Uni-Professor Homburg kritisiert Kurs der Bundesregierung und sieht schwarz für die Wirtschaftsordnung.

Hamburg. Bei Beträgen wie diesen kann sogar einem Finanzminister schwindelig werden: Selbst Garantien von 102 Milliarden Euro, davon 87 Milliarden vom Staat, haben bisher nicht ausgereicht, die taumelnde Hypo Real Estate (HRE) zu retten. Schon wird über weitere zweistellige Milliardensummen gesprochen. Der Kapitalbedarf der Bank sei "exorbitant hoch", befand Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD). In aller Eile hat die Regierung ein Gesetz ersonnen, das eine "Rettungsübernahme" der HRE durch den Staat und notfalls eine Enteignung der Altaktionäre vorsieht.

Dieses Vorgehen sei "alternativlos", sagte Kanzlerin Angela Merkel. Trotz ordnungspolitischer Bedenken stimmen ihr viele Finanzfachleute zu - meist mit der Begründung, dass die HRE, die gemessen an der Bilanzsumme ungefähr so groß ist wie die im September zusammengebrochene US-Investmentbank Lehman Brothers, "systemrelevant" sei. Gemeint ist damit: Würde die HRE insolvent, wäre wegen der vielfältigen Verflechtungen das gesamte deutsche Finanzsystem gefährdet.

Doch nicht nur Laien fragen sich, ob eine Bank, deren Name bis zum vergangenen Herbst weitgehend unbekannt war, um einen derart hohen Preis vor der Pleite bewahrt werden muss. Auch Stefan Homburg, Professor für Öffentliche Finanzen an der Universität Hannover, mag sich mit der üblichen Argumentationslinie nicht anfreunden. "Mit dem Wort 'systemrelevant' wird zu leichfertig umgegangen", sagte Homburg dem Abendblatt. Zwar sei es abstrakt vorstellbar, dass die Insolvenz einer einzelnen Bank einen sehr großen Teil des Finanzsystems in den Abgrund reißt. "Nur gibt es in der Geschichte zahlreiche Beispiele für Zusammenbrüche von Banken, aber man findet dabei kein Beispiel für einen solchen Dominoeffekt."

Selbst die Lehman-Insolvenz könne nicht als Beleg dafür herhalten, findet Homburg: "Wo war denn dieser Effekt? Die Bundesregierung hat ihren Bankenrettungsschirm erst vier Wochen nach dem Lehman-Zusammenbruch aufgespannt. Bis dahin hätte ja einiges passieren können."

Auch für die HRE wäre ein Insolvenzverfahren "genau das Richtige", so der unerschrockene Professor: "Dann übernähme ein sachkundiger Insolvenzverwalter die Verantwortung und nicht letztlich Politiker wie im Fall der Verstaatlichung." Eine Insolvenz bedeutet ja auch nicht, dass unmittelbar Arbeitsplätze gefährdet sind. Zwar würden Gläubiger einen Teil ihrer Forderungen abschreiben müssen. "Es könnte aber durchaus sein, dass sie in zwei bis drei Jahren 80 oder 90 Prozent ihrer Investments zurückerhielten."

Bankenexperte Wolfgang Gerke dagegen hält solche Ansichten für "hochgefährlich". Er weist darauf hin, dass die Gläubiger der Münchner Spezialinstituts vor allem Versicherer und Pensionsfonds sind: "HRE ist absolut systemrelevant für den Versicherungsbereich, der bisher recht gut durch die Krise gekommen ist", sagte Gerke dem Abendblatt. Sein Kollege Homburg habe in der Diskussion um den richtigen Umgang mit der Bank zwar ein "interessantes Gedankenspiel" beigesteuert. "Aber ein solches Risiko, eine sensiblen Bereich wie die Altersvorsorge zu gefährden, kann kein Politiker eingehen."

Auch dies sieht Homburg anders: "Risiken werden heute breit gestreut. Es ist kaum anzunehmen, dass bei einer Versicherung mehr als drei Prozent des Anlagevermögens auf Papiere eines einzelnen Unternehmens entfallen." Man könne getrost ausschließen, dass Versicherer ein derartiges "Klumpenrisiko" eingehen: "Dass Menschen wegen einer HRE-Insolvenz später mittellos dastehen, ist eine abwegige Vorstellung."

