Bioprodukte boomen, doch die Verbraucher sind oft skeptisch, ob die Qualität den höheren Preis wirklich rechtfertigt. Bio-Kontrolleur Gerd-Ullrich Krug wacht darüber, dass die Vorschriften des Bio-Siegels auch eingehalten werden.

Hamburg. Die Tomaten sind ein Problem. Zwei Kisten stehen in dem schlichten Regal mit der selbst gemachten Aufschrift "Bio". Auf den spanischen Kisten selbst aber fehlt sowohl das staatliche Bio-Siegel, als auch die notwendige Nummer der zustän-

digen EG-Kontrollstelle. "Außerdem sollten diese Tomatenkisten eigentlich verschlossen sein", sagt Gerd-Ullrich Krug (45), während er ein wenig ungnädig durch die Lagerhalle auf dem Hamburger Großmarkt blickt. "Da muss ich mal bitte den Lieferschein sehen." Krug ist Bio-Kontrolleur, genauer gesagt ist der Agraringenieur mit dem korrekten Scheitel und der Krawatte unterm grauen Pulli stellvertretender Leiter der EG-Kontrollstelle Kiel. Diese überwacht zusammen mit 23 anderen, privaten Instituten die Einhaltung der Qualitätsstandards des bundesweit gültigen Bio-Siegels. Es soll den Verzicht auf gentechnisch veränderte Organismen ebenso sicherstellen wie die Fütterung mit ökologischen Futtermitteln oder eine artgerechte Tierhaltung. Geregelt ist das alles in der EG-Öko-Verordnung. Seit das markante, sechseckige Qualitätskennzeichen vor fünf Jahren eingeführt wurde, hat der Handel mit Ökoprodukten einen wahren Boom erlebt. Gut 34600 Produkte sind heute mit dem Siegel gekennzeichnet. Der Öko-Umsatz schnellte allein im vergangenen Jahr um 14 Prozent auf mittlerweile vier Milliarden Euro in die Höhe. Selbst Billigketten wie Lidl oder Plus trauen sich an die Bioprodukte heran, seit das Siegel einen staatlichen Mindeststandard für Ökoprodukte garantiert.

Vor allem die Dokumente werden kontrolliert

Doch der Bio-Boom hat viele Verbraucher auch skeptisch gemacht. Wie gut ist die Qualität der Waren wirklich, für die ein deutlich höherer Preis im Vergleich zu konventionellen Lebensmitteln gezahlt werden muss? Und wie dicht ist das Überwachungsnetz?

Bio-Kontrolleur Krug ist heute bei dem Großhändler Marker im Einsatz. Der Obst- und Gemüsespezialist (Werbespruch: "bemerkenswert knackig") hat gerade erst mit dem Handel mit Bioprodukten begonnen. Gerade einmal ein Regal umfasst sein bescheidenes Angebot. Vor allem Sojabohnen bezieht Marker von einem weiteren Zwischenhändler, weil diese von Hamburger Restaurants besonders nachgefragt werden. Der Lieferant hat auch die beanstandeten Tomaten mitgeschickt. Was Agraringenieur Krug auf dem Großmarkt macht, ist vor allem eine Dokumentenkontrolle. Stehen die richtigen Prüfsiegel auf den Packungen? Ist die Nummer der Kontrollstelle, die in Deutschland immer nach dem Muster "DE 00 Öko-Kontrollstelle" aufgebaut ist, auf der Packung und auf dem Lieferschein vermerkt?

Bei den Tomaten wirft er zusätzlich noch einen kurzen Blick auf die Ware selbst. "Biotomaten sind in der Regel dunkler und kleiner als konventionell erzeugte, dafür sind sie aromatischer im Geschmack." Anders sehen die Tests beim Erzeuger, etwa auf einem Bio-Bauernhof aus. Hier misst Krug schon mal nach, ob die Milchkühe genügend Platz zum Ausruhen haben (mindestens sechs Quadratmeter) oder die Legehennen sich nicht auf die Krallen treten (maximal sechs Tiere pro Quadratmeter sind gestattet). Wenn es um den verbotenen Einsatz von Pestiziden geht, schaut der Kontrolleur erst einmal in die "dunklen Ecken" auf einem Hof, um mögliche Schädlingsbekämpfungsmittel aufzustöbern.

