9,4 Millionen Zuschauer verfolgen, wie Thomalla und Wuttke als Leipziger Kommissare den Mord an einem Abfallunternehmer aufklären.
Leipzig. Gut, aber unter der magischen Marke: Der Leipziger „Tatort“ hat den Sprung über die Zehn-Millionen-Zuschauer-Marke am Sonntagabend nicht geschafft.
9,40 Millionen Menschen (Marktanteil von 25,8 Prozent) sahen ab 20.15 Uhr den Krimi mit dem Titel „Blutschuld“, in dem die Kommissare Eva Saalfeld (Simone Thomalla) und Andreas Keppler (Martin Wuttke) den Mord an Abfallunternehmer und Patriarch Harald aufzuklären hatten. Der hatte seine Verwandschaft Zeit seines Lebens nicht besonders freundlich behandelt...
Parallel bescherte die Tragikomödie „Schwägereltern“ mit Nina Kronjäger und Thomas Sarbacher dem ZDF 4,04 Millionen Zuschauer (11,1 Prozent).
Kritik an dem Leipziger Krimi kam via Facebook ausgerechnet vom Hamburger „Tatort“-Darsteller Til Schweiger. „Ich fand den „Tatort“ auch nicht prickelnd, aber das ist nicht die Schuld der Schauspieler, das ist wenn schon die Schuld des Autoren, oder vielmehr des Senders, der sagt, das wird jetzt so verfilmt, anstatt dem Autoren zu helfen, einen tollen Film zu schreiben“, postete Schweiger in der Nacht zum Montag bei Facebook.
Keppler, Saalfeld und die Leiche
Leo Tolstoi hat beim MDR augenscheinlich niemand gelesen. Zumindest aber hat man die Analyse des Familienlebens, die der russische Literat an den Anfang von „Anna Karenina“ stellte – „Alle glücklichen Familien ähneln einander; jede unglückliche Familie ist auf ihre eigene Weise unglücklich“ –, sträflich ignoriert. Die Kosens, um die es sich im vorletzten Fall für die Leipziger Ermittler Saalfeld (Simone Thomalla) und Keppler (Martin Wuttke) dreht, sind zwar ganz ohne Zweifel eine äußerst verkrachte Mischpoke. Aber von großer Kreativität beim Ausmaß des Unglücks kann keine Rede sein.
Patriarch Harald (Bernhard Schütz) hat seine Verwandtschaft Zeit seines nach wenigen Filmminuten abgeschlossenen Lebens terrorisiert. Nun liegt er erschlagen und erwürgt in seinem Schlafzimmer. In Anbetracht der großzügig durchs Zimmer verteilten Blutspuren folgert Keppler messerscharf, dass das trotz des geleerten Safes kein einfacher Raubmord gewesen sein kann: „Das wirkt alles inszeniert.“ Kollegin Saalfeld ist sich derweil trotz diverser durchs Bild stromernder Kollegen von Spurensicherung und uniformierter Ablegerschaft der Leipziger Polizei noch nicht einmal sicher, ob Harald Kosen wirklich tot ist: Lieber schnell noch einmal den Puls fühlen.
Man erkennt aber auch so wenig in diesem Leipzig: ob Tatort oder Polizeidienststelle, Büro des toten Schrotthändlers oder Kaufmannsladen – Glühbirnen scheinen in Leipzig echte Mangelware zu sein. Alle tapern durchs Halbdunkel, selbst draußen herrscht nahezu durchgängig bedeutungsschwangere Dämmerstimmung.
Ein paar Tote mehr machen noch keinen Tukur-„Tatort“
Und als wenn die schlechten Lichtverhältnisse noch nicht reichen würden – wie soll man denn so vernünftig Spuren sichern? –, verkompliziert die lange Liste der Verdächtigen die Ermittlungen zusätzlich. Da wäre zum einen der Nachwuchs des Toten. Sowohl der frisch aus dem Knast entlassene Sohn Patrick (Tino Hillebrand) als auch Tochter Sofie (Natalia Rudziewicz) dürfen ausgedehnt über die Misshandlungen durch Herrn Papa lamentieren, Schwiegersohn Frank Bachmann (Alexander Khuon) hat ebenfalls reichlich Motive. Was mit Frau Kosen (Lina Wendel) ist, weiß man mangels Anwesenheit nicht so genau, man darf aber davon ausgehen, dass sie ebenfalls Grund genug hatte, ihrem Gatten die Pest an den Hals zu wünschen. Und dann ist da auch noch der ehemalige Geschäftspartner des Schrotthändlers, Christian Scheidt (Uwe Bohm), noch so ein verkrachter Charakter.
Irgendwann entwickelt Kommissar Keppler mit Pfeilen, Kreisen und Fotos der Verdächtigen ein verzwicktes Komplott, das die Lösung bringen soll: „Ich find das irgendwie schlüssig.“ Dummerweise sind die 90 Minuten bis zur Aufklärung der „Blutschuld“ da erst zur Hälfte rum. Und mit einer einzigen Leiche kommt man heutzutage ja auch nicht mehr weit. Nur machen ein paar Tote mehr noch keinen Tukur-„Tatort“. Und die obskure Rückblende zu Beginn aus fader Täterjagd noch keinen Arthouse-Krimi. Stattdessen verrätselt sich der Fall aus Leipzig immer weiter, bis dann zum Ende hin immerhin klar wird, wer da wen umgebracht hat. Man bekommt sogar eine Ahnung, was die Beweggründe für die Tat gewesen sein mögen, wenn auch nur eine, die maximal „irgendwie schlüssig“ ist.
Saalfeld und Keplers Abgang an einem Kanal entlang gemahnt ein wenig an den in den Sonnenuntergang reitenden Sheriff eines alten Western. Bloß ohne Pferd. Und ohne Sonne. Hoffentlich stolpern die beiden nicht im Halbdunkel. Immerhin haben sie noch einen Fall zu lösen, bevor sie an das neue Team des MDR abgeben. Das wird in Dresden ermitteln und rein weiblich sein, wie MDR-Fernsehfilmchefin Jana Brandt letzthin betonte. Sonnenaufgangsstimmung verbreitet darüber hinaus ihre Ankündigung, dass das Drehbuch für den ersten Dresden-„Tatort“ von Ralf Husmann kommen wird. Und wer ein Ekel wie „Stromberg“ ins rechte Licht rücken kann, der schafft das auch mit einem „Tatort“ – hoffentlich.