Aus der kalten Küche: Isländer mögen verdorbenen Eishai, Grönländer verfaulte Robbenflossen - roh! Der deutsche Starkoch Vincent Klink testete unerschrocken ihre Speisen und stellte fest: Geschmack entsteht auch im Kopf.
Zwischen Island und Grönland wird der Eishai gefangen. Eigentlich ist er giftig, aber die Isländer haben es geschafft, ihn genießbar zu machen. Genießbar? Nun ja. Die ganze Gegend rund um Bjarnarhöfn stinkt heftig nach altem Pissoir.
Mein Appetit nimmt schlagartig ab. Ich bin geübter Esser, mich haut so schnell nichts um. Aber die traditionelle Küche Islands und Grönlands hat einen schlechten Ruf. Verfaultes kommt hier auf den Tisch, Verrottetes, Vergorenes; Dinge, die andernorts in die Biotonne wandern.
Ich will all das probieren. Die einfachen Gerichte, die althergebrachten Speisen, die erzählen von der Kultur dieser Länder. Lernt man Menschen nicht am besten kennen, wenn man mit ihnen kocht und ißt? Dudjon Hildibrandson hat einen gut zwei Zentner schweren Hai an der Hydraulik-Gabel seines Traktors hochgezogen und legt ihn auf Brettern ab. Mit seinem Vater Hildibrandur Bjarnason zerlege ich den Fisch. Der Wind ist scharf wie mein Messer. Ich habe mein eigenes mitgebracht. Bjarnason, mit sturmrotem Gesicht, prüft es und ist zufrieden. Es ist eine Wonne, durch das Fleisch zu pflügen.
Bjarnarhöfn ist ein einsames Gehöft auf der Halbinsel Snæfellsness, im Westen Islands. Der nächste Ort ist 25 Kilometer entfernt. Die Familie verarbeitet seit Generationen Eishai. Der hat keine Nieren und lagert Stoffwechselgifte in seinem Fleisch ein. Die Brocken, die wir abschneiden, werden deshalb erst in Holzkisten gelegt, wo sie sechs Wochen lang vor sich hinrotten.
Wochen, in denen das Ammoniak langsam freigesetzt wird und so stinkt, daß keine Fliege und kein noch so kleines Bakterium sich in die Nähe wagt. Dann nennt sich das Ganze Hakarl und hängt noch einmal vier Wochen in der trocknenden Seeluft, bis die Stücke von außen braun sind und von innen eine glitschige Konsistenz haben, ähnlich wie Speck. Kein Salz kommt hinzu, kein Gewürz, gar nichts.
Mit einem Holzstäbchen angele ich mir ein reifes Bröckchen und beiße rein. Heftiges Kratzen bohrt sich durch die Nase, zieht sich hoch bis in die Hirnrinde. Ich bin entsetzt. Wie kann es sein, daß fast alle Isländer süchtig sind nach Gammelhai und mir es die Zehennägel umklappt? Nur Mut, Vincent! Wieder ein Bröcklein, noch eines und noch eines. Ich gewöhne mich an den Schmerz, war nicht auch der erste Grappa furchtbar?
Langsam bin ich fähig zu analysieren. An was erinnert der Geschmack? Ich würde sagen: an überreifen Käse, Romadur im Endstadium zum Beispiel, mit einem Schuß Pferdeurin. "Dieser Fisch reinigt den Körper und kurbelt die Verdauung an", sagt Bjarnason, der mich beobachtet und grinst. In der Tat, die Wirkung tritt ein, mein Blut kommt in Wallung. Ist Bjarnasons Schädel nun noch roter? Sehe ich jetzt doppelt? Es fühlt sich an wie eine Bewußtseinserweiterung.
Eines ist sicher: In Deutschland bekäme ich Hakarl nicht herunter, doch hier, eingestimmt von der Landschaft und den Leuten, könnte ich mich glatt daran gewöhnen. Geschmack entsteht eben nicht nur im Mund, sondern auch im Kopf. Bjarnason haut mir krachend auf die Schultern.
