Verbraucherschützer fordern eine klare Kennzeichnung für Nahrungsmittel. Der Gehalt von Fetten, Zucker, Salz und Kalorien sollte per Ampelsystem auf jeder Packung gekennzeichnet sein.

Hamburg. Hamburger Abendblatt:

Neben der Finanzmarktkrise ist die Bekämpfung des Hungers eine der größten Herausforderungen der Globalisierung. Gibt es zu wenig Nahrungsmittel auf der Welt um alle Menschen zu ernähren?

Thilo Bode:

Die Unterernährung ist keine Folge mangelnder Nahrungsmittel, sondern der fehlenden Kaufkraft in den Entwicklungsländern. Hauptursache ist Armut. Man könnte genug Lebensmittel für alle produzieren.



Abendblatt:

Weltweit leiden fast eine Milliarde Menschen an Unterernährung. Wie kann diese Katastrophe eingedämmt werden?

Bode:

Zwei Wege sind notwendig: Die Politik in den betroffenen Ländern muss sich ändern und ihren Schwerpunkt stärker auf die ländliche Entwicklung, statt auf die Industrialisierung und Stadtentwicklung legen. Außerdem müssen wir Industrieländer unsere Handelsbarrieren gegenüber der Dritten Welt beseitigen und unsere Agrarsubventionen abbauen. Dies wäre auch für den Verbraucher vorteilhaft, da weniger Steuergelder verschleudert würden. Wir Europäer tragen an der Armutssituation eine erhebliche Mitschuld. Die EU gibt jährlich knapp 50 Milliarden Euro für Agrarsubventionen aus. Wir werfen unsere Lebensmittel zu Dumpingpreisen auf die Märkte der Dritten Welt - und zerstören dort die Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Bauern.



Abendblatt:

Ist der Einsatz von Gentechnik in diesen Ländern sinnvoll?

Bode:

Gentechnik geht am Ziel vorbei. Die Ursache für Hunger ist Armut, nicht der Mangel an gentechnisch verändertem Saatgut. Zudem können sich arme Länder dieses teure Saatgut gar nicht leisten.



Abendblatt:

Was halten Sie von gentechnisch veränderter Nahrung?

Bode:

Ich persönlich halte die Gentechnik für einen ökologischen Irrweg. Als Verbraucherorganisation setzten wir jedoch auf Wahlfreiheit. Jeder Käufer soll zwischen Essen mit oder ohne Gentechnik wählen dürfen. Allerdings hat der Bürger diese Wahlfreiheit heute noch nicht, da für gentechnikfreie Lebensmittel die Kennzeichnung "ohne Gentechnik" bisher freiwillig ist und kaum angewendet wird.



Abendblatt:

In Deutschland gibt es immer wieder Lebensmittelskandale. Zuletzt sorgte dioxinhaltiges Schweinefleisch aus Irland für Aufsehen. Wie können solche Verbrechen verhindert werden?

Bode:

Es ist eine Schande, dass es solche Vorfälle in Ländern unseres Zivilisationsgrades überhaupt gibt. Zugleich sind diese Fälle nur die Spitze des Eisbergs. Die meisten Skandale werden gar nicht öffentlich. Beispielsweise wird jede sechste Frischfleischprobe in Bayern und Niedersachsen bei Lebensmittelkontrollen als gesundheitsschädlich eingestuft. Es gibt nicht nur ein paar schwarze Schafe, sondern eine Herde schwarzer Schafe mit ein paar weißen dazwischen.



Abendblatt:

Wie kann dies verändert werden?

Bode:

Das System reizt zum Missbrauch, da es schwer ist, die Schuldigen mit dem Strafrecht dingfest zu machen. Wichtig wäre, den Markt präventiv über mehr Transparenz zu steuern. So fordern wir, die Ergebnisse von Lebensmittelkontrollen öffentlich zu machen - und zwar mit Namen der Missetäter. Dies erfolgt bisher nur anonymisiert, wegen des Amtsgeheimnisses. Zwar hatte der frühere Verbraucherminister Horst Seehofer Änderung versprochen, doch diese wurde nie umgesetzt.



Abendblatt:

Erwarten Sie sich von der neuen Verbraucherministerin Ilse Aigner mehr Schutz für Konsumenten?

Bode:

Nein. Das Ministerium ist an sich eine Fehlkonstruktion, da es ein Klientelministerium für Landwirte ist. Zwar wird behauptet, die Interessen von Verbrauchern und Landwirten seien identisch, doch das ist absoluter Quatsch. Hersteller wollen ihre Güter zu möglichst hohen Preisen und geringen Kosten verkaufen. Die Verbraucher möchten dagegen höchste Qualität möglichst billig kaufen. Wir bräuchten ein Ministerium, das tatsächlich für den Verbraucher da ist. In diesem Bereich sind wir noch ein Entwicklungsland.



Abendblatt:

Problematisch ist vor allem die fehlende Informationspflicht?

