Die osteuropäischen Staaten können die Rezession nicht aus eigener Kraft meistern. Internationale Hilfe ist gefragt.

Hamburg. Sie galten als Aufsteiger, sie verzeichneten ein Wirtschaftswachstum, das die meisten Staaten in Westeuropa längst nicht mehr erreichen. Nach dem Ende der europäischen Teilung begannen die Staaten Osteuropas, ihre Märkte zu öffnen. Der Wirtschaft in der Europäischen Union verschafften sie damit wichtige Impulse, und mittlerweile sind die meisten dieser Staaten selbst EU-Mitglieder: Estland, Lettland und Litauen, Polen, Ungarn und Slowenien, Tschechien und die Slowakei, Rumänien sowie Bulgarien gehören heute dazu.

Von der weltweiten Rezession wird Osteuropa nun aber besonders hart getroffen. "Die Region hat in den vergangenen Jahren ausgesprochen stark vom Zufluss billigen Kapitals profitiert, die guten Wachstumsaussichten zogen viel Geld nach Osteuropa", sagt Gyula Toth, Analyst beim italienischen Bankenkonzern Unicredit in Wien. "Nun ziehen viele Geldinstitute ihr Kapital ab. Das bringt die betroffenen Länder in ernste Schwierigkeiten."

Erstaunlich schnell erlebten die meisten Staaten Osteuropas nach der Einführung der Marktwirtschaft einen deutlichen Aufschwung. Fast 20 Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges zeigt sich nun allerdings, dass die ökonomischen Fundamente in der Region nach wie vor schwach und brüchig sind. Der Absturz der jeweiligen Währungen gegenüber dem Euro ist dafür nur ein Indiz. "Die Staaten, die derzeit eine Flucht des ausländischen Kapitals erleben, können sich nicht ohne Weiteres refinanzieren", sagt Jörg Hinze, Ökonom am Hamburgischen Welt-Wirtschafts-Institut (HWWI). "Die privaten Haushalte in diesen Staaten haben längst noch nicht die finanziellen Mittel, um zum Beispiel im größerem Umfang Staatsanleihen zu zeichnen. Damit sinkt automatisch auch die Bonität der Staaten, ihre Position am internationalen Kapitalmarkt wird schwächer."

Besonders stark leiden unter der Krise die baltischen Staaten Lettland, Litauen und Estland, aber auch Ungarn, Rumänien und Bulgarien. Polen und Tschechien stehen hingegen vergleichsweise gut da, Polens Wirtschaft könnte selbst in diesem Jahr weiter wachsen. Ungarn hat Ende 2008 ein Kreditpaket von insgesamt 25 Milliarden Euro des Internationalen Währungsfonds (IWF), der Weltbank und der Europäischen Union bekommen. Das Land leidet besonders unter seiner hohen Verschuldung. Als sicher gilt, dass auch Rumänien einen Notkredit der EU erhalten wird. Hilfe des IWF lehnt Rumänien ab, weil diese in der Regel mit strengen Auflagen für Reformen verbunden sind.

Am Dienstag drängte Ungarns Regierungschef Ferenc Gyurcsany bei der EU-Kommission in Brüssel darauf, dass die Aufnahmeprozedur für neuere EU-Mitglieder in den Euro-Raum verkürzt wird. Davon erhofft er sich mehr wirtschaftliche Stabilität. Eine Veränderung der Regeln steht derzeit allerdings nicht auf der Agenda der Gemeinschaft. Das wirtschaftliche Schlusslicht der Region ist die Ukraine. Die Rezession zieht das Land tief nach unten und macht dessen Hoffnungen zunichte, in absehbarer Zeit Mitglied der EU werden zu können. Die Wirtschaftskrise wird in der ehemaligen Sowjetrepublik verschärft durch den seit Jahren anhaltenden schweren innenpolitischen Konflikt zwischen den beiden wichtigen politischen Lagern. Hinzu kommen die regelmäßigen Machtkämpfe mit Russland um die Lieferung von Erdgas, von dessen Import die Ukraine komplett abhängig ist. "Die Ukraine ist sicher der größte Problemfall in Osteuropa", sagt Gyula Toth von Unicredit. "Das Land hat derzeit keinen nachvollziehbaren wirtschaftspolitischen Rahmen." Ein Kredit des IWF rettete das Land im vergangenen Jahr vor dem Bankrott. Allerdings ist dieser noch nicht vollständig ausgezahlt, weil die Ukraine die zugesagten Wirtschaftsreformen bislang nicht eingeleitet hat.

Der Absturz Osteuropas könnte sich in den kommenden Monaten in Richtung Westen rückkoppeln. Besonders Österreich steht derzeit unter Beobachtung internationaler Finanzinstitutionen. Die Banken des Landes haben nach Osteuropa Kredite mit einem Volumen von rund 216 Milliarden Euro vergeben, das entspricht mehr als 60 Prozent der österreichischen Wirtschaftsleistung. Deutsche Geldhäuser sind derzeit mit rund 170 Milliarden Euro in Osteuropa engagiert. Am Dienstag forderte die österreichische Notenbank die heimischen Institute auf, ihre Kredite in der Region deutlich herunterzufahren und ihr Geschäftsmodell zu ändern. Unicredit-Chef Alessandro Profumo, dessen italienischem Konzern der österreichische Marktführer Bank Austria gehört, versuchte zu beruhigen: "Wir sind wegen Osteuropa nicht beunruhigt", sagte er dieser Tage in Mailand. "Wir glauben, es wird zurzeit etwas über das Ziel hinausgeschossen." Profumos milde Einschätzung kommt nicht überraschend: Kein anderes privates Geldinstitut ist in Osteuropa so hoch investiert wie Unicredit.

Einen Gewinner der Krise gibt es in Osteuropa immerhin auch: Seit einigen Wochen schon stürmen deutsche Konsumenten die Supermärkte in der deutsch-polnischen Grenzregion. Der niedrige Kurs des Zloty zum Euro macht das Einkaufen ostwärts einfach unwiderstehlich.