Berlin. Die Corona-Pandemie hat ihren Ursprung in Wuhan. Wie und vom welchem Tier ist Sars-Cov-2 auf Menschen übergesprungen? Eine Spurensuche.
Masken, Medikamente, Massenarbeitslosigkeit: Die Entwicklung der Pandemie und die drohenden Folgen des neuartigen Coronavirus bestimmen die Schlagzeilen. Aber wie und auf welchem Weg konnte das Virus überhaupt den Menschen befallen? Rund vier Monate nachdem Sars-CoV-2 erstmals in einem Menschen nachgewiesen wurde, ergibt sich für Virologen nach und nach ein genaueres Bild.
Sucht man nach dem Ursprungsort der Pandemie, stößt man auf die zentralchinesische Provinz Hubei, genauer gesagt auf die inzwischen berüchtigte Elf-Millionen-Einwohner-Stadt Wuhan und einen Fisch- und Wildtiermarkt im dortigen Stadtteil Hankou.
„Patient Zero“: Erster mit dem Coronavirus infizierter Mensch könnte diese Frau sein
Lange Zeit herrschte Rätselraten um den „Patient Zero“, die erste nachweislich infizierte Person. Ende März schließlich will das „Wall Street Journal“ die erste Erkrankte gefunden haben: Wei Guixian, eine 57-jährige Shrimp-Verkäuferin auf besagtem Markt in Wuhan. Bereits Anfang Dezember vergangenen Jahres gab es Medienberichten zufolge im Umkreis des Marktes den ersten größeren lokalen Ausbruch, bei dem sich mehrere Dutzend Menschen infiziert haben sollen.
Auf dem Markt sollen neben Shrimps auch lebende Fische, Schlangen, Gürteltiere und Reptilien verkauft worden sein. Aber offenbar keine Fledermäuse. Vieles deutet dennoch darauf hin, dass das Virus von einem der dort gehandelten Tiere stammt – wahrscheinlich über ein Tier, das zuvor Kontakt mit einer infizierten Fledermaus hatte. Belegen lässt sich dies nicht mehr: Die Behörden vor Ort ließen den Großteil der Waren vernichten. Chinas Regierung verbot den Wildtierhandel vorerst.
Einwohner von Wuhan können wieder auf Märkte
Verwandtes Virus in der Fledermaus entdeckt: 95 Prozent Überlappung
Das neuartige Coronavirus, sagen Wissenschaftler heute, stamme mit hoher Wahrscheinlichkeit ursprünglich aus einer Fledermaus. „Es wurde ein Virus bei der Fledermaus erkannt, das sich zu mehr als 95 Prozent mit dem aktuellen Coronavirus überlappt. Das ist wahrscheinlich das nächstverwandte Virus“, sagt Professor Luka Cicin-Sain, Virologe am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig. „Beide sind einmal dasselbe Virus gewesen. Die Vorfahren dieser beiden Viren haben sich erst vor relativ kurzer Zeit voneinander getrennt.“
Das sieht auch Thomas Mettenleiter so: „Die 95 Prozent genetische Identität mit einer Virussequenz in der Fledermaus sind natürlich schon sehr bemerkenswert. Sie ist aktuell der beste Tipp, den wir haben“, sagt der Präsident des Friedrich-Loeffler-Instituts. Er bestätigt: Es gibt zwar weitere Tierarten, die Coronaviren mit einer gewissen genetischen Verwandtschaft in sich tragen, etwa Schuppentiere oder Schlangen. Doch bei keinem sei das Erbgut ansatzweise so ähnlich zu Sars-CoV-2 wie beim Virus in der Fledermaus.
Fledermäuse: Immunsystem macht sie zum perfekten Wirt für Erreger
Fledermäuse und Flughunde gelten als natürliches Reservoir für viele Krankheitserreger – nicht nur für das neuartige Coronavirus, sondern auch für frühere gefährliche Erreger wie Sars-, Mers-Coronaviren oder Ebola. Dabei scheinen infizierte Fledertiere keine Symptome zu zeigen.
Offenbar liegt das an ihrem sehr effektiven Immunsystem, haben Forscher der Universität von Kalifornien in Berkeley nun herausgefunden. Dieses schützt die Tiere einerseits vor einer Infektion, sorgt zugleich aber auch dafür, dass sich die Viren im Wettlauf mit dem Immunsystem der Fledermäuse schneller vermehren und mutieren. In einem schwächeren Wirt haben sie es dann leichter.
Chinesische Forscher warnten vor dem Corona-Szenario - schon vor einem Jahr
Dass die Fledermaus ein Coronavirus neuer Art übertragen könnte, davor hatten offenbar chinesische Wissenschaftler in einer Studie gewarnt – und zwar bereits vor einem Jahr. Der Erreger werde „höchstwahrscheinlich“ von der Fledermaus ausgehen, und es gebe „eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, dass es in China passiert“, hieß es darin. Erschienen ist die Studie im März 2019 im Fachjournal „Viruses“.