Ebenso wichtig ist das Wissen über die Felder anderer, konventionell arbeitender Bauern, die an den Bio-Hof angrenzen. "Es kann sein, dass die dort eingesetzten Pestizide auf die Felder eines Bio-Bauern mit übertragen werden", sagt Krug, der selbst auf einem Bauernhof aufwuchs.

180 Betriebe in Schleswig-Holstein, Hamburg, Bremen und Niedersachsen betreut die Kieler Kontrollstelle mit insgesamt drei Prüfern. Einmal im Jahr muss jedes dieser Unternehmen mit einem Besuch rechnen, allerdings können sich die Betroffenen gut darauf einstellen: Der Prüfer kommt fast immer angemeldet. Lediglich zehn Prozent aller Kontrollen finden ohne Anmeldung statt. "Eine Einsicht in die kompletten Dokumente eines Unternehmens ist ohne Anmeldung kaum möglich", begründet Krug dieses Vorgehen. Ein weiteres Problem bei Produktionsbetrieben: "Die Hygienevorschriften machen es schwer, ohne vorherige Absprache auf das Gelände zu kommen." Ebenso selten wie unangemeldete Kontrollen sind Laboruntersuchungen von Lebensmitteln. Gerade einmal zehn Proben hat Krug in diesem Jahr genommen, sie unter anderem auf gentechnische Veränderungen und Rückstände aus Pflanzenschutzmitteln untersuchen lassen. "Reis und Mais sind besonders gefährdet, wenn es um gentechnische Veränderungen geht", sagt er. "Da testen wir am häufigsten."

Gravierende Strafen kommen eher selten vor

Nur in einem Fall musste Krug bislang mit der Aberkennung des Bio-Status drohen. Der Betrieb hatte Biomöhren und konventionelles Gemüse in einer Lagerhalle aufbewahrt. "Die Kisten standen querbeet, sodass niemand mehr erkennen konnte, was nun Bio-Ware war und was nicht." Bevor er seinen Status als Bio-Betrieb einbüßte, entschied sich der Unternehmer von alleine, künftig keine Bioprodukte mehr anzubieten. Kleinere Verstöße, wie etwa fehlende Dokumente, kommen laut Krug hingegen bei jedem zweiten Biobetrieb vor. "Diese haben aber in der Regel keine gravierenden Konsequenzen, weil die Unterlagen meist nach wenigen Tagen nachgereicht werden", sagt der Kontrolleur. Wie viele Verstöße es in Deutschland gegen Auflagen der Öko-Verordnung gegeben hat, lässt sich nicht sagen.

Kritiker befürchten eine Verwässerung der Vorschriften

Aus Sicht von unabhängigen Verbraucherorganisationen wie Foodwatch müssten im Bio-Kontrollsystem eigentlich viel häufiger echte Proben gezogen werden. "Das generelle Problem aller Lebensmittelkontrollen besteht darin, dass sie sich zu stark auf das Sichten von Dokumenten beschränken", sagt Foodwatch- Vorstand Thilo Bode. Doch statt das Kontrollsystem effektiver zu machen, sieht es derzeit eher nach einer Aufweichung der Vorschriften aus.

Gerade erst hat der Rat der europäischen Agrarminister eine Novelle der Öko-Verordnung verabschiedet, die noch vom EU-Parlament abgesegnet werden muss. "Wir befürchten durch die Novelle eine Verwässerung der Öko-Verordnung", sagt Alexander Gerber, Geschäftsführer des Bunds Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW). Unter anderem sollen nämlich die Importvorschriften für Bioprodukte aus NichtEU-Staaten gelockert werden.

Diese sehen derzeit vor, dass jede Lieferung, etwa von Bio-Bananen, mit einem ÖkoZertifikat versehen wird, das die Qualität bescheinigt. Ausgestellt wird es von Kontrollbehörden im Herkunftsland, die mit den gleichen Standards wie die EU arbeiten. Künftig soll es genügen, dass Hersteller und Empfänger von Ökoware als Biobetriebe anerkannt sind. Den fraglichen Biotomaten vom Hamburger Großmarkt will Kontrolleur Krug übrigens in den kommenden Wochen weiter nachgehen. "Erst einmal hat sie der Betrieb aber aus dem Verkehr gezogen und verkauft sie nicht weiter als Bioware", sagt er. "Das ist eine freiwillige Maßnahme."