Bode:

Richtig. Nicht nur seitens der Verbraucher, sondern auch der Behörden. Diese ,sollen' lediglich bei Gesundheitsgefahren die Bevölkerung informieren, müssen dies aber nicht. Und dies, obwohl jede Woche unzählige Warnmeldungen zu gesundheitsschädlichen Lebensmitteln im europäischen Schnellwarnsystem angezeigt werden. Aber eben nur anonymisiert.



Abendblatt:

Die Deutschen werden immer dicker, was auch an der falschen Ernährung liegt. Könnten Verbraucher durch bessere Produktinformationen besser aufgeklärt werden?

Bode:

Die Krankheitsfolgekosten von Übergewicht werden auf 70 Milliarden Euro geschätzt. Schon Dreißigjährige erkranken heute aufgrund falscher Ernährung an Diabetes. Ein Grund dafür ist, dass viele Nahrungsmittel zu zucker- und fetthaltig sind. Als die Leute früher gekocht haben, wussten sie, wie viel Salz und Zucker sie ins Essen mixen. Wer weiß heute schon, dass ein Biene Maja Milchdrink pro Liter 44 Würfelzucker enthält, ein Liter Cola 28 Stück oder sogenannte Light-Produkte viel Salz enthalten? Dennoch gibt es auf den Packungen keinen Warnhinweis. Das ist Körperverletzung durch Irreführung.



Abendblatt:

Was schlagen Sie vor?

Bode:

Wir brauchen dringend eine auffällige Kennzeichnung von Lebensmittel in Form einer "Ampel". Auf einen Blick muss farblich - per Rot, Gelb, Grün - sichtbar sein, ob viel oder wenig Zucker, Fette, Salz und Kalorien in den Produkten enthalten sind. Die Industrie stemmt sich gegen diese Idee, da ein sehr großer Teil ihrer Produkte zu nährstoffreich sind. Sie schlägt eine eigene freiwillige GDA-Kennzeichnung (Guideline Daily Amount) mit Zahlen und Prozenten vor, die aber niemand versteht.



Abendblatt:

Woran kann ein Verbraucher gute Lebensmittel erkennen?

Bode:

Das ist schwierig. Der Preis ist jedenfalls nicht ausschlaggebend. Denn: Teuer ist nicht immer auch gut und billig nicht immer schlecht. Discounter beziehen zum Beispiel ihr Fleisch oft vom selben internationalen Fleischmarkt wie Einzelhändler, können es aber aufgrund ihrer großen Einkaufsmengen deutlich günstiger verkaufen. Um Produkte zu unterscheiden, fordern wir deshalb die Einführung von Qualitätsklassen. So könnten auf den Produkten zum Beispiel der Verzicht auf Zusatzstoffe definiert werden oder eine spezielle Fütterung von Tieren.



Abendblatt:

Bio wird immer beliebter. Doch wie viel Bio steckt noch in Tomaten aus Spanien, die einmal quer durch Europa transportiert werden?

Bode:

Bioprodukte werden ökologischer hergestellt als konventionelle Produkte. Dies ist grundsätzlich gut. Das heißt aber nicht, dass sie deshalb ausnahmslos umweltfreundlich sind. Wer viel Milch oder Käse isst, verursacht über die Landwirtschaft viele Treibhausgase. Biotomaten aus Spanien oder Bioerdbeeren aus Südafrika sind aufgrund ihrer langen Transportwege ebenfalls wenig ökologisch. Und auch Biogummibärchen dürfen als "fettarm" beworben werden, obwohl sie schon durch ihren hohen Zuckergehalt von 80 Prozent kein Gesundbrunnen sind.



Abendblatt:

Was halten Sie von den neuen Fitnessprodukten?

Bode:

Die Lebensmittelindustrie stößt immer mehr an die Grenzen ihres Wachstums. Deshalb werden neuerdings Produkte erfunden, die angeblich auch einen präventiven Gesundheitsnutzen haben. So wirbt beispielsweise die Firma Danone damit, dass Actimel die Abwehrkräfte stärke und suggeriert damit einen Schutz vor Erkältungen. Nur: Ein ganz normaler Joghurt stärkt auch die Immunkräfte, während Actimel gut das Dreifache kostet und zudem eine Zuckerbombe ist. Eine unverschämte Geldschneiderei!



Abendblatt:

Ihre Ausführungen machen nicht gerade Appetit.

Bode:

Ich habe den Spaß am Essen dennoch nicht verloren. Allerdings koche ich fast nur noch zu Hause und gehe kaum mehr in Restaurants, weil ich dort noch weniger weiß, was ich auf den Tisch bekomme. Ich versuche möglichst viel Frisches zu kaufen, greife bei Gemüse aber auch mal zu Tiefkühlprodukten.



Abendblatt:

Was kommt bei Ihnen bevorzugt in den Kochtopf?

Bode:

Ich versuche mich ganz normal zu ernähren. Vom Müsli bis zum Schweinebraten - eben alles, was mir schmeckt.



Abendblatt:

Und was empfehlen Sie den Verbrauchern?

Bode:

Misstrauen ist angesagt. Und Wut, dass man sich in einem zivilisierten Land wie Deutschland mit Gammelfleisch rumschlagen muss, zum Teil vergiftet wird und sich nicht dagegen schützen kann.