Osnabrücker Hersteller macht teuren Sozialplan für drohende Zahlungsunfähigkeit verantwortlich. IG-Metall weist Vorwurf als “unverschämt“ zurück. Autoexperte Dudenhöffer greift Wulff an. Karmann-Chronik mit historischen Fotos.

Hamburg. Schlechte Nachrichten gehören bei den Beschäftigten von Karmann seit Monaten fast schon zum Alltag. Zur Rettung des angeschlagenen Autobauers akzeptierten sie bereits drastische Stellenkürzungen und die Stilllegung des Fahrzeugbaus. Doch am Mittwoch überraschte sie ihr Arbeitgeber mit dem Schlimmsten: Der traditionsreiche Cabriolet-Hersteller stellte Insolvenzantrag beim Amtsgericht in Osnabrück.

Damit stehen rund 3600 Mitarbeiter in den Werken Osnabrück und Rheine vor einer unsicheren Zukunft. "Das muss man erst mal verdauen. Ich bin nur noch wütend, enttäuscht und sprachlos", sagte eine Mitarbeiterin dem Abendblatt.

Karmann ist der erste deutsche Autobauer, der im Zuge der Wirtschaftskrise in die Pleite schlittert. Als Gründe für die drohende Zahlungsunfähigkeit nannte der Hersteller neben der Autoabsatzkrise vor allem die finanziellen Verpflichtungen, die dem Autobauer durch die Erfüllung eines Sozialplans in Folge eines kräftigen Stellenabbaus entstanden sind. "Der alle Planungen sprengende Umsatzrückgang hat dazu geführt, dass der mit den Arbeitnehmervertretern vereinbarte Sozialplan nicht mehr zu finanzieren ist", so der Konzern. Gleichzeitig verwies das Unternehmen darauf, dass es dennoch zukunftsfähig sei: "Karmann ist im Kern sanierungsfähig und praktisch frei von Bankkrediten."

Mit der Insolvenz gehen bei Karmann jedoch nicht gleich die Lichter aus. Die Regie in dem Unternehmen übernimmt ab sofort der Insolvenzverwalter Ottmar Hermann. Der Frankfurter Rechtsanwalt hatte unter anderem die Pleite des Baukonzerns Philipp Holzmann abgewickelt. Hermann wollte sich noch nicht zu Karmann äußern, sondern sich zunächst ein Bild der Lage verschaffen.

Bei Karmann kriselt es bereits seit längerem. Der Autobauer, der in den 1950er Jahren vor allem durch das einstige Kultmodell Ghia bekannt wurde, gelang es zuletzt nicht mehr, neue Aufträge von Audi, Mercedes oder Chrysler an Land zu ziehen. Die Firmen behielten die Cabrioproduktion zur Sicherung ihrer Arbeitsplätze im eigenen Konzern. Auch die Produktion des VW-Golf-Cabrios konnte Karmann nicht gewinnen. Als Konsequenz beschloss das Unternehmen im vergangenen Herbst, die Fahrzeugproduktion in Osnabrück im Mai zu schließen. Stattdessen wollte man sich auf Cabrio-Dachsysteme und Entwicklung konzentrieren. Auch die Suche nach Käufern für einzelne Firmenteile verlief bisher erfolglos.

Die IG-Metall und der Betriebsrat wehrten sich unterdessen massiv gegen die vorgebrachten Insolvenzgründe von Karmann. "Es ist eine Unverschämtheit, die Insolvenz auf die Sozialplankosten abzuwälzen, zumal noch nicht einmal Abfindungen bezahlt werden", empörte sich der IG-Metall-Bevollmächtigte in Osnabrück, Hartmut Riemann. Hauptursachen seien vielmehr eine "verfehlte Unternehmenspolitik". Die Gesellschafter hätten nichts getan, um neue Auftraggeber zu finden und das Unternehmen zu erhalten.

Der Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer sieht große Versäumnisse auch bei der niedersächsischen Landesregierung. Sie hätte über ihre VW-Beteiligung dem Autobauer Aufträge verschaffen können. "Von Wulff hätte man mehr Einsatz für Karmann erwarten können", so Dudenhöffer polemisch: "Einmal weniger bei Anne Will in der Talksendung sitzen und sich dafür ums eigene Land zu kümmern, wäre nicht schlecht gewesen." Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) reagierte unterdessen betroffen. Es sei "ein enttäuschender Tag für Karmann und ein besonders bitterer Tag für die vielen hochqualifizierten Beschäftigten". Karmann ist für die deutsche Autoindustrie zwar nicht systemrelevant, aber laut Dudenhöffer durchaus ein Unternehmen mit Zukunft. "Cabrios sind zwar nur ein Nischenmarkt, bleiben aber gefragt." Karmann müsse aber neu aufgestellt werden und sich zum Beispiel auf Dächer konzentrieren, so Dudenhöffer zum Abendblatt: "Spätestens in fünf Jahren werden die Autokonzerne wieder Bereiche ihrer Produktion auslagern. Dann haben Hersteller wie Karmann durchaus gute Chancen."


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