Die vier Forscher kannten den späteren Ursprungsort des Virus gut, sie wirkten am Institut für Virologie der Metropole Wuhan und der Universität der chinesischen Akademie der Wissenschaften. Sie erkannten die Fledermaus als mögliche Gefahr, weil das Tier bereits zwei frühere Coronaviren übertragen hatte: im Jahr 2013 das Virus Sars-CoV mit weltweit 774 bestätigten Toten sowie erst 2017 ein Coronavirus namens Sads-CoV, das in China nur Schweine befallen hatte.
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Übertragung auf den Menschen: Gab es ein Tier als Zwischenwirt?
Unklarer ist dagegen, ob das jetzige Virus Sars-CoV-2 direkt von Fledermäusen auf Menschen übertragen wurde oder ein weiteres Tier als Zwischenwirt mit im Spiel war. „Das ist beim aktuellen Stand der Dinge unmöglich zu erörtern“, dämpft der Virologe Cicin-Sain die Erwartungen. „Es ist sogar gut möglich, dass wir nie wissen werden, wie es passiert ist.“
Dass Wildtiere erst Haus- und Nutztiere infizieren, die den Erreger dann auf den Menschen übertragen, passiere relativ häufig. „Das ist sehr gut bei Influenza beschrieben worden. Dort kann man nachverfolgen, dass es Erbgutteile in Influenza gibt, die eindeutig vom Vogel stammen und sich dann mit Influenza-Teilen aus Säugetieren vermischten“, sagt Cicin-Sain.
Beim aktuellen Coronavirus sei das aber nicht der Fall. Dessen Erbgut, das Genom, unterscheide sich vom Grippevirus. Für Wissenschaftler bleibt es schwierig bis unmöglich zu erkennen, ob ein Teil des Coronavirus vorher in einem anderen Tier als der Fledermaus steckte, etwa in einem Schwein oder einer Schlange. „Beides ist denkbar“, sagt Thomas Mettenleiter. „Beim Verzehr von wenig gegartem oder rohem Fleisch kann es immer zu Infektionen kommen.“
Der Virologe Christian Drosten hat eine andere Tierart im Verdacht: Marderhunde. Die Zucht der Tiere sei eine riesige Industrie in China und schon das SARS-Virus von 2003 sei in Marderhunden nachgewiesen worden, sagte Drosten dem britischen „Guardian“. Diese Möglichkeit sei bislang nicht ausreichend beachtet worden: „Hätte ich ein paar Hunderttausend Euro und freien Zugang in China, dann würde ich die Quelle des Virus in Zuchtfarmen für Marderhunde suchen“, so Drosten.
Wurde das Coronavirus eingeatmet oder verzehrt?
Auf welchem Weg das Virus auf den Menschen übergesprungen ist, bleibt wissenschaftlich ebenfalls unklar. Zwei Theorien sind am wahrscheinlichsten. „Am ehesten vorstellen können wir uns derzeit, dass Teile des Virus eingeatmet wurden“, erklärt Cicin-Sain. „Denn wir wissen, dass sich das Virus am besten durch Einatmen unter den Menschen ausbreitet.“
Die Übertragung könnte aber durchaus auch durch Verzehr von exotischen Wildtieren geschehen sein. Die Frage nach der Herkunft von Sars-CoV-2 bleibt für die Forscher wichtig. „Würden wir mehr über den Ursprung wissen, können wir auch sagen, über welche Wege sich solche Epidemien übertragen. Dann könnte man bessere Empfehlungen darüber abgeben, welche Maßnahmen sinnvoll sind“, sagt Cicin-Sain.
Pandemie: Droht eine ähnliche Virusübertragung jederzeit wieder?
Mit Blick in die Zukunft ist zoonotischen Wissenschaftlern, die Übertragungen zwischen Wirbeltieren und dem Menschen erforschen, klar: Eine Übertragung ähnlich gefährlicher Viren von Tieren auf Menschen kann jederzeit wieder passieren. „Die Frage ist nicht, ob es passieren kann. Die Frage ist: wann wieder und wie hart“, sagt Cicin-Sain. Der enge Kontakt mit Nutztieren und der Verzehr diverser Tiere gehören zum Alltag. Zudem fördern Naturzerstörung, Artensterben und Bevölkerungswachstum die Gefahr weiterer Infektionskrankheiten.
Thomas Mettenleiters Institut auf Riems betreibt daher mehrere Versuchsreihen: einerseits mit fruchtfressenden Fledermäusen, die den chinesischen zumindest ähneln. Eine weitere untersucht das Tier, mit dem sich Atemwegserkrankungen, wie Influenza oder Covid-19, bei uns Menschen offenbar am besten nachstellen lassen: das Frettchen. Erste Ergebnisse zeigen, dass die kleinen Raubtiere mit dem neuen Coronavirus infiziert und als Tiermodell in der Forschung eingesetzt werden können, etwa zur Impfstoffentwicklung.