Hamburg. Der renommierte Hamburger Zoologe Matthias Glaubrecht spricht über den Ursprung des Coronavirus – und warum eine neue Pandemie droht.
Die Welt rätselt über den Ursprung des Coronavirus. Zuletzt machten Gerüchte die Runde, ein Laborunfall in Wuhan könnte verantwortlich sein, der Virologe Christian Drosten hält ein Überspringen vom Marderhund für möglich. Prof. Dr. Matthias Glaubrecht ist Zoologe und Leiter der Centrums für Naturkunde in Hamburg. In seinem jüngsten Buch „Das Ende der Evolution“ widmet er sich auch Infektionskrankheiten. Hier spricht über das Virus und die Gefahr, die in Tieren schlummert.
Je schlimmer Covid-19 weltweit wütet, umso stärker schießen Spekulationen ins Kraut, woher das Virus stammt. Was sagen Sie als Zoologe zu den jüngsten Vermutungen?
Matthias Glaubrecht: Es sind schon irre Gerüchte im Umlauf. Wir können sicher davon ausgehen, dass es sich um eine Zoonose handelt, also Tiere beteiligt waren. Wir müssen die Tiere aber gar nicht ins Labor schaffen, dafür reichen schon die Wildtiermärkte. Vieles spricht dafür, dass der Wildtiermarkt in Wuhan Auslöser der Pandemie war – aber Beweise sind schwer zu finden.
Als die chinesischen Behörden den Markt im Januar geschlossen haben, haben sie Tabula rasa gemacht, alle Waren und Wildtiere vernichtet. Wir wissen definitiv, dass von den 100 Erstinfizierten fast die Hälfte Kontakt zum Markt hatte, die andere Hälfte hat sich dann vermutlich von Mensch zu Mensch angesteckt. Und es gibt noch ein starkes Indiz: Forscher haben längst nachgewiesen, dass beim ersten Sars-Erreger 2002/03 ein Tier-Mensch-Kontakt auf einem Wildtiermarkt der Auslöser war.
Wie müssen wir uns einen Wildtiermarkt vorstellen?
Glaubrecht: Das hat wenig mit dem Hamburger Fischmarkt zu tun. In Asien werden unter abenteuerlichen hygienischen Bedingungen neben Fisch und Meeresfrüchten auch Dutzende Arten exotischer Wildtiere verkauft. Das sind oft illegal eingeführte Tiere, die in Käfigen gehalten werden. Restaurantbesitzer kaufen diese Tiere und halten sie weiter in Käfigen, um sie frisch anzubieten wie bei uns Hummer oder Fisch. Erst kurz bevor sie auf den Teller kommen, werden dann die Larvenroller oder Schuppentiere frisch geschlachtet. Das Angebot reicht von Singvögeln und Papageien über Katzen- und Hundeartige bis zum Seafood.
Klingt wie der Albtraum eines jeden Zoologen ...
Glaubrecht: Ja, trotz aller internationalen Schutzabkommen kommen dort eben auch geschützte Tiere auf den Tisch. Es wird kaum kontrolliert – und den Konsumenten ist egal, ob die Tiere geschützt sind oder nicht.
Der Virologe Christian Drosten vermutet den Marderhund als Quelle.
Glaubrecht: Tatsächlich wurde beim ersten Sars-Ausbruch 2002/2003 neben mehreren Larvenrollern (Paguma larvata), kleinen asiatischen Schleichkatzen, auch ein – mit den heimischen Mardern und Nerzen verwandter – asiatischer Marderhund positiv auf ein Sars-ähnliches Virus getestet.
Da auch beim zweiten Sars-Ausbruch Ende 2003 in Guangzhou vor allem diese Larvenroller positiv getestet wurden, deutet vieles eher auf diese Schleichkatzen hin. Einer Studie von 2005 zufolge erkrankten damals eine Serviererin und ein Kunde in einem Restaurant an Sars, in dem das Fleisch von Larvenrollern angeboten wurde. Bei mehreren Personen aus dem Umfeld dieses Restaurants hat man dann sogar Antikörper gegen Sars-CoV nachgewiesen.
Wie kann ein Virus vom Tier auf den Menschen überspringen?
Glaubrecht: Das wissen wir nicht genau – die Serviererin hat steif und fest behauptet, die Tiere nicht gegessen zu haben. Manchmal reicht es möglicherweise, mit dem Tier in Berührung zu kommen, etwa einen Käfig anzufassen, den ein infiziertes Tier zuvor angeleckt hat. Es könnte sich sogar über die Luft verbreiten. Ein anderer Infizierter hatte damals einen Larvenroller gegessen.
