Drei Sendungen noch, dann ist „Wetten, dass..?“ vorerst Geschichte. Das ist konsequent
Hamburg. Noch drei! Mütter und Väter sagen solche Worte gern motivierend, wenn die Kinder noch ein paar Happen von den gesunden Erbsen essen sollen. Im Grunde ist dann aber das meiste geschafft, Erleichterung klingt mit. Noch drei! Markus Lanz zeigte lächelnd den Daumen und zwei Finger in die Kamera, der Schlussapplaus webte die letzten Sätze des Moderators in einen Klangteppich ein, und da war es raus, das Ende von „Wetten, dass ..?“, das gern als letztes Lagerfeuer der TV-Nation beschrieben wurde und bei dem jetzt klar ist: Neue Scheite müssen nicht mehr in die Glut gelegt werden. Die ewige Flamme des deutschen Fernsehens wird erlöschen.
Vielleicht war es ein Fehler, mit Lanz eher einen Feuerwehrmann des Fernsehens für diese Show zu verpflichten als jemanden, der den Funken überspringen lassen kann. Aber die anderen Kandidaten hatten sich ja vor knapp zwei Jahren alle geweigert, auf dem Dino zu reiten, nachdem Thomas Gottschalk abgestiegen war. Und so stimmt wohl, was Gottschalk am Sonntag in einer ersten Reaktion sagte: „Dann hätte ich das Ding auch gleich selbst gegen die Wand fahren können.“ Den Kurs Richtung Wand hatte er ja in seiner Endphase schon angelegt, eine grundsätzlich neue Idee, eine Wendung, konnte sein Nachfolger nicht in die festlich geschmückten Mehrzweckhallen der Republik bringen. Er versuchte es mit frech, skurril, albern, seriös, glanzvoll, bodenständig, gediegen, manchmal alles davon in einer einzigen Sendung, aber das Format war nicht mehr zu retten, weil die DNA des Fernsehens oder besser des gesamten Mediengeschäfts, in dem „Wetten, dass..?“ über Jahrzehnte eine der schönsten Ausprägungen war, sich zu stark verändert hatte. Die Show sei etwas, konstatierte Lanz nach der Show, „was das deutsche Fernsehen eigentlich dringend braucht. Aber offenbar passt es im Moment wahrscheinlich nicht mehr so richtig in die Zeit.“ Diese sei doch ein bisschen kalt geworden.
Erfolgreiches Fernsehen funktioniert heute anders: blitzschnell, sarkastisch
Doch was ist das noch, dieses „deutsche Fernsehen“ in dieser „Zeit“ – vor allem mit Blick auf dessen Unterhaltungsfunktion, die sich in Shows, aber auch in fiktionalen Stoffen wie Spielfilmen und Serien zeigt? Bei der Verleihung des renommierten Grimme-Preises am Freitag etwa wurde die Pro7-Sendung „Circus Halligalli“ von und mit Joko Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf ausgezeichnet. Auch in einer weiteren Show der beiden, die regelmäßig sonnabends zur besten Sendezeit ausgestrahlt wird und „Das Duell um die Welt“ heißt, zeigt sich, wie erfolgreiches Fernsehen – jedenfalls für die junge Zielgruppe – heute funktioniert: als Mischung aus YouTube-verwandten Filmchen und selbstironischen, aber auch stark sarkastischen Zügen in der Moderation, die den Shitstorm, also das geistlose Protestgewinsel der Internet-Community, schon in der eigenen Haltung zu den Dingen vorwegnimmt. Die beiden Moderatoren beherrschen die deutsche Sprache vorzüglich, sind blitzschnell in ihren Gedanken und in ihrer Ausstrahlung hervorstechend bürgerlich – die hier angelegten Brüche zu der gern dahingerotzten Internetsprache machen ihre Arbeit so besonders. Oder um mit Werner Arndt, Bürgermeister der Grimme-Stadt Marl, zu sprechen: „Wenn Joko und Klaas so etwas früher gezeigt hätten, wären sie möglicherweise weggeschlossen worden.“ Heutzutage werden sie im Stadttheater ausgezeichnet.
Wie sollte „Wetten, dass..?“ in diesem Umfeld noch bestehen? Thomas Gottschalk hatte lange davon gelebt, dass er mit einem grundsätzlich funktionierenden Sendungskonzept – Menschen mit mehr Dialekt als Intellekt erfüllen sich ihren Lebenstraum und zeigen, wie sie mit einem Bagger unter Wasser Frauenbeine am Geruch erkennen – diese Brüche, eben die Brüche seiner Zeit, zum Erfolg bringen kann. Der ausgebildete Lehrer, der mit seinen Sprüchen und seinem Charme so viel Erfolg hat, dass er in Los Angeles unter den Hollywood-Größen lebt und nur für seine Messias-Auftritte in die Heimat einschwebt und dabei ein paar Stars mitbringt; der sich in schrillen Outfits vom kleinkarierten Bürgermeister aus Böblingen oder Offenburg, der aufgeregt in der ersten Reihe neben seiner toupierten Gattin sitzt, abhebt; der den Unterschied zwischen Ironie und Zynismus kennt und lebt. In den letzten Jahren seiner Schaffenszeit spürte Gottschalk, dass sich die Landschaft um ihn herum veränderte und er manches weder konnte noch verstand, eine Fahrigkeit schlich sich bei ihm ein, während alles andere in der Sendung immer schriller und spektakulärer werden musste – bis hin zum Genickbruch.