Auf dem Weg zur Zivilisation gibt es so viele Schlaglöcher, daß ich verstehe, warum die Isländer die Pisten bevorzugt mit Monster-Jeeps bewältigen. Um eine Bergnase gerattert - dann liegt die Hauptstadt Reykjavík vor uns. Hier hütet der berühmteste Koch des Landes, Ulfar Eysteinsson, einen Wal in unzähligen Gefrierfächern. Man muß wissen, daß sich die Isländer verpflichtet haben, Wale nur noch "zu Forschungszwecken" zu fangen, 25 Zwergwale waren es 2004. Der Wal, der mir im Prír Frakkar aufgetischt wird, wurde vor dem Fangverbot geschossen, er ist neun Jahre alt. Ein Hoch auf die Kühlkunst der Isländer!
Ich beäuge das rohe, dunkelrote, dünn tranchierte Fleisch auf meinem Teller. Japanischen Meerrettich, Wasabi, scharf und grün, gibt es als Beigabe und Sojasauce - sozusagen isländisches Sushi. Gebraten unterscheidet sich Wal kaum vom Ochsen-Pfeffersteak, bis auf leichten, angenehm süßlichen Hauch Meeresduft. Der Geschmack erinnert an Wildente. Später gönne ich mir Seeteufel-Spieße im Grill am Hafen und Tandoori vom Steinbeißer im Fylgifiskar, einer Art modernem Designimbiß.
Dann ist mein Geld fast aufgebraucht. Essen und Trinken unterliegen in Island offensichtlich Strafzöllen. Nun ja, der Bankautomat spuckt Scheine aus wie zu Hause. Also am nächsten Tag ins Restaurant Lækjarbrekka, wo man Papageientaucher in die Pfanne haut. Die Vögel sind eine Art isländisches Maskottchen und bevölkern im Sommer zu Hunderttausenden die Westfjorde. Ihr Pech ist, daß sie ausnehmend gut schmecken.
Ich wähle Papageientaucher mit Sauce aus Blue Cheese, einheimischem Käse aus Schafsmilch, ähnlich wie Roquefort, doch weniger salzig. In die mit Sahne angeschlagene Sauce kommen Blaubeeren. Ich winke dem Koch: phantastisch! Darauf schenkt er mir Brennivin ein. Die Regierung hat dem Feuerwasser mit sorgender Hinterlist ein abstoßendes, schwarzes Etikett verpaßt, um den Suff einzudämmen. Seitdem heißt es " Schwarzer Tod" und erfreut sich noch größerer Beliebtheit.
Am nächsten Morgen starte ich nach Grönland. Wir landen in Kulusuk, an einem Fjord, auf dem helle Eisberge treiben. Ringsherum schneebedeckte Gipfel, zackig wie die Schweizer Alpen. Mit dem Hubschrauber geht es weiter nach Tasiilaq. Am Steuerknüppel sitzt ein Eskimo.
Alle Mitpassagiere haben Mandelaugen und eine nur wenig vorstehende Nase, sind fröhlich und hilfsbereit. An Grönlands Ostküste leben gerade mal 3500 Menschen. Am nächsten Tag wartet Friderikke Mathiesen auf mich. Ihre Küche sieht nicht anders aus als die meiner Oma. Alles blinkt und blitzt. Friderikke ist um die 60. Ihre dunklen Mandelaugen haben einen schüchternen Aufschlag. Vor nicht allzu langer Zeit gab es hier noch Vielmännerei. Die Männer waren mit dem Kajak unterwegs, ihre Frauen schmissen den Laden.
Aus dieser Tradition stammt Friderikke, sie ist markig und weiß, was sie kann. Wir schneiden Grimassen und gestikulieren mit Händen und Füßen. Als ich mir ein getrocknetes Fischchen greife, daran rieche und die Augen verdrehe wie Fred Astaire nach einer Pirouette, sind wir uns einig. Köchinnen und Köche sprechen die gleiche Sprache.
Friderikke schneidet einen Plastiksack auf und legt ihn wie eine Plane auf den Boden. Ich schleppe die Robbe herein, die ich am Morgen mit Thomas, dem Müllbeauftragten des Dorfes, im Fjord geschossen habe. Das Tier liegt mit der Bauchseite nach oben. Als führe sie einen Geigenbogen, zieht Friderikke einen Schnitt vom Hals zur Schwanzflosse. Ruckartige Schnitte folgen entlang der vorgegebenen Spur. Die Eingeweide nimmt sie heraus und legt sie in eine Schüssel. Ich nehme den Darm, ziehe die Enden auseinander und lasse frisches Wasser hineinlaufen wie beim heimischen Schweineschlachten. Friderikke nickt anerkennend. Schon trennt sie das Fell vom Fleisch - ohne Kleckerei.
