Berlin/München. Nach 13 Jahren Haft ist nun klar: Manfred Genditzki wurde zu Unrecht des Mordes beschuldigt. Jubeln kann er über den Freispruch nicht.
Während Zuschauer im Gerichtssaal mit den Tränen kämpften, nahm Manfred Genditzki seinen Freispruch gefasst entgegen. Fast 14 Jahre lang hatte er seine Unschuld beteuert, erst gegenüber der Polizei, dann während seiner Zeit in U-Haft und schließlich während der 4912 Tage, die er im Gefängnis verbrachte. Das zuständige Gericht in München hat nun entschieden: Der 63-Jährige ist kein Mörder. Mehr noch, einen Mord hat es wahrscheinlich überhaupt nie gegeben.
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Es sei ein steiniger Weg für den Angeklagten gewesen, den er mit bewundernswerter Geduld gegangen sei. „Wie es in Ihnen aussieht, kann man nur erahnen“, sagte die Vorsitzende Richterin Elisabeth Ehrl bei der Urteilsverkündung. Das Gericht gehe davon aus, dass die alte Dame, für deren angebliche Ermordung Genditzki im Gefängnis saß, „infolge eines Unfallgeschehens zu Tode kam“. Ein solcher Unfall sei nach den Ausführungen von Sachverständigen im Prozess „nicht nur möglich, sondern wahrscheinlich“.
Zu Unrecht Beschuldigter soll Seniorin getötet haben
Es geschah an einem Dienstag im Oktober 2008 im beschaulichen Rottach-Egern am Tegernsee. Eine junge Pflegekraft musste Lieselotte Kortüm, damals 87, tot in ihrer Badewanne vorfinden. Die Obduktion lieferte zunächst keine Hinweise auf ein Gewaltverbrechen. Doch nur drei Wochen nach Einäscherung der Leiche änderte der Rechtsmediziner seinen Befund: Aus dem tragischen Unfall einer älteren Dame, die zu Kreislaufbeschwerden neigte, wurde ein Gewaltverbrechen. Grund für die Annahme waren Hämatome am Kopf, die bei der Einnahme gerinnungshemmender Medikamente nicht ungewöhnlich sind.
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Ins Visier der Ermittler geriet Frau Kortüms Hausmeister Manfred Genditzki. Am Tag ihres Todes hatte er die ältere Dame, der er regelmäßig bei allen möglichen Belangen half, aus dem Krankenhaus abgeholt. Für seine Hilfsdienste schenkte die gut betuchte Dame ihm Geld, Schmuck, Pelzmäntel – Zeichen der Wertschätzung, die dem zweifachen Vater später zum Verhängnis werden sollten. Er habe die alte Dame ausnehmen wollen und sie getötet, als sie ihm auf die Schliche kam, so der Vorwurf der Staatsanwaltschaft. Als sich diese Behauptung im Prozess nicht bewiesen ließ, fand man eine neue Theorie: Genditzki, hieß es, soll Frau Kortüm im Streit auf den Kopf geschlagen und sie zur Verschleierung der Gewalttat in der Badewanne ertränkt haben.
Sogar Staatsanwaltschaft plädierte für Freispruch
Das Urteil, lebenslange Freiheitsstrafe wegen Mordes, erging 2010. Doch einige Prozessbeobachter und Rechtsexperten sahen darin einen fatalen Justizirrtum, monierten Ermittlungsfehler. Eine Revision scheiterte, ebenso ein erster Antrag auf Wiederaufnahme von Genditzkis Verteidigerin Regina Rick. Ihrer Beharrlichkeit und einem neuen Gutachten ist es zu verdanken, dass das Landgericht München I den Fall im August 2022 doch wieder aufnahm. Das Gutachten legt unter anderem nahe, dass Lieselotte Kaltüm später verstarb als bisher angenommen und damit zu einer Zeit, als der Angeklagte ein Alibi hatte. Zuletzt hatte aufgrund der Zweifel sogar die Staatsanwaltschaft Freispruch gefordert.
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Dass es in dem Fall „keine tatsächlichen Anhaltspunkte für ein Tötungsdelikt“ gibt, gestand nun, ein Jahr später, auch das Gericht ein. „Jetzt ist es soweit. Sie haben den Tenor gehört, auf den Sie fast 14 Jahre lang gewartet haben“, sagte Richterin Elisabeth Ehrl am Freitag. Es sei ein steiniger Weg für den Angeklagten gewesen, den er mit bewundernswerter Geduld gegangen sei. Genditzki, seit August 2022 bereits wieder in Freiheit, steht nun eine Entschädigung zu, wie auch die Richterin betonte.
Nach Angaben des Justizministeriums bekommt ein zu Unrecht Inhaftierter 75 Euro Entschädigung pro Haft-Tag. Doch die Summe von 368.400 Euro, die das Gericht veranschlagt hat, halten viele Kritiker für zu niedrig, wenn man bedenkt, was 13 Jahre Haft für einen Menschen bedeuten. In Genditzkis Fall bedeutete sie, dass er sein Kind aus zweiter Ehe, das zum Zeitpunkt seiner Verhaftung noch nicht einmal geboren war, kaum aufwachsen sah. Auch die Geburt seines Enkelkindes verpasste er. „Ich werde keine Freudensprünge machen“, so Genditzki nach der Urteilsverkündung. „Einen Grund zum Jubeln habe ich nicht, 14 Jahre sind weg.“