Dazu trug vor allem Moderator Markus Lanz bei, der mit dem verunglückten Wettkandidaten genauso umging wie mit dem siebenjährigen Kinderkandidaten. Koch wies Lanz immer wieder zurecht.
Hamburg. Nun ist sie tatsächlich vorbei: Die Show, die in den 1980er-Jahren herausragender Teil des Fernsehprogramms war, die in den 1990er-Jahren immer noch den TV-Sonnabend dominierte, wann immer sie lief und die erst in den Nuller-Jahren ernsthafte Konkurrenz bekam. „Wetten, dass ..?“ hat – das muss man nicht nur anerkennen, das kann man gar nicht anders formulieren – deutsche Fernsehgeschichte geschrieben.
Doch irgendwann hat die Show die Chance zu einem Abschied auf dem Zenith verpasst. Stattdessen gab es am Sonnabend einen dreieinhalbstündigen Beweis dafür, dass „Wetten, dass ..?“ tatsächlich als aus der Zeit gefallener Dinosaurier durch das Programm tapst. Mit 9,27 Millionen Zuschauern erreichte die letzte Ausgabe zwar eine deutlich bessere Quote als die vorherigen, die nur noch knapp fünfeinhalb Millionen Menschen verfolgten. Doch in Anbetracht der Gäste – mit Til Schweiger, Jan Josef Liefers und Wotan Wilke Möhring saßen allein drei der erfolgreichsten „Tatort“-Kommissare auf dem Sofa, dazu mit Helene Fischer, Unheilig und den Fantastischen Vier drei der bekanntesten Musikacts Deutschlands – und der Tatsache, dass es in Nürnberg immerhin um das Finale der früher beliebtesten Show Deutschlands ging, ein enttäuschendes Ergebnis.
Dabei dürften nicht nur die monumentale Länge, sondern auch die Inhalte bessere Quoten zum Abschluss verhindert haben. Statt eines würdevollen Abschieds, der Vergangenheit und Gegenwart zu einem Fernseherlebnis verschränkt, an das man sich gern erinnert, gab es am Sonnabend vor allem einen Haufen leblose Rückblenden zu sehen, Fotos und Ausschnitte aus besseren Tagen, die mit der stets gleichen Frage von Moderator Markus Lanz an seine Gäste verknüpft wurde, was man denn mit „Wetten, dass ..?“ verknüpfen würde. So kreativ die Frage, so stereotyp auch die Antworten: Natürlich haben alle früher immer „Wetten, dass ..?“ geguckt, und natürlich war es immer ein Erlebnis.
In den besseren Momenten fühlte man sich wie beim Diaabend eines Arbeitskollegen, der die schönsten Weihnachtsfeiern der vergangenen vier Jahrzehnte Revue passieren lässt. In den schlimmeren wie bei einem Leichenschmaus, bei dem die Verwandten sich gegenseitig versichern, wie lebensfroh der Verstorbene doch gewesen sei.
Samuel Koch übte sich in trockener Selbstironie
Und ausgerechnet der Auftritt von Samuel Koch, des ehemaligen Wettkandidaten, der seit seinem schweren Unfall vor vier Jahren an den Rollstuhl gefesselt ist, geriet zu einem minutenlangen Fremdschämmoment. Nicht wegen Koch, der sich in trockener Selbstironie übte – „Ich wollte mich noch einmal richtig verabschieden. Beim letzten Mal hatte ich einen steifen Hals.“ –, sondern wegen des Umgangs mit ihm, dessen sich Lanz befleißigte: Mit unangenehmer Nulldistanz samt Schultertätscheln und bemühter Umarmung behandelte er den 27-Jährigen ungefähr so, wie er zuvor mit dem siebenjährigen Kinderkandidaten umgegangen war. Ein Trauerspiel, das erst nach einer gefühlten Ewigkeit, während der Koch Lanz immer wieder zurechtwies, ein Ende fand.
Ansonsten war alles so wie immer in den vergangenen Jahren, nur eben mit mehr Reminiszenzen an „die gute alte Zeit“. Die Wetten waren gehobene Standardkost: Ein Bankfachwirt, der ihm vorgelesene Texte buchstabengenau memorieren konnte. Ein Blinder, der mithilfe von Echoortung Puzzleteile an ihren korrekten Platz brachte. Cheerleader aus Elmshorn, die akrobatisch Wäsche aufhängten und der letzte Wettkönig von „Wetten, dass ..?“: Ein Student, der schneller an einem Parkhaus hinauf und wieder herunter kletterte, als ein Rallye-Weltmeister die gleiche Strecke mit dem Auto zurücklegen konnte. Otto Waalkes, Bully Herbig und Elton waren als Exponate deutschen Humors vergangener Jahrzehnte zu Gast, und Schauspieler Ben Stiller trug den Hollywoodstar-typischen „Wetten, dass ..?“-Blick zur Schau: Eine Mischung aus Entsetzen und Fatalismus ob der merkwürdigen Deutschen und ihrer Idee davon, was gute TV-Unterhaltung sei.
Man kann den ehemaligen Moderatoren Frank Elstner, Wolfgang Lippert und Thomas Gottschalk ihr Fernbleiben kaum verdenken. Andererseits hätten sie unter Umständen dafür sorgen können, dass man „Wetten, dass ..?“ nicht als vergeblich gegen den Untergang ankämpfenden Show-Tanker im Gedächtnis behält. Sie hätten der nostalgisch verklärten Erinnerung vom TV-Lagerfeuer, die Lanz so gern herstellen wollte, womöglich etwas Leben einhauchen können.