Bis in die 1960er-Jahre hinein war die Kopfbedeckung auch für Männer fast unverzichtbar. Doch bald darauf sah der Herrenhut ziemlich alt aus. Heute ist der Hut nicht mehr massentauglich. Ein Nachruf.
Es war keine Revolution, sondern ein schleichender Niedergang: Vor etwa 50 Jahren begann ein bis dahin unverzichtbares männliches Kleidungsstück langsam aus der Öffentlichkeit zu verschwinden. Wer Fotos von Hamburger Straßenszenen aus den 1920er- und 30er-Jahren betrachtet, wird feststellen, dass fast jeder Mann einen Hut trug. Bei den Hamburger Hafenarbeitern waren es schlichte Filzhüte oder Schirmmützen, Honoratioren trugen Zylinder oder Melonen. Wer mehr Wert auf Eleganz legte, entschied sich für einen Homburg oder Fedora.
Der Hut war als Kleidungsstück auch Ausdruck der sozialen Stellung seines Trägers. Und das machte sich natürlich auch beim Preis bemerkbar. Aber wie immer der Hut auch aussah, kein Mann hätte auf ihn verzichtet. In jeder Garderobe gab es eine Hutablage, denn in geschlossenen Räumen hatten sich Männer, im Gegensatz zu Frauen, stets barhäuptig zu bewegen. Das galt und gilt auch in Kirchen, nicht aber in Synagogen und auf jüdischen Friedhöfen, wo Männer aus religiösen Gründen grundsätzlich eine Kopfbedeckung tragen müssen. Die gibt es dann leihweise am Eingang.
Wer den Hut zog, daran erinnert heute nur noch das Sprichwort, grüßte damit einen anderen oder brachte ihm gegenüber seine Wertschätzung zum Ausdruck. Das waren ritualisierte Gesten, die mehr oder weniger verbindlich oder respektvoll ausgeübt werden konnten. Das Lüften des Hutes, verbunden mit einer tiefen Verbeugung, drückte Ehrerbietung gegenüber einer höhergestellten Persönlichkeit aus, die diesen Gruß oft weit weniger ausgeprägt beantwortete. Noch vor 20 Jahren konnte man auf Hamburgs Straßen eine merkwürdige Grußgeste beobachten: Wenn sich zwei nur flüchtig miteinander bekannte ältere Herren begegneten, griffen sie gleichzeitig an ihren Hut, den sie im Moment des Vorübergehens leicht hin und her bewegten und sich dabei fast unmerklich zunickten.
„Stock und Hut, steh’n ihm gut“, heißt es im Kinderlied, und für gut aussehende Männer war der Hut früher ein wichtiges Accessoire. Humphrey Bogart zum Beispiel trug einen klassischen Fedora mit nach unten gebogener Krempe und einer Delle im Kopfteil. Das war so stilbildend, dass man schon bald vom Bogart-Hut sprach. Hans Albers trug rollenbedingt Matrosenmützen, privat aber elegante Hüte.
Aber es ging nicht nur um Eleganz, sondern auch darum, ordentlich angezogen zu sein. Auch in der Nachkriegszeit, als Konrad Adenauer selbstverständlich einen Homburg aufsetzte. Selbst HSV-Fans trugen bis in die frühen 1960er-Jahre im Volksparkstadion Hüte oder wenigstens Baskenmützen.
Zwar gab es erhebliche Unterschiede, in denen sich Modebewusstsein und soziale Stellung ausdrücken konnten, aber ohne Kopfbedeckung verließ kaum ein Mann das Haus. Diesseits und jenseits des Eisernen Vorhangs wäre das nicht schicklich gewesen. Erhard und Ulbricht, de Gaulle und Chruschtschow – sie alle waren überzeugte Hutträger. Selbst der junge Willy Brandt setzte sich als Berliner Bürgermeister noch einen Homburg aufs Haupt.
John F. Kennedy ließ die Hutträger ziemlich alt aussehen
Dass Brandt später darauf verzichten sollte, lag an einem jungen amerikanischen Politiker, der auf einmal alle Hutträger ziemlich alt aussehen ließ: Als John F. Kennedy im Januar 1961 als erster Präsident in der amerikanischen Geschichte barhäuptig den Amtseid ablegte, waren die Konservativen sprachlos, die Jungen aber begeistert. Die amerikanische Hut-Industrie, die ohnehin mit rückläufigen Absatzzahlen zu kämpfen hatte, versuchte verzweifelt, Kennedy zum Huttragen zu bewegen. Regelmäßig belieferte man das Weiße Haus mit den neuesten Kreationen, Lobbyisten versuchten den Präsidenten zum Hut zu überreden, doch der trat strahlend und mit wehendem Haar an die Öffentlichkeit – und sorgte dafür, dass der Herrenhut immer mehr ins Abseits geriet.
Auch in Deutschland wurden Hüte in den 1960er-Jahren immer mehr als alt und gestrig, als unmodern, wenn nicht gar als reaktionär empfunden. Die Professoren trugen Hüte, die demonstrierenden Studenten nicht. Für Gert Hinnerk Behlmer, einen der bekanntesten Studenten-Aktivisten der 68er-Bewegung, wäre es völlig undenkbar gewesen, einen Hut aufzusetzen. „Unsere Väter wären nie auf die Idee gekommen, ohne Hut das Haus zu verlassen. Aber wir setzten natürlich keinen Hut auf“, erinnert er sich.
Die deutsche Hut-Industrie versuchte mit aufwendigen Werbekampagnen gegenzusteuern, stand aber auf verlorenem Posten. Die Umsätze brachen in den 1970er-Jahren dramatisch ein, da halfen auch Werbeslogans wie „Mann trägt wieder Hut“ oder „Ein Mann mit Hut gewinnt“ nichts.
Die Hüte der anderen taten ein Übriges: Denn Kommunisten wie Breschnew, Honecker und Ceausescu hielten an der männlichen Kopfbedeckung in Treue fest, deren Image sich damit weiter verschlechterte. Der alte Hut hatte ausgedient und taugte nur noch für Faschingskostüme.
Während Damen Hüte nach wie vor als Mode-Accessoires schätzten, begaben sich ihre männlichen Begleiter fast immer barhäuptig in die Öffentlichkeit. Verschwunden ist der Herrenhut trotzdem nicht, nur hat sich seine Funktion verändert. Vom selbstverständlichen verwandelte er sich in ein exklusives Kleidungsstück, das seinem Träger heute eine früher nie gekannte Aufmerksamkeit sichert. Wer heute als Mann einen Hut trägt, gibt ein Statement ab. Er signalisiert, dass er sich dem Mode-Mainstream bewusst widersetzt, was freilich ein hohes Maß an Selbstbewusstsein erfordert. Männer, die Hüte tragen, gelten als mutig, manchmal aber auch als sonderbar. Der Hut ist so auffällig, dass er problemlos zur Marke werden kann wie bei Udo Lindenberg, Hamburgs prominentestem Hutträger.
Seine Massentauglichkeit hat der Herrenhut dennoch unwiederbringlich verloren. Wenn Männer heute – etwa um sich vor der Sonne zu schützen – eine Kopfbedeckung tragen, dann ist es weder ein Fedora noch ein Borsalino und schon gar keine Melone, sondern die amerikanische Version einer Mütze: Seit den 1980er-Jahren hat die Baseballcap einen weltweiten Siegeszug angetreten. Sie wird von Frauen und Männern getragen, hat ein sportliches und modernes Image und ist längst gesellschaftstauglich geworden. Und so wird es wohl auch künftig dabei bleiben, dass zumindest für Männer der alte Hut ausgedient hat.