Das Böse zieht noch in den Bann, mit „Tatort“-Kommissaren auf Tätersuche
Eine Neupositionierung der Marke in diesem Umfeld wäre wohl nicht nur für Markus Lanz eine zu große Aufgabe gewesen, da sich gleichzeitig die Sehgewohnheiten änderten; selbst das RTL-Schlachtschiff „Deutschland sucht den Superstar“ ist in schweres Wetter geraten. Das Fernsehen in seiner schematischen Form, mit festen Sendezeiten und dem Versprechen seiner Nutzer, sich in einem aktiven Prozess darauf einzulassen, sich auf Dauer Zusammenhänge zu erschließen und im Programmdschungel den eigenen Pfad zu schlagen, stößt an seine Grenzen. Viele der jüngeren Medienkonsumenten wollen nicht mehr suchen und finden, sie wollen gefunden werden von den Nachrichten, der Unterhaltung, der Musik, auch der Pornografie. Die Hochrangigkeit des Fernsehens (aber auch vieler Zeitschriften und Zeitungen) ist so auf Dauer nicht mehr gegeben; in den USA laufen viele der erfolgreichen Serien längst auf Digitalkanälen und werden blockweise an den Konsumenten verkauft, der sich die Folgen ansieht, wann es ihm passt. Auch in Deutschland, dem Markt, auf dem sich Bezahlfernsehen wie einst Premiere, das heute Sky heißt, so lange schwergetan hat, geht es in diese Richtung: Sky jedenfalls hat im vergangenen Jahr erstmals Gewinn gemacht, und der neue Werbeslogan fasst das Konsumentenverhalten bündig zusammen: „Du willst es doch auch!“
Dabei bleibt, wie bei allen Veränderungsprozessen, einiges auf der Strecke. In der jüngsten Ausgabe der „Welt am Sonntag“ konstatieren die Autoren Ulrich Machold und Andreas Rosenfelder in Bezug auf die durch Digitalisierung ausgelösten Veränderungsprozesse: „Das Bürgertum, das sich zwei Jahrhunderte lang als stolzes Subjekt der Geschichte fühlen durfte, hat die Kontrolle über seine Schlüsseltechnologien verloren.“ Das lässt sich, wenn auch mit anderen Zeitläufen, auf die jüngere Mediengeschichte übertragen: Die Gattungen der vergangenen Jahrzehnte verblassen in rasantem Tempo und mit ihnen die eingeübten bürgerlichen Rhythmen. Auf der Strecke bleiben jene Millionen Zuschauer – bei der „Wetten, dass ..?“-Ausgabe am Sonnabend waren es immerhin fast sieben Millionen –, die das Alte zwar vielleicht als verbesserungswürdig ansehen, aber in jedem Fall noch als für sie passender als das Neue, das oft ebenso schnell vergeht, wie es kommt.
ARD und ZDF versuchen sich in Rettungsaktionen für dieses Publikum und senden Zitate aus den Zeiten ihrer Unanfechtbarkeit, also aus den 70er- und 80er-Jahren: „Dalli Dalli“ lebt wieder auf, auch „Einer wird gewinnen“ erlebte ein Aufflackern. Ansonsten dominieren Volksmusik und Spielshows, die von den Leistungen begabter Kinder leben, den Sonnabendabend. Ein Lagerfeuer ist nicht dabei, das brennt nur noch bei Sportereignissen und sonntags um 20.15 Uhr, wenn die Nation mit „Tatort“-Kommissaren auf Tätersuche geht. Das Böse zieht noch in den Bann, lässt sich so einfach nicht ins Netz übertragen; das Unterhaltsame lässt sich zumindest auf unterem Niveau einfacher vervielfachen.
Dem ZDF scheint bewusst zu sein, welches Pfund es da vor allem aus wirtschaftlichen Gründen, auf die Produktionskosten wird ja ganz offensiv verwiesen, aus der Hand gibt. Titel und Konzepte für „Wetten, dass ..?“ wurden gesichert, es wurde auch gar nicht erst ausgeschlossen, dass die Show irgendwann eine Wiederbelebung erfahren wird. Zwar suche man jetzt nicht nach einem Moderator oder plane Konkretes, aber theoretisch denkbar sei die Rückkehr schon, sagt der Unterhaltungschef. Es gehört nicht viel Fantasie dazu, sich vorzustellen, dass dann Thomas Gottschalk wieder die Showtreppe hinuntersteigt, denn für den 63-Jährigen hat sich eine neue Aufgabe in dieser Fernsehwelt nicht finden lassen. Die Not könnte zusammenschweißen – oder um ein letztes Mal mit Markus Lanz zu sprechen: Darüber wird zu reden sein.