Hermann Schreiber über falsch gesendete Neujahrsansprachen, die sich tatsächlich sehr ähnlich sind.
Es ist mal wieder die falsche Neujahrsansprache eines Regierenden gesendet worden. Vielleicht erinnern Sie sich: Als der weiland Bundeskanzler Helmut Kohl am 31. Dezember 1986 den Bürgerinnen und Bürgern der Bundesrepublik Ausblicke auf das Jahr 1987 eröffnete, war dies um 19.10 Uhr im ZDF zu sehen. Um 20.15 Uhr sendete die ARD dann aber Kohls Ansprache zum Jahreswechsel 1985/1986. Die Aufzeichnungen waren verwechselt worden. Kohl war wütend, der damalige CDU-Generalsekretär Heiner Geißler argwöhnte böse Absicht hinter der Panne.
Diesmal hat es einen der Nachfolger Kohls im Amt des Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz erwischt: den Sozialdemokraten Kurt Beck. In seiner vom Radiosender SWR1 ausgestrahlten Neujahrsansprache blickt er voraus auf 60 Jahre Grundgesetz und 20 Jahre Mauerfall. Eine Verwechslung. Es war die Aufzeichnung der Neujahrsansprache zum Vorjahr.
Kann es sein, dass diese Pannen nicht nur mit mangelnder Sorgfalt der Sendeanstalten zu tun haben, sondern mit den Reden selber? Kann es sein, dass solche Neujahrsansprachen tatsächlich verwechselbar sind?
Im Fall Beck haben sich Kollegen von der "Frankfurter Allgemeinen" die Mühe gemacht, beide Reden zu vergleichen. Das ist aufschlussreich. Beck 2009: "Wir beherzigen: Bildungschancen sind Lebenschancen." Beck 2010: "Ich bin mir bewusst, Bildungschancen sind Lebenschancen." Beck im Blick auf 2009: "Wirtschaftliche Verantwortung und soziale Gerechtigkeit prägen mein Handeln." Beck aktuell: "Wirtschaftliche Verantwortung und soziale Gerechtigkeit werden weiterhin mein Handeln prägen."
Dass die Redenschreiber der Regierenden in ihren Produkten nach Sätzen suchen, die sie wiederverwenden können, will ich hier nicht kritisieren. Mich ärgert, dass Politiker, selbst wenn sie sich zu feierlichen Anlässen an die "Menschen draußen im Lande", an uns also, wenden, keine andere Sprache finden als den Spezialjargon, mit dem sie sich untereinander verständigen (oder bekriegen). Schlimm genug, dass die Politik nicht lassen will von dieser "fachlich" aufgeplusterten, aber sinnleeren Silbendrescherei, mit der uns Experten ihre Unentbehrlichkeit demonstrieren wollen. Noch schlimmer, dass manche dieser Formeln sogar die Umgangssprache erreichen: siehe "Hartz vier".
Solange die Regierenden für ihre Festreden keine deutlichere Sprache finden als diesen Politjargon, wird man ihre Neujahrsreden immer wieder verwechseln. Und das ist auch gut so.