Viele Länder leiden unter Nachfragerückgang in Westeuropa. Manche Staaten erhalten keine Kredite mehr.

Hamburg. Hamburger Abendblatt:

Herr Mirow, Sie sind seit Anfang Juli 2008 als Chef der Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE) in London. Wie fühlen Sie sich in der britischen Hauptstadt?

Thomas Mirow:

London ist eine der attraktivsten Städte der Welt. Die Lebendigkeit der Innenstadt und das Grün der Parks genieße ich. Dennoch versuche ich natürlich, an den Wochenenden so oft wie möglich in Hamburg bei meiner Familie zu sein.



Abendblatt:

Als Finanzstaatssekretär in Berlin müssten Sie jetzt Deutschland durch die Krise steuern. Auf die Osteuropabank, wie die EBWE genannt wird, schauen mindestens 30 Länder, in denen sie aktiv ist. Die Herausforderungen sind gestiegen...

Mirow:

... tatsächlich hat sich die Lage dramatisch verändert. Osteuropa ist leider im Lauf der Finanzkrise in den Mittelpunkt des Interesses gerückt, weil das Wachstum nun nach der Rezession im Westen auch in vielen der sich entwickelnden Volkswirtschaften einbricht.



Abendblatt:

Hat Osteuropa über seine Verhältnisse gelebt?

Mirow:

In vielen Ländern, wie etwa den baltischen Staaten oder in Ungarn, gab es einen rasanten Aufholprozess, bei dem man vielleicht nicht immer das rechte Augenmaß bewahrt hat. Im Zuge des hohen Wachstums wurden auch hohe Schulden gemacht. Beim Ausmaß der Verschuldung, insbesondere in ausländischen Währungen, waren manche nicht vorsichtig genug.



Abendblatt:

Was droht jetzt?

Mirow:

In einigen besonders von der Finanzkrise betroffenen Ländern ist die Kreditvergabe weitgehend zum Stillstand gekommen. In anderen Ländern wie etwa Tschechien oder der Slowakei leidet die lokale Industrie stark unter der schwachen Nachfrage in Westeuropa.



Abendblatt:

Wie viel Geld fehlt in Osteuropa insgesamt?

Mirow:

Wir rechnen in diesem Jahr mit fällig werdenden Krediten von etwa 100 Milliarden Dollar in den osteuropäischen EU-Mitgliedsstaaten und der Ukraine. Russland ist da nicht einbezogen. Wir sagen aber nicht, dass diese Kredite ausfallen, sondern nur dass sie fällig werden. Außerdem fehlt es vielen Banken - wie anderswo auch - an hinreichendem Eigenkapital.



Abendblatt:

Lässt sich die Lücke schließen?

Mirow:

Die Weltbank, die Europäische Investitionsbank und die Osteuropabank stellen zusammen 25 Milliarden Euro bereit. Damit wollen wir die westeuropäischen Banken zusätzlich bewegen, ihre Aktivitäten in der Region nicht einzustellen.



Abendblatt:

Was passiert, wenn die Banken kein Geld bereitstellen?

Mirow:

Wir erwarten nicht, dass es dazu kommen wird.



Abendblatt:

Wie kann die Osteuropabank helfen?

Mirow:

Wir unterstützen Banken, insbesondere damit sie weiterhin Kredite an kleine und mittlere Firmen geben. Zudem sichern wir Exportfinanzierungen oder investieren in die Modernisierung der Energieversorgung. Die EBWE beteiligt sich auch an Firmen und ist oftmals bei der ersten Runde von Privatisierungen mit dabei. Das erhöht die Attraktivität der Unternehmen für Investoren.



Abendblatt:

Ist in Osteuropa noch Wachstum zu erwarten?

Mirow:

Wir erwarten für viele Länder der Region 2009 einen Rückgang der Wirtschaftsleistung. Polen, Tschechien und die Slowakei hoffen auf bescheidenes Wachstum. Die Slowakei profitiert von der Einführung des Euro, weil die Zentralbank die Währung nicht stützen und hierfür keine Devisen ausgeben muss.



Abendblatt:

Sorgt die Krise für ein steigendes Interesse am Euro?

Mirow:

Viele Staaten werden versuchen, ihre Anstrengungen zu verstärken. Die besten Aussichten hat derzeit wohl Polen, das den Euro 2012 einführen will.



Abendblatt:

Auch Rumänien braucht Hilfe, weil die Aufträge aus der Euro-Zone ausbleiben.

Mirow:

Das Land hat ein hohes Leistungsbilanzdefizit und kann derzeit wegen der Rezession im Westen deutlich weniger exportieren. Ersten Angaben zufolge will Rumänien an die 19 Milliarden Euro, um die Finanzen des Staates zu stützen.



Abendblatt:

Wie wirkt sich die Staatsverschuldung auf die Menschen aus?

Mirow:

Hilfen sind immer auch mit Erwartungen an die Regierungen verbunden, Haushaltsausgaben zu beschränken. Rumänien hatte 2008 mit über sieben Prozent eine der höchsten Wachstumsraten in der EU. Jetzt müssen sich viele Menschen darauf einstellen, dass die Einkommen sinken oder zumindest auf einem immer noch niedrigen Niveau stagnieren.



Abendblatt:

Westliche Banken sind engagiert, Unternehmen produzieren im Osten. Kommt es jetzt zu einem Rückzug?

Mirow:

Die westlichen EU-Länder haben nicht nur eine politisch-moralische Verantwortung. Ost- und Mitteleuropa waren über 20 Jahre auch eine ihrer wichtigsten Wachstumsquellen. Die Lehre aus der Krise ist, dass sich niemand von anderen Teilen eines Kontinents oder auch der Welt abschirmen kann. Arbeitsmarkt, Wachstum und Stabilität des Bankensystems in einem Teil der Welt haben immer Rückwirkungen auch auf andere Regionen.



Abendblatt:

Besteht die Gefahr, dass politische Krisen und soziale Unruhen ausgelöst werden?

Mirow:

Man soll das nicht heraufbeschwören. Aber eine stabile Ökonomie ist ohne Zweifel die wichtigste Grundlage für politische Stabilität.



Abendblatt:

Was sind die nächsten Schritte der Osteuropabank?

Mirow:

Wir haben einen Beitrag zu der 25 Milliarden Euro Bankeninitiative für Osteuropa geleistet. 2009 planen wir ein Geschäftsvolumen von sieben Milliarden Euro, das entspricht einem Zuwachs um 25 Prozent gegenüber 2008. Das ist unsere Antwort auf die Krise. Die Mittel werden bereitgestellt, obwohl die Bank 2008 als Folge der Abwertungen unserer Beteiligungen rote Zahlen geschrieben hat. Aus ihren Engagements steigt die Osteuropabank nicht aus.



Abendblatt:

2008 lag das Minus bei 602 Millionen Euro. Was ist für 2009 zu erwarten?

Mirow:

Wir werden auch in diesem Jahr die Folgen der Krise spüren und wohl wieder Verluste hinnehmen müssen. Doch wir haben in guten Jahren erhebliche Reserven gebildet, sind daher gut mit Kapital ausgestattet und können begrenzte Risiken gut tragen.