Berlin. Nachdem am Dienstag ein Schiff in der Deutschen Bucht gesunken ist, gehen die Rettungskräfte vom Tod der vermissten Besatzungsmitglieder aus.
Dunkel und diesig war es am Morgen des Unglücks. Die Sicht war schlecht, die Wellen bis zu drei Meter hoch, als es passierte: Rund 22 Kilometer südlich der Nordseeinsel Helgoland trafen sich die „Verity“ und die „Polesie“. Bis der kleinere der beiden Frachter mit sieben Seeleuten an Bord in der Nordsee versank, dauerte es nur wenige Minuten.
Vier Menschen der siebenköpfigen Crew konnten auch nach stundenlanger Suche nicht gefunden werden. Die Suche sei am Dienstagabend um 22.45 Uhr eingestellt worden, teilte ein Sprecher des Havariekommandos in der Nacht zu Mittwoch mit. Am Mittwochmorgen wurde entschieden, sie nicht wieder aufzunehmen. Das Havariekommando geht mittlerweile vom Tod der vier vermissten Seeleute aus. Für die Vermissten gebe es keine Hoffnung mehr, sagte der Leiter des Havariekommandos Robby Renner am Mittwochnachmittag.
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Unklar bleibt weiter, warum das Küstenmotorschiff „Verity“ mit sieben Seeleuten an Bord und das Massengutschiff „Polesie“ mit 22 Leuten am Dienstagmorgen bei Dunkelheit in der Deutschen Bucht zusammenstießen. Ersten Erkenntnissen zufolge hatet die 91 Meter lange „Verity“ die 190 Meter lange „Polesie“ seitlich gerammt. Zwei Mitglieder der Besatzung konnten gerettet, ein Seemann nur noch tot geborgen werden. Die „Polesie“, die unter der Flagge der Bahamas unterwegs war, blieb schwimmfähig, die 22 Menschen an Bord unverletzt. Das Schiff, so hieß es am Dienstag, solle in einen Hafen geschleppt werden.
Um 5:01 Uhr ging beim Havariekommando in Cuxhaven die Kollisionsmeldung ein. Gegen 05:20 Uhr war die „Verity“ vom Radar verschwunden. „In ebenso kurzer Zeit ging das Signal vom Transponder verloren“, wie ein Beamter berichtet. Das Havariekommando löste einen Search- and Rescue-Einsatz aus. Schon kurz nach der Kollision habe man Wrackteile im Wasser treiben gesehen. Das Gebiet, in dem Überlebende vermutet wurden, sei dreimal neu bestimmt worden.
Schiffsunglück: Vier Seeleute noch vermisst
Gesucht wurde den ganzen Tag. „Wir tun alles Menschenmögliche, um weitere Menschenleben zu retten“, sagte der Leiter des Havariekommandos, Robby Renner, unserer Redaktion. Es sei nicht auszuschließen, dass die vier vermissten Seeleute mit in die Tiefe gerissen wurden, aber noch in einer Luftblase in dem in 30 Metern Tiefe liegenden Frachter überlebten. Deshalb wurde am Nachmittag ein Taucheinsatz an der Unglücksstelle durchgeführt. „Geplant ist, die Suche bis nach Mitternacht fortzusetzen“, teilte das Havariekommando in Cuxhaven am Dienstagabend mit.
Laut Havariekommando handelte es sich jedoch um eine Operation unter „sehr schwierigen Bedingungen“: Das Wetter war schlecht, ebenso die Sicht unter Wasser. Getaucht werden konnte nur bei Stauwasser, in der Zeit zwischen Ebbe und Flut, ansonsten sei die Strömung zu stark. Doch die Zeit drängte: Bei einer Wassertemperatur von etwa 13 Grad kann der Mensch nach Einschätzung von Experten nur etwa 20 Stunden überleben – vorausgesetzt, er trägt entsprechende Schutzkleidung.
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Kreuzfahrtschiff beteiligt sich an der Aktion
Vor dem Taucheinsatz hatte bereits eine Vielzahl von Schiffen und Hubschraubern nach den vermissten Seeleuten gesucht, darunter die Seenotrettungskreuzer „Hermann Marwede“ und „Bernhard Gruben“. Ein wichtige Rolle spielte das Kreuzfahrtschiff „Iona“, das auf dem Weg von Hamburg nach Rotterdam war und sich zum Zeitpunkt der Kollision in der Nähe der Unglücksstelle befand.
Das Schiff, das Platz für 5.200 Passagiere und 1.800 Besatzungsmitglieder bietet, hat mehrere Ärzte an Bord. Einer der geretteten Seeleute konnte von ihnen versorgt werden. Der zweite gerettete Seemann wurde zunächst auf einem der Seenotrettungskreuzer behandelt. Mittlerweile wurde beiden Männer in ein Krankenhaus gebracht.
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Frachterunglück vor Helgoland: Drohen jetzt Umweltschäden?
Sorgen bereiteten den Rettern auch mögliche Umweltschäden. Der gesunkene Frachter „Verity“ hatte große Mengen Treibstoff und Öl an Bord. Ein Spezialschiff, das beim Austritt der Stoffe eingreifen kann, sei vor Ort, hieß es vom Havariekommando. In der Luft werde das Gebiet von einer DO 228LM überwacht, einem „Ölaufklärer“. Diese Flugzeuge sind mit einer Technik ausgerüstet, die schnell Verschmutzungen im Wasser erkennen kann.
Der Unglücksort liegt im Bereich einer „Kreuzung“ mehrerer Schifffahrtsstraßen in der Nordsee, 31 Kilometer nordöstlich der ostfriesischen Insel Langeoog. Der Frachter „Polesie“ kam aus Hamburg. Das Schiff der polnischen Reederei Polsteam Group mit Sitz in Stettin war am Dienstagmorgen ohne Fracht auf dem Weg nach La Coruña im Nordwesten von Spanien. Ihren Weg kreuzte die mit Stahl beladene „Verity“. Der 2001 in den Niederlanden gebaute Frachter, der der britisch-niederländischen Reederei Faversham Ships gehört, kam aus Bremen und war unterwegs nach Immingham in England.
Warum die Schiffe trotz Radar, Ausguck, Beleuchtung und Automatic Identification System (AIS) – einem Transponder zum Austausch von Navigationsdaten via Funk, der für Schiffe ab einer Länge von 20 Metern vorgeschrieben ist – kollidierten, war zunächst völlig unklar. Die Wasserschutzpolizei werde eine Schiffsunfallkommission bilden, hieß es. Eingebunden werde auch die in Hamburg ansässige Bundesstelle für Schiffsunfalluntersuchung (BSU). Ermittler haben noch am Dienstag die Radaraufzeichnungen und Mitschnitte des Funkverkehrs sichergestellt. Daten von Schiffsmeldediensten weisen darauf hin, dass noch im letzten Moment durch ein Ausweichmanöver die Kollision verhindert werden sollte.