Der 67-Jährige, der noch heute Morddrohungen bekommt, arbeitet jetzt an einem neuen Konzept für den Arbeitsmarkt.

Saarbrücken. Auch wenn es sein zweites Zuhause ist, das Büro in seiner Stiftung in Saarbrücken, Peter Hartz wirkt hier etwas exotisch. Der Teppich, die Möbel, die Akten, die sich an der nackten Wand hochstapeln, all das erinnert an ein Studentenzimmer aus dem Ikea-Katalog. In der Mitte am ovalen Holztisch sitzt Hartz, die silberne Brille korrespondiert tadellos mit den glänzenden Manschettenknöpfen, der edle dunkle Anzug, die weißen, vollen Haare, der Mann ist eitel. Hartz' Erscheinung ist die eines Spitzenmanagers, draußen vor der Tür parkt sein Phaeton, doch das Büro wirkt wie ein Provisorium.

Wie eine Durchgangsstation zu einem neuen Leben. Zu einem besseren natürlich, in dem Hartz so gerne all die öffentlichen Schmährufe, die Negativschlagzeilen über Hartz IV und die VW-Affäre hinter sich lassen würde. Ich bin ein Mensch "mit vielen Narben", sagt Hartz heute zu den Dingen, die er am liebsten aus seinem Leben streichen würde. Sie bringen ihm bis heute noch fast täglich Morddrohungen ein.

Als Hartz am 16. August 2002 im Französischen Dom auf dem Gendarmenmarkt seine Ideen für den Arbeitsmarkt präsentierte und versprach, so könne man binnen drei Jahren die Arbeitslosigkeit halbieren, ahnte er kaum, dass er dieses Versprechen nicht erfüllen konnte. Dass er später als Arbeiterverräter beschimpft und zum Feindbild Nummer eins für jene Arbeitslosen werden würde, denen er eben nicht helfen konnte.

Und dann der Fall VW: Hier hatte Hartz 1993 unter Ferdinand Piëch als Personalvorstand begonnen, mit der Vier-Tage-Woche 30 000 Entlassungen verhindert und später mit dem Modell 5000 mal 5000 Tausenden Arbeitslosen eine Chance geboten. Aber auch diese Ära mündete in ein Ende mit Schrecken: Im Januar 2007 wurde er vom Landgericht Braunschweig in der Affäre um Lustreisen und andere Vergünstigungen für Betriebsräte wegen Untreue verurteilt. Dass er heute dennoch eine stattliche Pension bekommt, treibt etliche Hartz-IV-Empfänger, die mit 350 Euro im Monat auskommen müssen, nicht überraschend zur Weißglut.

Doch Hartz ist ein Kämpfer - bis heute. Vor einigen Wochen versuchte der Sohn eines Hüttenarbeiters, der sein Abitur auf dem zweiten Bildungsweg baute, einen Schritt in sein neues Leben. Er schickte sich an, ein weiteres Konzept zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit vorzustellen. "Wir können damit in normalen Zeiten jeden dritten Langzeitarbeitslosen wieder in Beschäftigung bringen", gibt sich Hartz jetzt im Gespräch mit dem Abendblatt überzeugt.

Allein in Hamburg könne man so rund 15 000 Erwerbslosen helfen. "Wir können diesen Menschen wieder eine Perspektive geben", sagt er und schafft es für einen Moment, seine Begeisterungsfähigkeit für dieses Thema anklingen zu lassen. "Ich will das einfach so nicht stehen lassen, dass das Problem Langzeitarbeitslosigkeit noch nicht gelöst ist". Nie hat er es verwunden, vielleicht als Manager auch nie ganz begreifen können, dass die in einer Demokratie notwendigen Kompromisse sein Konzept verwässern mussten. Es scheiterte, weil sein Freund Gerhard Schröder seine Pläne nicht so umsetzen konnte wie es Hartz wollte, oder erträumte.

