Berlin. Acht Jahre nach dem Absturz der Maschine fordern die Hinterbliebenen Schmerzensgeld – diesmal aber vom deutschen Staat.
Acht Jahre ist es her, dass der Germanwings-Flug 4U9525 über den französischen Alpen abstürzte, in die Tiefe gesteuert in Selbstmordabsicht vom psychisch kranken Co-Piloten. Acht Jahre, in denen die Angehörigen der rund 150 verstorbenen Flugzeuginsassen nicht aufgehört haben, die Aufklärung der Katastrophe und damit auch Schmerzensgeld zu fordern. Die Germanwings-Mutter Lufthansa hatte engen Verwandten nach eigenen Angaben je rund 35.000 Euro gezahlt. Doch viele von ihnen kämpfen weiter, nun mit einer neuen Klage. Der Vorwurf: Die flugmedizinischen Untersuchungen des Co-Piloten seien nicht ordentlich durchgeführt worden.
Im September 2022 hatte das Oberlandesgericht in Hamm entschieden, die Hinterbliebenen hätten von der damaligen Germanwings-Muttergesellschaft Lufthansa keine weiteren Schmerzensgeldzahlungen mehr zu erwarten. Für die Untersuchungen der Piloten sei nämlich nicht die Fluggesellschaft, sondern das Luftfahrt-Bundesamt zuständig. Damit richtet sich die neue Klage nun gegen die Bundesrepublik Deutschland. Laut „Bild“-Zeitung fordern die Hinterbliebenen rund 1,2 Millionen Euro.
Anwaltskanzlei sieht Pflichtverletzung beim Bundesamt
Vertreten werden sie vom ehemaligen Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP). Dessen Düsseldorfer Anwaltskanzlei bestätigte die Klage. Sie werde in Kürze beim Landgericht Braunschweig eingehen. Dort sitzt auch das Luftfahrt-Bundesamt, das unter anderem für die flugmedizinischen Untersuchungen von Piloten zuständig ist.
Schon seit September vergangenen Jahres vertreten Baum, Reiter & Collegen 32 Angehörige von Absturzopfern. Zum Hintergrund der neuen Klage sagte Baums Partner Prof. Dr. Julius Reiter der „Bild“: „Die flugmedizinischen Sachverständigen haben unserer Auffassung nach ihre Pflichten verletzt, indem die turnusmäßigen medizinischen Untersuchungen des Co-Piloten mangelhaft und damit unzureichend durchgeführt wurden.“ Wäre die Untersuchung ordnungsgemäß durchgeführt worden, wäre der psychisch kranke Pilot für fluguntauglich erklärt worden und die Katastrophe hätte verhindert werden können, so die These. „Da die flugmedizinischen Sachverständigen bei den Untersuchungen hoheitlich tätig waren, kommt ein Amtshaftungsanspruch in Betracht.“
- Lesen Sie auch:Rätsel um Flug MH370: Was ist damals wirklich passiert?
Einer der Kläger ist Klaus Radner. Der 67-Jährige verlor bei dem Absturz am 24. März 2015 seinen Enkel, seine Tochter und dessen Lebensgefährten. Der „Bild“ sagte der Düsseldorfer Unternehmer: „Ich hoffe, dass wir mit dieser Klageschrift jetzt die Verantwortlichen für den Absturz finden.“
Flugbranche zieht Konsequenzen aus Germanwings-Absturz
Der Absturz des Germanwings-Airbus A 320 im März 2015 bewegte die ganze Welt. Unter den Passagieren war neben Radners Familie auch eine Schulklasse aus Haltern am See in Nordrhein-Westfalen. Die 16 Schülerinnen und Schüler waren mit zwei Lehrkräften auf dem Rückweg von einem Austausch in Barcelona. Kurz nachdem das Flugzeug seine Reiseflughöhe erreichte, soll der Pilot die Kabine verlassen haben. Sein Co-Pilot nutzte dies, um die Tür zu verriegeln und vom Autopiloten in den Sinkflug zu gehen. Von der psychischen Verfassung des damals 27-Jährigen soll niemand etwas gewusst haben. Er selbst soll seinen Gesundheitszustand geheim gehalten haben.
Immerhin: Die Branche hat aus der Tragödie Konsequenzen gezogen. Psychologische Gutachten müssen nun nicht mehr nur bei der Ersteinstellung, sondern bei jedem Airline-Wechsel vorgelegt werden. In stichprobenartigen Tests werden Piloten und Crewmitglieder auf Drogen, Alkohol oder Medikamente getestet.
- Lesen Sie auch: Germanwings-Absturz – Wie es depressiven Piloten heute geht
Eine flugmedizinische Datenbank, eingeführt nach dem Absturz, erfasst europaweit sämtliche Gesundheitsdaten von Piloten. Julia Fohmann-Gerber, Sprecherin des Bundesverbandes der Deutschen Luftverkehrswirtschaft, sagte unserer Redaktion anlässlich des Jahrestages des Absturzes im März: „Die Maßnahmen sind sehr weitreichend – und viele gelten nunmehr in ganz Europa. Es gibt in der Branche ein Bewusstsein für psychische Probleme und den Umgang damit. EU-weite Standards sorgen dafür, dass diese psychischen Probleme rechtzeitig erkannt und behandelt werden können.“