Der am Sonntag verstorbene Udo Jürgens zeigt sich in der Show der Schlagersängerin als souveräner Showmaster, der etwas zu sagen hat. Jürgens sang vom Optimismus. Dem Publikum hat’s gefallen.
Berlin. Sein letztes Solo sang er in Berlin. Es war der 11. Dezember, Prenzlauer Berg, Velodrom. Auf großen LED-Leinwänden flogen Funken, das Licht war violett und rot. Und er hätte all das gar nicht gebraucht. Udo Jürgens, in einem schwarzen Anzug, saß an einem schwarzen Schimmel-Flügel, und es war genug. Er, der Achtzigjähriger, er sang vom Optimismus. Ich reiß sicher auch keine Bäume mehr aus. Doch ich will und werde noch welche pflanzen. Dem Publikum hat’s gefallen.
Aus dem Bäumepflanzen wird nichts mehr. Am Sonntag starb der Sänger und Entertainer überraschend auf einem Spaziergang in Gottlieben an Herzversagen. In dem Ort im Kanton Thurgau (Schweiz) hatte er auf den Einzug in sein neues Haus gewartet. Jürgens’ Assistent Billy Todzo versuchte noch, ihn mit einem Defibrillator wiederzubeleben. Vergebens.
Der letzte Bühnenauftritt war die Aufzeichnung der „Helene Fischer Show“. Gerade noch war sie auf der Bühne gewesen, die Titelheldin, in einem Abendkleid mit kleinen Perlen und Steinchen, die bei jeder Bewegung raschelten. Am Bühnenrand, da saß ein Assistent mit Windmaschine. Er blies Helene die Haare auf. „Bring mich zurück in Leben“, singflehte sie, und die Windmaschine gab sich alle Mühe. Helene sang: Weck mich auf und rette mich vor dem Nichts, das ich geworden bin.
Pyro zuckte. Und dann kam auch noch ein Rapper dazu, mit Sonnenbrille, und Tänzer kreiselten um sie herum, in weißen Kostümen, und sie alle gemeinsam versuchten Leben in Helene Fischers Perfektionismus zu bringen. Das Lied, das sie sang, „Bring me back to life“, es war mal eines ihrer Lieblingslieder, sagte sie. Es ist ein Cover der Band Evanescence, die gab es mal, Anfang der 2000er-Jahre. Und Evanescence heißt „Dahinschwinden“. In ihrem Hit „Bring me back to life“ singt eine junge Frau – Helene Fischer ist selbst gerade erst 30 – vom Pessimismus, vom Verzweifeltsein. Sie sucht einen Retter. Und dann sagte sie ihn an – den Retter ihrer Show. Udo Jürgens.
Die Show ist er selbst, und er braucht keinen Licht- und Pyro-Firlefanz
Er habe sie schon ihre ganze Karriere begleitet, und sie bewundere ihn, weil er mit 80 noch mitten im Leben stehe. Sie sagte das, weil sein aktuelles Album so heißt. Und weil das der Teleprompter sagte. Sie lächelte dann dieses Showlächeln, zeigte hinter sich auf die Bühne, und da saß er. Ganz ohne Windmaschine, Tänzer und Pyro. Die Show, das war er allein. Ein Mann von Welt an seinem Flügel: Und nach wie vor will ich hundert Prozent. Will alles verlangen, will alles geben. Mit aufrechtem Gang, nicht schicksalsgebeugt.
+++ Hier sehen Sie das letzte Konzert von Udo Jürgens in Hamburg +++
Die braun gebrannten Mädchen in den ersten Reihen, die mit dem glänzenden Helene-Fischer-Make-up und den raschelnden Oberteilen tuschelten nicht mehr, sie hörten hin, als er sang, „Es gibt kein Leben aus altem Applaus“. Man muss immer weitermachen und, wichtiger, weitermachen wollen. Wer sich angekommen wähnt, hat keine Energie mehr weiterzugehen. Aber weitergehen, das ist Leben. Nur das. Davon handelt sein Lied „Mein Ziel“. Er hat es nicht geschrieben, aber so wie er es sang, war es trotzdem seins.
Mein Ziel ist immer neu zu beginnen. Mein Ziel – ich fühl es tief in mir drinnen, mein Ziel kann nur Freiheit und Liebe sein: Das waren die letzten Zeilen, die er alleine sang. Und das Publikum, nach Helenes Evanescene hatte es gesessen, das konnte es vielleicht nicht benennen, aber es spürte den Unterscheid. Es wusste, das war irgendwie größer. Also stand es jetzt auf. Klatschte, und Jürgens verbeugte sich leicht.
„Was wichtig ist“: Was er gesungen hat, wird weiterwirken
Helene ging auf ihn zu, verwickelte ihn in Show-Small-Talk. Sie war in der einer ZDF-Gala anlässlich seines 80. Geburtstags aufgetreten. „Mitten im Leben“. Eine tolle Show, waren sich der Künstler und die Interpretin auf der Bühne einig. Hast du sie im Fernsehen gesehen?, fragte Helene ihren Gast und der sagte: Nein. Er schaue sich seine Shows nicht an, wenn er das Gefühl habe, sie seien sehr gut geworden. Er wolle die Bodenhaftung nicht verlieren. Er sei doch noch immer voller Fehler.
Und Helene Fischer, die Perfekte, sie lächelte wieder ihr Showlächeln, und Udo Jürgens, der stützte sich mit der Linken auf den Flügel – Halt suchend – und die Rechte, die stemmte er in die Hüfte – bestimmt. Souverän. Galant. Der letzte TV-Auftritt von Udo Jürgens ist am 1. Weihnachtstag zu sehen: Im Duett mit der Gastgeberin Helene Fischer singt der Liedermacher in der „Helene Fischer Show“ auch seinen Titel „Was wichtig ist“. Sein letzter Auftritt, er war gut. Er hätte ihn sich im Fernsehen nicht ansehen wollen. Was er gesungen hat, es wird weiter wirken.
„Die Helene Fischer Show“ mit Udo Jürgens:1. Weihnachtsfeiertag, 20.15 Uhr, ZDF