Die ausgebrannte Fähre „Norman Atlantic“ ist in den italienischen Hafen Brindisi geschleppt worden. Dort soll weiter nach Vermissten gesucht werden. Ein führerloses Flüchtlingsschiff steuert zudem auf die italienische Küste zu.
Brindisi. Die ausgebrannte griechische Fähre „Norman Atlantic“ hat am Nachmittag den Hafen von Brindisi in Süditalien erreicht. Dort soll das am Sonntag verunglückte Schiff noch einmal nach Vermissten und Leichen und nach der Ursache der Feuerkatastrophe abgesucht werden, die mindestens elf Menschen das Leben gekostet hat.
Das Schiff fuhr am Nachmittag in den äußeren Hafen ein und sollte später an einem Anleger vertäut werden, wie italienische Nachrichtenagenturen unter Berufung auf die Behörden berichteten. Der zuständige Staatsanwalt von Bari sowie andere Ermittler und Experten sollten das ausgebrannte Wrack noch am Freitag erstmals untersuchen.
Anschließend sollen Gutachter damit beauftragt werden, sich das Schiff gründlich anzusehen und nach Hinweisen zum Hergang der Katastrophe zu suchen. Sie wollen unter anderem die Blackbox suchen, um Aufschluss über die Unglücksursache zu bekommen. In dem ausgebrannten Wrack könnten zudem noch weitere Opfer gefunden werden
Die mühsame Bergung des havarierten Schiffs über die stürmische Adria hatte am Donnerstagnachmittag begonnen und 17 Stunden gedauert. Die Hafenbehörden in Brindisi berieten am Freitagmorgen, wo die Fähre genau vertäut werden soll, wie der Besitzer des Schleppers, Guiseppe Barretta sagte.
Am Sonntag war auf der Fähre auf dem Weg von Griechenland nach Italien ein Brand ausgebrochen. In einer stundenlangen Rettungsaktion wurden die meisten Passagiere und Besatzungsmitglieder einzeln mit Hubschraubern von Bord geholt. Danach herrschte große Verwirrung, wie viele Menschen mitgefahren und ob Flüchtlinge als blinde Passagiere im Schiff waren.
Nach jüngsten Angaben der italienischen Küstenwache liegt die Zahl der Geretteten bei 477. Diese Zahl addiert mit der Zahl der elf Opfer ergibt, dass mindestens 488 Menschen an Bord waren. Die griechischen Behörden hatten von 474 Menschen auf der Fähre gesprochen. Noch am Dienstag hatte die Küstenwache nur 427 Gerettete gezählt.
Derweil streiten sich griechische und italienische Behörden über die Zahl der Vermissten. Während ein italienischer Staatsanwalt sagte, es würden bis zu 98 Menschen vermisst, sprachen griechische Behörden von 18. Die italienische Zählung sei voller Dopplungen und Rechtschreibfehler, monierte die griechische Seite.
„Nennt mich nicht Held“
Der Kapitän Argilio Giacomazzi, der als letzter von Bord gegangen war, kehrte am Donnerstag nach mehrstündigem Verhör durch die Ermittler endlich nach Hause zurück. Vor seinem Haus in der italienischen Hafenstadt La Spezia bat er die wartenden Reporter, ihn allein zu lassen. Er fügte hinzu: „Nennt mich nicht Held. Ich wünschte, ich hätte alle an Bord sicher nach Hause bringen können.“
Gegen Giacomazzi und die italienische Reederei Visemar, die das Schiff verchartert hatte, ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen fahrlässiger Tötung, Körperverletzung und Herbeiführens einer Havarie. Laut Nachrichtenagentur Ansa erklärte der Kapitän, zunächst – um keine Panik auszulösen – wie vorgesehen die Besatzung alarmiert und dann den Alarm im ganzen Schiff ausgelöst zu haben. Passagiere hatten kritisiert, dass es keinen Alarm auf der Fähre gegeben habe.
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Die Vorwürfe der Passagiere werden derweil immer lauter. „Es war wie in der Hölle, die ganze Zeit Rauch, Rauch, Rauch“, sagte eine Überlebende aus München, Ute Kilger. „Die Crew war nicht anwesend, es gab keinen Ansprechpartner, niemanden, der Informationen hatte, niemanden, der einen beschützt hat.“
Spekuliert wird weiter auch über die Ursache des Feuers, das im Fahrzeugdeck ausbrach. Dort waren laut Zeugen viele Laster mit Olivenöl geparkt. Mutmaßungen, wonach blinde Passagiere sich mit einem Feuer wärmen wollten und so den Brand auslösten, bestätigten die Behörden bisher nicht.
Weiteres Flüchtlingsschiff ohne Besatzung
Auf die Küste Italiens steuert unterdessen ein weiterer Frachter mit Hunderten Flüchtlingen an Bord ohne Besatzung zu. Die Küstenwache habe am Donnerstag einen Rettungseinsatz begonnen, meldete die Nachrichtenagentur Ansa. Nach ersten Informationen sollen etwa 400 Menschen an Bord des Schiffes sein. Der unter der Flagge Sierra Leones fahrende Frachter befinde vor der Küste der süditalienischen Provinzhauptstadt Crotone.
Erst am Vortag waren fast 800 Bootsflüchtlinge auf einem führerlosem Frachter vor Süditalien nur knapp einer Katastrophe entgangen. Das Schiff „Blue Sky M“ mit 768 Migranten an Bord steuerte in der Nacht zum Mittwoch auf die Küste der Region Apulien zu. Nach Medienberichten war der Autopilot an. Ohne die Intervention der Einsatzkräfte wäre der Frachter auf die apulische Küste geprallt, weil das Schiff sich selbst überlassen war, wie ein Sprecher der Küstenwache sagte. Von der Besatzung fehlte jede Spur.