Zur Fußball-EM tritt ein halber Tierpark an, um die Ergebnisse der Spiele vorherzusagen. Highlight: Der Kuh-Tipp der aufmüpfigen Yvonne.

München. Die Messlatte liegt hoch: Krake Paul war das Orakel-Wunder der Fußball-Weltmeisterschaft 2010, seine Prognose stimmte immer. Zur EM geht nun ein ganzes Heer tierischer Wahrsager ins Rennen: Ein Elefant, eine Ziege, Zwergotter, Schwanzlurche und natürlich wieder ein Krake. Heißer Favorit: Die wilde Kuh Yvonne.

Krake Paul gab seinen WM-Tipp durch die Wahl einer Futterbox mit der jeweiligen Nationalflagge ab – er lag bei allen Partien mit deutscher Beteiligung richtig. Weil Spanien dann noch – wie von ihm orakelt – das Endspiel gewann, wurde der Oktopus aus dem Sea-Life-Aquarium in Oberhausen "Ehrenbürger“ der spanischen Gemeinde Carballiño.

+++ Die Kuh Yvonne wird das neue Orakel für die EM 2012 +++

Orakel – als göttliche Offenbarung – haben eine jahrtausendealte Tradition. Im Tempel von Delphi etwa saß die Priesterin Pythia auf einem dreifüßigen Schemel über einer Erdspalte, aus der Gas strömte - davon in Trance versetzt gab sie ihren Orakelspruch. Auch Münzen, Schafgarbenstängel und Karten gelten seit jeher als Mittel, um eine Antwort von einer über allem stehenden Instanz zu bekommen.

Jetzt sind die Tiere am Zug, und die orakeln fast durchweg per Fresstrog. Auf Bayern 3 gibt die braungefleckte Yvonne ihre Prognosen für Deutschlandspiele. Die Kuh, die 2011 mit ihrer wochenlangen Flucht vor der Schlachtbank für Schlagzeilen sorgte, und nun auf dem Gnadenhof Gut Aiderbichl lebt, wählt über zwei Kraftfutter-Kübel mit Nationalflaggen die Mannschaft ihrer Gunst. Zwar war bisher über eine Fußballleidenschaft der aufmüpfigen Yvonne nichts bekannt. Doch das war kein Qualifikationskriterium. "Sie hat Charakter und sie hat Persönlichkeit“, erläutert Ulli Wenger von Bayern 3 die Wahl.

Auf Bayern 1 bekommt Yvonne Konkurrenz von der Mini-Bulldogge Xaver – ein echtes Ausnahmeorakel, denn bei ihm geht’s nicht ums große Fressen: Er soll zwischen zwei Mini-Toren entscheiden. Eine Andechser Molkerei setzt auf Ziege Traudl, die ihre Fußballliebe angeblich als Einjährige durch einen vergessenen Ball entdeckte. In Sachsen ruhen alle Hoffnungen auf den Ottern Mörmel und Ferret aus Aue. "Sie sind quirlig und unparteiisch, weil sie nicht aus Europa, sondern aus Südostasien stammen“, sagt Tierpark-Chef Christian Schroller.

+++ Toter Krake: Paul II. soll bei der EM 2012 orakeln +++

Im hohen Norden auf Udedom trainieren seit Wochen Möwen. Sie müssen zwei Brötchen vor Schildern mit Nationalflaggen anfliegen - was sie anfangs verunsicherte. "Die Möwen trauen sich inzwischen mehr zu. Sie kennen jetzt die Situation“, sagt Thorald Weihs von der Usedomer Tourismus GmbH. Der erste Möwentipp: Gastgeber Polen wird das Eröffnungsspiel gegen Griechenland für sich entscheiden.

Im Zoo im südpolnischen Krakau ist Elefantenkuh Citta am Start. Sie wählte nach Medienberichten zielsicher Früchte mit einer Chelsea-Fahne und tippte so das Champions-League-Finale richtig. "Elefanten sind eben besonders kluge Tiere“, sagt Zoodirektor Jozef Skotnicki. Ein Papagei und ein Esel aus seinem Tierpark scheiterten hingegen ebenso wie die Münchner Dackeldame Sissi beim Champions League-Test – allesamt in der Vorrunde ausgeschieden.

Also doch alles Zufall. "Rein vom Wissenschaftlichen sehe ich keinen Grund, warum ich einem solchen Tier-Orakel glauben sollte“, sagt Professor Klaus Schönitzer von der Zoologischen Staatssammlung München. "Ich würde eher vermuten, dass die Leute das aus irgendeinem psychologischen Zusammenhang mitlenken, ohne dass sie sich selbst darüber im Klaren sind.“ Kraken, die seit Paul als besonders begabt gelten, seien sicher sehr intelligent. Sie könnten schnell reagieren und sich anpassen. "Das hat aber nichts mit kognitiven Fähigkeiten zur Beurteilung einer Wahrscheinlichkeit eines Fußballspiels zu tun.“

Dabei überraschte Paul sogar Mathematiker. Seine Treffsicherheit sei "schon erstaunlich“. Allein für die acht Treffer bei den Deutschlandsspielen lag die Wahrscheinlichkeit bei 0,39 Prozent.

Pauls Artgenossen scheiterten kläglich. Zur Frauen-Fußball-WM ließ Sea Life in seinen Aquarien acht Oktopoden antreten. Doch sie kamen zu extrem unterschiedlichen Prognosen und lagen oft so daneben, dass Sea Life nun aufs Tippen verzichtet. Dafür wird das Axolotl Axel EM-Maskottchen. Der Schwanzlurch, ursprünglich aus Mexiko stammend, sei immerhin wie der unvergessliche Paul im Sea Life aufgewachsen.

Andere glauben unermüdlich an die Kraken. In Rosenheim tritt Rosi bei der Schau "Tiefsee“ im Lokschuppen an. Trainer Markus Engl macht sich Hoffnungen auf ein neues Orakel-Wunder: Zwei von drei Spielen habe Rosi richtig getippt. Beim Champions-League-Halbfinale FC Bayern gegen Real Madrid habe sie sogar das Elfmeterschießen vorhergesehen. Beim Finale funkte ihr dann ein hungriger Seestern dazwischen und machte die falsche Futterbox auf.

Auch wenn sie als EM-Orakel versagen sollte – das Gnadenbrot ist ihr sicher: Sie wurde wie Yvonne schon vor dem Kochtopf gerettet. "Wir haben sie aus dem Marseiller Hafen herauskaufen können“, sagt Engl. "Sie hatte Glück.“