\* BIO-SIEGEL

Das Bio-Siegel tragen alle Produkte, die nach der EU-Ökoverordnung hergestellt wurden. Sie verbietet die Bestrahlung von Lebensmitteln, Einsatz gentechnisch veränderter Organismen und von leicht löslichem mineralischem Dünger. Ebenfalls untersagt ist die Verwendung von Pflanzenschutzmitteln auf chemisch-synthetischer Basis (Pestizide). Die Tierhaltung muss "artgerecht" sein, was bei Milchkühen z. B. bedeutet, dass die Tiere einen strohbedeckten Platz zum Schlafen haben. Medikamentengabe ist nur gestattet, um einem Tier unnötige Leiden zu ersparen.

www.bio-siegel.de

\* BIOLAND

Im nach eigenen Angaben größten Anbauverband Deutschlands sind heute 4500 Biobauern und 720 Hersteller wie Bäckereien, Metzgereien oder auch Restaurants zusammengeschlossen. Hervorgegangen aus der Schweizer Bauernheimat-Bewegung 1925 achten Bioland-Betriebe heute vor allem die Einhaltung einer Kreislaufwirtschaft. Die Anzahl der Tiere auf einem Bioland-Betrieb ist an die bewirtschaftete Fläche gebunden. Das heißt: Es dürfen nur so viele Tiere gehalten werden, wie Futter auf den eigenen Betriebsflächen erzeugt werden kann.

www.bioland.de

\* DEMETER

Demeter ist das Markenzeichen für Produkte aus der sogenannten biologisch-dynamischen Wirtschaftsweise. Neben dem obligatorischen Verzicht auf synthetische Dünger und chemische Pflanzenschutzmittel beziehungsweise künstliche Zusatzstoffe in der Weiterverarbeitung sollen die Landwirte auch eine "gezielte Förderung der Lebensprozesse im Boden und in der Nahrung" gewährleisten. Angeregt durch die Philosophie Rudolf Steiners, des Begründers der Anthroposophie, betrachten sie ihren Hof als einen "lebendigen, einzigartigen Organismus". www. demeter.de

\* NATURLAND

Der Naturlandverband wurde 1982 ins Leben gerufen. Er zertifiziert nicht nur in Deutschland, sondern weltweit Ökoprodukte und setzt sich auch für Projekte wie die naturschonende Shrimps-Produktion ein. Die Regeln für den Landbau sind strenger als in der EG-Verordnung. So ist nur die komplette Umstellung eines Betriebs auf Ökoproduktion möglich. Das verwendete Futter muss mindestens zur Hälfte vom eigenen Betrieb oder aus der Umgebung stammen. Der Einsatz der Gesamtdüngermenge ist begrenzt, während es in der EG-Verordnung keine Obergrenze gibt.

www.naturland.de

\* QS-PRÜFZEICHEN

Das QS-Prüfzeichen ist kein Bio-Siegel, sondern kennzeichnet Produkte aus der konventionellen Landwirtschaft. Es wird von der QS GmbH vergeben, die der CMA, der Centralen Marketing-Gesellschaft der deutschen Agrarwirtschaft untersteht. Eingeführt wurde es nach der BSE-Krise, um das Vertrauen in die Lebensmittel zu stärken. Organisationen wie foodwatch kritisieren das QS-Siegel heftig, weil es nach ihrer Auffassung nur die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften kennzeichnet und damit eine zusätzliche Qualität vorgaukelt, die nicht vorhanden ist. www.q-s.info

\* GÄA

Hinter diesem Siegel verbirgt sich ein Zusammenschluss von rund 485 Betrieben, die überwiegend in Ostdeutschland aktiv sind. Der Name Gäa (Gaia) stammt aus der altgriechischen Mythologie und bedeutet "Urmutter Erde". Den Mitgliedern geht es unter anderem darum, regionale Strukturen aufzubauen, das heißt eine Kette aus Erzeugung, Verarbeitung und Vermarktung in den Regionen zu verankern. In einigen Punkten gehen die Gäavorschriften über die EG-Richt-linie hinaus, etwa beim Einsatz von Enzymen in Fruchtsäften.

www.gaea.de