Ein anderes Tier, das jüngst in Verdacht geraten ist, sind die Schuppentiere. Hier aber fehlt der direkte Nachweis. Denn in Südchina hatte man ein halbes Jahr vor dem Ausbruch von Covid-19 beim Zoll diese auch Pangoline genannten Tiere beschlagnahmt, in denen man nun das Sars-CoV-2-Virus nachweisen konnte. Das waren malaiische Schuppentiere, die nach Südchina eingeschmuggelt worden waren. Und vor allem kannte man zuvor Fledermäuse als Virenschleudern; sie sind anders als die genannten Zwischenwirte vermutlich eher das Reservoir für das Virus.
Es ist also kein Zufall, dass immer wieder Epidemien von diesen Wildtiermärkten ausgehen?
Glaubrecht: Nein, überhaupt nicht. Diese Pandemie war eine Pandemie mit Ansage, die Warnungen wurden schon in den vergangenen Jahren immer lauter, aber nicht gehört. Vom Schmuggel der Tiere und der stark anwachsenden Nachfrage nach solchen Tieren geht eine immense Gefahr aus. Die Mentalität, exotische Tiere zu verspeisen, ist extrem gefährlich. Es gibt ja Leute, die vergleichen Wildtiergenuss in China mit Rotwein und Käse in Frankreich. Aber dazu kann ich nur sagen: Wir verabschieden uns derzeit überall von lieb gewonnenen Gepflogenheiten.
Da ist China gefordert: Diese kulinarische Leidenschaft gefährdet die Menschheit weltweit. Die Vorliebe für Exoten hat übrigens viel mit dem wachsenden Wohlstand zu tun, Exoten sind luxuriöse Delikatessen, sie gelten als Ausdruck neu erworbenen Reichtums. Wir reden über Kilopreise von mehr als 300 Dollar. Auch deshalb wachsen die Wildtiermärkte in Großstädten: Wuhan ist eine Elf-Millionen-Menschen-Metropole. Chinas wachsender Wohlstand und die Zunahme von Zoonosen hängen zusammen — und die globalisierten Verkehrswege beschleunigen sie noch.
- Hintergrund: Kam das Coronavirus doch aus einem Labor in Wuhan?
Wenn die natürlichen Lebensräume der Wildtiere immer weiter schrumpfen – wächst dann die Gefahr von weiteren Pandemien?
Glaubrecht: Wenn wir die Arten lebendig auf Wildtiermärkten halten und essen, können irgendwann Viren überspringen. Wir wissen von mehreren 100 Viren, die bei Säugetieren vorkommen, gerade bei den domestizierten Tieren und bei denen, mit denen wir häufiger in Kontakt kommen wie Mäuse und Ratten. Mit exotischen Tieren steigern wir diese Gefahr zusätzlich. Die nächste Pandemie kommt bestimmt, wenn wir nicht aufpassen.
Sind die Wildtiermärkte ein Hotspot für die Entstehung von Pandemien?
Glaubrecht: Ja, in Tieren schlummern Viren, die wir dadurch freisetzen. Wir sind das ja als Menschheit gewohnt: Alle unsere Kinderkrankheiten entstammen der Zeit, als wir sesshaft wurden und Ackerbau und Viehzucht begannen. Masern, Mumps und Pocken sind alles Zoonosen. 60 Prozent aller Krankheiten und immerhin 75 Prozent aller neuen Infektionskrankheiten sind von Tieren übergesprungen, übrigens auch die Pest und die Pocken.
Von zehn der häufigsten Zoonosen stammen acht von Haustieren, die anderen beiden von Mäusen und Ratten. Diese Erkenntnis ist vernachlässigt worden. Wir haben Tausende Jahre gebraucht, um eine gewisse Immunität zu erlangen. Wir sollten nicht vergessen, dass es gerade diese Erreger waren, die nach der Entdeckung Amerikas Abermillionen Ureinwohner dahinrafften und die Eroberung durch Europäer überhaupt möglich machten. Viren haben die Geschichte der Menschheit bestimmt – und wir müssen aufpassen, dass sie das nicht wieder tun.
Wie lauten die Forderungen eines Zoologen, um aus einer Pandemie wie dieser zu lernen?
Glaubrecht: Zwei Dinge müssen sich ändern: Wir müssen den Wildtierhandel als Quelle erkennen und diese Märkte schließen. Dafür benötigen wir auch eine Aufklärungskampagne, damit die Menschen die Gefahr verstehen. Da hat China eine große Aufgabe vor der Welt. Zum zweiten müssen wir die Lebensräume der Tiere erhalten. Wenn Wildnisgebiete weiter schrumpfen und die Bevölkerung immer weiter wächst, kommen wir immer häufiger mit gefährlichen Erregern in Berührung. Wir sollten uns nicht nur auf Impfstoffe konzentrieren, sondern auch die Forschung ausweiten: Wir müssen die Tiere auf ihre Viruslast untersuchen. Das ist Pandemievorsorge.
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