Doch auch der Finanzminister schreckte davor zurück, es darauf ankommen zu lassen. Schon nach der ersten Rettungsrunde für die Bank im Oktober sagte Steinbrück, er habe in den Abgrund geblickt. Das ist erstaunlich genug angesichts eines Instituts mit gerade einmal 1800 Beschäftigten, das erst seit dem Jahr 2003 eigenständig existiert.

Tatsächlich begann die HRE als eine Art "Bad Bank". Sie entstand, indem die einstige Muttergesellschaft HypoVereinsbank ihr ungeliebtes, weil risikoträchtiges Geschäft mit gewerblichen Immobilienkrediten auslagerte. Aber darin liegt nicht der Grund für die späteren Probleme. Denn zunächst ging alles gut. Der Immobilienmarkt zog an, die Bank stieg sogar in den Deutschen Aktienindex (DAX) auf.

Im Jahr 2007 aber beschloss der damalige Chef Georg Funke, die zuvor von Wiesbaden nach Dublin umgesiedelte Pfandbriefbank Depfa zu übernehmen. Deren Geschäft basierte nicht zuletzt darauf, dass sie langfristige Kreditpapiere ausgab und dafür hohe Zinsen erhielt, dies aber kurzfristig - und zu günstigen Konditionen - gegenfinanzierte. "Als dann die Zinsen stark stiegen, war das Geschäftsmodell kaputt", erklärt Homburg. Es funktionierte erst recht nicht mehr, als sich Banken untereinander nach der Lehman-Pleite kaum noch Geld liehen.

Vom Absturz der HRE wurde auch der US-Investor Christopher Flowers empfindlich getroffen. Ein von ihm beratener Fonds war zu besseren Zeiten mit rund 24 Prozent bei den Münchnern eingestiegen und hatte dafür 22,50 Euro je Aktie gezahlt, insgesamt rund eine Milliarde Euro. Am Freitag ging die HRE-Aktie mit nur noch mit 1,33 Euro aus dem Handel. Zwar ist Flowers nicht gegen eine Übernahme der Anteile durch den Bund. Aber um jeden Preis verkaufen will er nicht. Was kein Wunder ist, denn Flowers hat auch als Anteilseigner der HSH Nordbank viel Geld verloren. Seine Forderung an Steinbrück lautet auf drei Euro je HRE-Aktie. Börsenhändler spotteten daraufhin, die Bank sei doch insgesamt keine drei Euro mehr wert.

Nun will die Bundesregierung den unbequemen Mitgesellschafter notfalls auf gesetzlichem Wege hinausdrängen. Das Wort von der Enteignung, das in diesem Zusammenhang immer wieder auftaucht, sei jedoch unpassend, findet Bankenexperte Gerke: "Wenn praktisch kein Wert mehr da ist, kann man nicht von Enteignung sprechen."

Stefan Homburg argumentiert aber nicht nur gegen eine Zwangsübernahme durch den Bund. Er hält es grundsätzlich für problematisch, wenn man sich gegen Schieflagen durch Fehlspekulationen nun mithilfe von Steuergeldern anstemmt. "Damit wird die Saat gelegt für noch größere Risiken", sagt er. "Ich sehe in diesem Punkt schwarz für unsere Wirtschaftsordnung. Denn eine Marktwirtschaft ohne Haftung gibt es nicht."

Querdenker Homburg setzt sogar noch eins drauf: Er kann nach eigenen Worten nicht nachvollziehen, warum in diesen Wochen immer wieder argumentiert wird, die beispiellose Krise erfordere auch staatliche Stützungsaktionen, wie es sie noch nie gab. "Das Wort Krise lehne ich bezüglich der Wirtschaft ab", sagt der Professor.

Bei aktuell etwas mehr als drei Millionen Arbeitslosen in Deutschland könne davon im historischen Vergleich nicht wirklich die Rede sein: "In den Jahren 1929/30 gab es wirklich eine Krise. Damals kamen auf einen Arbeitslosen nur noch zwei Erwerbstätige. Das entspräche heute 14 Millionen Arbeitslosen in Deutschland."