Jeden Tag zahlen in Deutschland eine Million Kunden Geld für Sex, rund 400.000 Frauen arbeiten als Prostituierte. Oft erfahren sie Gewalt. Die Diskussionen über die „Ware Frau“ werden lauter.
Köln. Prostitution breitet sich mehr und mehr aus – in einem schwer erträglichen Ausmaß und unter unwürdigen Bedingungen für die Frauen, sagen Kritiker. Formen gibt es viele, ob Escort-Service, Bordell, Club, Massage-Salon oder Straßenstrich.
Die Empörung über das Massenphänomen scheint zu wachsen. Seit einigen Wochen wird gestritten – über den Kauf der „Ware Frau“, über freiwillige oder erzwungene Prostitution, über Moral und Gesetze. „Es wäre fahrlässig, so zu tun, als wäre Prostitution ein Job wie jeder andere“, sagt Soziologe Michael Opielka von der Fachhochschule Jena in Thüringen. „Es geht um die Frage: Möchte ich in einer Gesellschaft leben, in der Sexualität radikal zur Ware wird.“
Es handelt sich um ein Milliarden-Geschäft mit Millionen Akteuren: Auf mehr als 14 Milliarden Euro schätzt das Statistische Bundesamt den Jahresumsatz im Prostitutionsgewerbe hierzulande. Aber nicht die Prostituierten machten Kasse, sondern Zuhälter, Bordellbesitzer und Menschenhändler, klagt Frauenrechtlerin Alice Schwarzer. Mit viel prominenter Unterstützung – von Margot Käßmann bis Wolfgang Niedecken – hat sie einen Appell gegen Prostitution verfasst. Die Debatte ist damit voll in Fahrt gekommen.
Nach Schätzungen bieten rund 400 000 Prostituierte – mit sehr hohem osteuropäischen Anteil – ihre Dienste an, aber auch die Zahlen 230.000 und 700 .000 kursieren. Statistiken gibt es nicht. Auch auf Kundenseite zeigt sich, dass es nicht um eine Nische geht: Eine Million bis 1,2 Millionen Männer zahlen landesweit für Sex – täglich. Seit einer Liberalisierung vor gut zehn Jahren sei Deutschland zum „Paradies“ auch für Ausländer verkommen, sagt Schwarzer.
Auch aus einigen Kommunen sind Klagen zu hören. In Berlin plant CDU-Innensenator Frank Henkel Sperrbezirke, in denen Prostitution tagsüber verboten sein soll. Saarbrückens Oberbürgermeisterin Charlotte Britz (SPD) sprach vor wenigen Wochen in einem „Spiegel online“-Interview von „unerträglichen Ausmaßen“.
Fremdbestimmt oder freiwillig?
Bieten Prostituierte ihre Dienste freiwillig an oder unter Zwang? Kriminalhauptkommissar Helmut Sporer – ein viel zitierter Experte – schildert in einer Stellungnahme für den Bundestag: „Im typischen Prostitutionsalltag in Deutschland wird nicht Deutsch gesprochen, hier ist die Frau weitgehend oder völlig fremdbestimmt, sie darf nur einen Bruchteil ihrer Einnahmen behalten, ist von der Außenwelt isoliert, arbeitet und wohnt im gleichen Raum“. Er fügt hinzu: „Rund 90 Prozent der Frauen arbeiten in der Prostitution (...) unter Zwang, unfreiwillig, aus Notlagen heraus oder scheinfreiwillig.“
SPD und Union haben nun bei ihren Verhandlungen für eine große Koalition eine umfassende Reform des Prostitutionsgesetzes von 2002 verabredet. Opfer sollen besser geschützt, ausbeuterische Praktiken wie Flat-Rate-Sex verboten werden. Das Gesetz von 2002 sollte die Rechtsposition und Arbeitsbedingungen der Frauen verbessern. Prostitution gilt nicht mehr als sittenwidrig. Körper und „sexuelles Arbeitsvermögen“ der Frauen seien aber verharmlosend zur Handelsware gemacht worden, kritisiert auch Professor Opielka.
Die Prostituiertenberatungsstelle Hydra meint dagegen: Sexarbeit sei für viele eine normale Erwerbstätigkeit. Die meisten Frauen hätten den Job freiwillig gewählt. Der Ruf nach einer Abschaffung der Sexarbeit hat im Gewerbe auch laute Proteste ausgelöst. Der Berufsverband erotischer Dienstleistungen sieht als Vorteile hierzulande: Frauen können ihrer Tätigkeit legal nachgehen, sich sozialversichern und ihren Lohn einklagen. Bezahlung und Arbeitsbedingungen variieren dabei stark. Eine Escort-Dame kann am Abend 1500 Euro verdienen, am Straßenstrich werden pro Verrichtung manchmal nur zehn Euro bezahlt.
Hauptkommissar Sporer fordert, eine Reform müsse ein „Arbeiten unter menschenwürdigen Bedingungen unter dem Schutz des Rechtsstaates“ ermöglichen. Bordellbetreiber dürften nicht über Preise oder Arbeitszeiten der Frauen bestimmen. Das Mindestalter solle auf 21 Jahre steigen. Ein Verbot halten die meisten aber für realitätsfern. Das schließt eine Ächtung allerdings nicht aus. Die „Zeit“ kommentiert: „Rasen, Rauchen, T-Shirts aus Bangladesch – bei uns ist fast alles verpönt. Nur der Kauf von Frauen nicht.“ Eine UN-Konvention stellt fest: Prostitution ist „mit der Würde und dem Wert der menschlichen Person unvereinbar.“