Hanno Wiedenhaus (Hamburger Abendblatt): Herr Senator, Sie haben in der Vergangenheit mit diversen Vorstößen in verschiedene Richtungen überrascht. Gibt es einen roten Faden? Was hat Priorität?

Senator Roger Kusch : Die höchste Priorität hat eine Justizpolitik, die sich an den Bedürfnissen der Menschen orientiert und sich ihrer Sorgen und Nöte annimmt. In erster Linie geht es mir um die Sicherheit der Bevölkerung. All die angestoßenen Themen, also Sterbehilfe und Jugendstrafrechtsreform, sind nicht spontan entstanden, sondern haben einen langjährigen, auch wissenschaftlichen Hintergrund. Die öffentliche Diskussion hat sich an zwei Aufsätzen in Fachzeitungen entzündet. Ich sehe meine Aufgabe darin, bedeutende Themen aufzugreifen.

Karl-Joachim Dreyer (Handelskammer): Weiß die Justiz, wo sie welche Kosten produziert?

Senator Kusch: Wir haben Kosten von rund 450 Millionen Euro im Jahr. Davon nehmen wir ein Drittel selbst ein. Von den 450 Millionen Euro geben wir 128 Millionen Euro für den Strafvollzug aus. So geben wir ein Drittel pro Person mehr aus für den Strafvollzug als die Berliner. Sicher könnten wir sparsamer sein, aber das hinterließe Spuren, vor denen wir Angst haben. Beim Jugendstrafvollzug darf man nicht sparen.

Wiedenhaus: Sollte unter der Regie der Justizbehörde nicht auch die Bürokratie in Hamburg abgebaut werden?

Senator Kusch: Wir haben alle Vorschriften der Stadt auf den Prüfstand gestellt und festgestellt, daß die meisten Vorschriften, die die Wirtschaft belasten, Bundesvorschriften sind. Im übrigen haben wir 2005 eine Vielzahl von Vorschriften dereguliert. Aber ich gebe zu bedenken: Das Aufheben von Vorschriften ist nicht automatisch besser.

Hans-Jörg Schmidt-Trenz (Handelskammer): Was brächten Gesetze mit Verfallsdatum für Hamburg?

Senator Kusch: Da bin ich eher skeptisch. Entweder man regelt etwas dauerhaft, oder man regelt es nicht.

Heiko Zier (Hamburgische Notarkammer): Das Hamburgische Berufsrecht für Notare ist bisher vorbildlich gewesen. Wir sind gut organisiert. Doch im Moment wissen wir nicht, wie es weitergehen soll. Sie haben uns mit einer neuen Notarverordnung überrascht.

Senator Kusch: Bisher hat Hamburg immer eine andere Notarverordnung als andere Bundesländer gehabt. Wir haben uns immer mehr von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes entfernt. Das hätte eines Tages zu großen Schwierigkeiten führen können. Wir brauchen die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs als Maßstab in Hamburg. Und wir werden sicher einen Weg finden, alle Zweifel auszuräumen.

Joachim Lemppenau (Volksfürsorge): Ich habe das Gefühl, hier wird Bürokratie aufgebaut und nicht abgebaut.

Detlef Thomsen (Notar): Herr Senator, unser Notarsystem hat in Hamburg immer geklappt. In Deutschland hat man uns beneidet. Es wird Prozesse um die neue Notarverordnung geben.

Senator Kusch: Eine Aufsichtsbehörde wie die meine kann ihrer Aufsicht nicht nachkommen, indem sie ihre Aufsicht nicht ausübt. Und ich denke, die Notare werden keinen Schaden nehmen. Wir zerschlagen keine Strukturen.

Axel C. Filges (Hamburgische Rechtsanwaltskammer): Das Thema Notare wirft gleichzeitig das Thema Kommunikation und Vertrauen auf. Wir alle wollen eine funktionierende Justiz, und das hat etwas zu tun mit Vertrauen und Kommunikation. Die Justiz muß nicht nur, wie Sie gesagt haben, geräuschlos funktionieren, sondern die Dinge aussprechen, aufdecken und ändern. Alles hat bisher gut in Hamburg funktioniert. Auch bei den Richtern. Da richten Sie jetzt aber Stadtteilgerichte ein, und auf der anderen Seite reden wir über den Nordstaat und ein gemeinsames Landesarbeitsgericht in Neumünster. Was kommt da auf die 8000 Hamburger Anwälte zu? Man muß vor solchen Beschlüssen mit den Betroffenen diskutieren.

Senator Kusch: Moment. Noch gibt es lediglich eine interne Arbeitsgruppe, die prüft, ob mit der Zusammenlegung von Gerichten Kosten gesenkt werden können. In diese Berechnung fließt natürlich auch der mögliche zusätzliche Aufwand der Anwälte mit ein. Sobald die Ergebnisse auf dem Tisch liegen, gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder wir lassen es, oder wir halten es für machbar. Im zweiten Fall wäre es selbstverständlich, die Dinge miteinander zu besprechen, bevor Entscheidungen getroffen werden. Zum Thema Richterwahl: Wir brauchen mehr Durchlässigkeit, also auch die Möglichkeit, daß Staatsanwälte Richter werden können. Und ich denke, daß unser neues Einstellungsverfahren dies vereinfacht.

Wilhelm Rapp (Hanseatisches Oberlandesgericht): Beim Richterwahlausschuß ist es meines Erachtens nach der Neuregelung nicht einfacher und besser geworden. Es soll doch ein ergebnisoffenes Auswahlverfahren geben. Aber das sehe ich noch nicht.

Henning Voscherau (Notar): Ihr Strafvollzug belastet die Resozialisierung. Eine Resozialisierung ist in Ihren Sonderanstalten einfach nicht möglich.

Marc Schwieger (Scholz and Friends): Die Öffentlichkeit nimmt derzeit Ihre Vorstöße als persönliche Vorstöße wahr. Wie empfinden Sie das?

Senator Kusch: Wenn ich mich im Abendblatt persönlich mit einem Namensbeitrag zur Sterbehilfe äußere, ist das eine private Meinung, eine Gewissensentscheidung. Die Notarverordnung hingegen ist ganz klar Behördentätigkeit. Aber es stimmt schon: Heute wird Politik einfach viel mehr personalisiert. Ob das gut ist, weiß ich nicht.