei Ausschreibungen nicht zum Zuge, weil Chinesen oder Türken billigere Preise bieten", sagt BDI-Experte Hoffmann. Allmählich setze sich aber - gerade in der Bauindustrie - ein zunehmendes Qualitätsbewusstsein durch. "Deutsche Investoren sind in der Regel zufrieden in Kasachstan, sie brauchen aber gute Beziehungen und einen langen Atem", weiß Christoph Hanke, Geschäftsführer für International der IHK Köln, die Kasachstan als Schwerpunktkammer betreut.

Verwunderlich ist dennoch, dass deutsche Firmen kaum auf den Nachholbedarf der Kasachen beim Konsum reagieren. Bis auf wenige Ausnahmen wie den Henkel-Konzern, der dort seit einigen Jahren Waschpulver und Spülmittel verkauft, bleiben Markenartikler und Einzelhändler bis heute fern - obgleich in Almaty und Astana ständig neue Einkaufszentren entstehen, wie etwa Ramstor aus der Türkei.

Dabei ist der Westen längst in den Städten angekommen: Junge Frauen flanieren - in Gucci und Mango gekleidet, das neueste Markenhandy am Ohr - selbstbewusst durch die Fußgängerzone, Geschäftsleute im italienischen Seidenanzug parken demonstrativ ihren nagelneuen Mercedes am Straßenrand, während Jugendliche mit schwarz umränderten Augen Musik der deutschen Band Tokio Hotel aus ihrem MP3-Player lauschen oder sich im Internetcafe an der Ecke zu Rap und Heavy Metal mit Computerspielen wie "World of Warcraft" die Zeit vertreiben.

Neben dem westlichen Lebensstil haben besonders die Petro-Dollars sichtbare Zeichen hinterlassen. Nördlich von Almaty im ehemaligen Bergdorf Tschimbulak stehen Chalets wie in St. Moritz und Garmisch-Partenkirchen, und unten am Stadtrand verbarrikadieren sich die Reichen hinter Mauern und Schranken in Villen, die denen an der Elbchaussee in nichts nachstehen.

Inzwischen profitiert auch die Mittelschicht vom Aufschwung. Gut ausgebildete Kasachen verdienen in den heimischen Ölfirmen oder bei westlichen Konzernen nicht selten 5000 Dollar und mehr im Monat - bei einer deutlich geringeren Steuer als hierzulande. Und wer sich mit Benzinhandel oder Autoimporten selbstständig gemacht hat, der fährt standesgemäß mit einem dicken Jeep vor dem eigenen Haus vor.

73 Prozent der Kasachen sagten vor Kurzem in einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts VZIOM, sie seien mit ihrem Leben zufrieden. Unter den ehemaligen Sowjetrepubliken war dies der höchste Wert. Zum Vergleich: 61 Prozent der Ukrainer zeigten sich unzufrieden.

Schattenseiten, freilich, gibt es reichlich: Zu einem zunehmenden Problem wird die Inflation. Sie lag nach Berechnungen der Bundesagentur für Außenwirtschaft (bfai) unter Einbeziehung der explodierenden Immobilienpreise im vergangenen Jahr bei 17 bis 20 Prozent. Selbst Obst und Gemüse, vor Jahren noch spottbillig, kostet heute zum Teil mehr als in Deutschland.

Zudem steigt die soziale Ungleichheit rasant. In Dörfern, nur eine halbe Stunde von Almaty entfernt, verfallen hundert Jahre alte Holzhäuser. Bauern treiben ihr Vieh mitten durch den Verkehr, Mütterchen mit geblümten Kopftüchern sitzen am Straßenrand und verkaufen selbst gepflückte Birnen und Himbeeren. Die Menschen hier leben von einem kargen Einkommen, viele müssen ohne Warmwasser und Telefon auskommen und ihren Toilettengang im Plumpsklo erledigen. Mit Borat aber hat dies nichts zu tun. Den gibt es nur auf der Kinoleinwand.