Jetzt nimmt sie das Fell als Unterlage. So könnte sie das Tier auch am Strand zerlegen, ohne daß es mit Sand in Berührung käme. Sie reicht mir rohen Speck, und siehe: Er schmeckt prima.
Die Bewohner des ewigen Eises hören das nicht gern, trotzdem kommt ihr Name nicht von ungefähr. Eskimo heißt Rohfleischesser. Die traditionelle Küche besteht hauptsächlich aus rohem und getrocknetem Fleisch, meist Robbe und Fisch. Man darf sie nicht nach der Haute Cuisine beurteilen. Noch vor gerade mal 100 Jahren ging es hier nur ums Überleben. Es gibt Geschichten von alten Familienmitgliedern, die Selbstmord begingen, um ihren Kindern und Enkeln die wenige Nahrung zu überlassen. Die Küche der Inuit litt lange unter Mangel an Brennmaterial, weshalb die Robbensuppe, die wir jetzt kochen, ein Luxusgericht ist. Robbenspeck wandert geschnitten in den Topf, eine Handvoll Reis und etwas Tiefkühl-Wurzelgemüse. Gesalzt wird mit Meerwasser, Gewürze kennt die Traditionsküche Grönlands nicht. Noch ist das Fleisch fest - egal, ich darf probieren: köstlich, von Seeduft unterlegt, sehr angenehm.
Robbenfleisch ist Rindfleisch ähnlich, fast schwarz - und gesund. Meine Hochstimmung weicht, als der Dorfreporter kommt und mit Gummihandschuhen eine Plastikbox öffnet, als enthalte sie Uran. Heraus kommt eine Robbenflosse. "Sthat iss Ulisimali, I hope you will entschoy it", ruft der Dolmetscher. Ulisimali, das berühmteste Gericht der Ostküste: vergammelte Robbe. Die Flossen werden rasiert, gewaschen und in dicht vernähtes Robbenfell gepackt. Statt des Felles nimmt man heute manchmal auch Blechdosen, die dann 14 Tage am wärmenden Fensterbrett stehen. Infernalischer Gestank verschlägt mir die Sprache.
Cool bleiben, Nase abstellen. Der Journalist meint, ich solle Gummihandschuhe anziehen. Ich denke: "Ich will als Held ins Gemeindeblatt, nicht als Memme!" und beiße sofort in die Flosse. Der Reporter ist geschockt. Offensichtlich wollte er mich knipsen, wie ich in die Knie gehe. Ich aber stehe und kaue wie verrückt, denn es ist zäh wie ein Dichtungsring. Heftige Gase ziehen durch meine Nebenhöhlen. Für Einheimische ist Ulisimali mehr Medizin als Nahrung. Es wärmt, behaupten sie, und ich bekomme auch umgehend Schweißausbrüche, als wäre in mir eine Rakete gezündet worden. Waljäger konnten diese Turbomedizin sicher gut brauchen, wenn sie aus dem Kajak gefallen und im Eismeer getrieben waren. Die eßbare Wärmflasche vertreibt alle bösen Geister.
Tagelang klebt mir die Pestilenz an den Händen. Auf dem Rückflug werde ich die Hände in der Hosentasche behalten, aus Angst, ich könnte Sitznachbarn belästigen - und mir einen Reim darauf machen, was ich erlebt habe: Nach Erkenntnissen von Ernährungsexperten und Vitamin-Appellen gibt es wohl kaum eine Küche, die so ungesund ist wie die der Inuit: Frisches Gemüse war ihnen lange unbekannt. Man ißt noch heute hauptsächlich Fleisch - und doch habe ich selten so gesunde Menschen gesehen wie in Ostgrönland.
Dieser leicht gekürzte Artikel ist dem Geo-Special "Island, Grönland, Spitzbergen" entnommen. In diesem Heft lesen Sie mehr über die grandiose Natur und ungewöhnliche Kultur der drei nördlichsten Inseln Europas. Das Geo-Special 1/2005 ist 156 Seiten stark und kostet 7,80 .