Das Problem Arbeitslosigkeit zu lösen sei eine Herzensangelegenheit für ihn, heißt es auch in seinem Umfeld. Er glaube wirklich fest an seine Konzepte. Diese Überzeugung sei es, die den 67-Jährigen noch immer täglich in sein Büro in der Stiftung treibe, die der Saarländer vor Jahren mit seinem eigenen Geld gründete. Auch wenn "vieles gelitten hat, meine Fachkompetenz habe ich ja noch", sagt er mit einem etwas gequälten Lächeln und kommt wieder zum Thema: "Die Menschen begreifen ja ihre Situation nicht als glücklichen Zustand, sie sind neben den finanziellen Nachteilen häufig isoliert, ihnen fehlt die gesellschaftliche Akzeptanz, und sie zweifeln an ihrer persönlichen sozialen Kompetenz", sagt Hartz, während er vor sich das Konzept mit dem Titel "Minipreneure" aufschlägt, das mit 68 Seiten, Schaubildern und Fußnoten aussieht wie eine Diplomarbeit. "Das haben wir gemeinsam gemacht", sagt er immer wieder, aus Bescheidenheit und vielleicht, weil er weiß, dass er mit seinem Namen als Urheber des Projektes zu stark polarisiert, um es durchsetzen zu können. Mitautoren sind zum Beispiel Hirnforscher wie der Neurobiologe Gerald Hüther, der Psychologe Hilarion Petzold oder der Experte für Personalpsychologie Heinz Schuler. Grundpfeiler des Konzeptes ist die Erkenntnis des Teams um Hartz, dass Arbeitslose nach längerer Zeit ohne Beschäftigung psychologisch in eine Einbahnstraße kommen.

"Wir müssen jetzt nur noch erreichen, dass sich Fachleute damit auseinandersetzen", sagt Hartz, wirkt dabei allerdings selbst nicht ganz überzeugt von seinem Erfolg. Schließlich hat er beim Klinkenputzen nicht mehr Mitstreiter als eine Handvoll Idealisten.

In der Stiftung, die er vor gut zehn Jahren mit eigenem Geld gründete, gibt es nur zwei fest angestellte Mitarbeiter. Einer davon ist sein Sohn Michael, er ist hier Vorstand und sitzt in dem zweckmäßigen Bau der Organisation im Saarbrücker IT-Park am anderen Ende des Flurs. Dazu kommen zwar noch 260 Mitglieder der Stiftung, deren Kürzel für "Saarländer helfen Saarländern" steht. Sie allerdings arbeiten hier nur ehrenamtlich. In erster Linie für das Ziel, dass sich Saarländer auf der ganzen Welt virtuell und im wirklichen Leben vernetzen und unterstützen. Mit Wissen und Beziehungen, die im Saarland traditionell einen besonderen Stellenwert haben. Hier kennt jeder jeden, viele sind verwandt und dass neben Hartz' Sohn auch weitere Familienmitglieder dabei sind, ist in dem frankophilen Landstrich an der Saar eher selbstverständlich.

Bisher hatte Hartz praktisch keine Gelegenheit, seine Ideen vorzustellen. Die geplante Präsentation bei der Regionaldirektion Rheinland-Pfalz-Saarland wurde wegen des öffentlichen Drucks abgesagt. "Das Saarland sollte sich als Experimentierfeld für falsche Heilsbringer zu schade sein", sagte damals etwa FDP-Generalsekretär Dirk Niebel.

Hartz hat Jahre an dem Konzept gearbeitet, jetzt ist ihm auch noch die Finanzkrise dazwischengekommen. Eine Zeit, in der sich jeder zu allererst um seinen eigenen Arbeitsplatz sorgt und wenig Platz für das Mitgefühl mit Langzeitarbeitslosen bleibt. Aber auch die Sicherung aktueller Stellen beschäftigt Hartz, den Kreativen. Unternehmen, die zu wenig Arbeit für ihre Mitarbeiter hätten, sollten diesen die Möglichkeit geben, sich als Selbstständige zu versuchen, "aber mit einer zeitlich befristeten Option zur Rückkehr auf ihren Arbeitsplatz". So würde das Unternehmen in der Krise entlastet, könnten neue Stellen geschaffen werden und man trage auch dem Fachkräftemangel Rechnung.

Hartz ist ein Mann, der nicht müde wird zu analysieren, "der vor Ideen sprüht", sagen seine Mitarbeiter. Nur sein Wochenende sei ihm heilig, da könne Frau Merkel anrufen, er würde absagen. Da hat das Privatleben Vorrang.

Auch Fehler gibt er zu, ist zugleich aber auch, wie Freunde sagen, Opfer seiner Naivität geworden, ein Mensch, der in anderen nie das Schlechte, das Berechnende sehen wollte.

Ob die Arbeit in der Heimat-Stiftung das Ende seiner Karriere ist oder der Beginn eines Comebacks? Eines ist sicher: Hartz wird noch viel Geduld haben müssen.