Der Hamburger Anwalt des Psychiatriepatienten Gustl Mollath kritisiert das Landgericht Regensburg. Er rechnet damit, dass das neue Verfahren erst Ende des Jahres beginnt.
Regensburg. Eigentlich hatte er gehofft, dass die Nachricht von der Freilassung von Gustl Mollath schon etwas früher komme. Umso erleichterter zeigte sich aber Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer am Dienstag, dass das Urteil der Oberlandesgerichts Nürnberg zur Wiederaufnahme des Verfahrens und zur unverzüglichen Freilassung Mollaths vielleicht gerade noch rechtzeitig kam.
Denn der Fall Mollath ist für die CSU längst zu einer starken Belastung im bayerischen Doppel-Wahlkampf geworden. Oppositionspolitiker, die sich der Sache annahmen, wie Martin Runge von den Grünen, füllten trotz brütender Hitze große Säle. Die Empörung in der Bevölkerung über die siebenjährige Zwangsunterbringung des 56-jährigen Nürnbergers ist groß.
Jetzt besteht in der Staatsregierung die Hoffnung, dass eine Phase der Entspannung eintritt. Damit wäre wieder ein unangenehmes Thema vor der Landtagswahl am 15. September abgeräumt. Dass die Justiz so „zeitnah“ entschieden habe, mache ihn sehr zufrieden, erklärte Seehofer. „Im Ergebnis“ sei nun eine gute Vorgehensweise gefunden worden, weil der Prozess von ganz vorne wieder aufgerollt werde.
Ministerpräsident Seehofer betonte, dass er in den vergangenen Monaten wiederholt die Frage an die Justiz gestellt habe, ob die Unterbringung Mollaths angesichts der vielen Zweifel und offenen Fragen zurecht bestehe. Diese Fragen brachten vor allem Bayerns Justizministerin Beate Merk (CSU) in Nöte.
Dass Seehofer sogar die Existenzberechtigung des Ministeriums infrage gestellt habe, dementierte der Ministerpräsident stets. Aber je länger sich der Fall hinzog, desto stärker wurde die öffentliche Kritik an der bayerischen Justiz, die Zweifel an der politischen Durchsetzungsfähigkeit der Ministerin nahmen zu. Ein Untersuchungsausschuss im Landtag fand zwar keine Belege für eine große Verschwörung von Politik, Wirtschaft und Justiz gegen Mollath, kritisierte aber deutlich Verfahrensfehler.
Merk stellte sich konsequent auf den Standpunkt, dass richterliche Entscheidungen weder zu kommentieren noch zu bewerten seien. Weil sie dabei kühl bis gereizt argumentierte und zum Entsetzen ihre christsozialen Parteifreunde auch wenig Empathie zeigte, geriet sie in die Rolle der herzlosen Bürokratin.
Erst als Seehofer im vergangenen Herbst Druck machte, kam Bewegung in die Sache. Der CSU-Chef verlangte nach einer schnellen Klärung. Denn die Frequenz der Fernseh- und Presseberichte über Mollath und die unglückliche Rolle der Justiz wurde immer höher. Kurz danach wurde Justizministerin Merk aktiv. Zum ersten Mal seit sie 2003 zur Justizministerin berufen wurde, wies sie die Staatsanwaltschaft an, die Wiederaufnahme eines Verfahrens einzuleiten.
Je länger sich der Fall hinzog, desto stärker wurde die öffentliche Kritik
Im ersten Anlauf misslang das. Das zuständige Landgericht Regensburg prüfte den Antrag der Staatsanwaltschaft und von Mollaths Verteidiger Gerhard Strate lang und unbeeindruckt vom öffentlichen Drängen. Vor zwei Wochen dann die späte Entscheidung der Regensburger Richter: Das Verfahren wird nicht wieder aufgerollt. Es habe zwar „Fehler“ und „Sorgfaltsmängel“ gegeben. Sie seien aber nicht so gravierend oder gar absichtlich geschehen. Die Entscheidungen müssten deshalb nicht neu überprüft werden. Die 113-seitige Urteilsbegründung war für Mollaths Verteidiger Strate „Annotationen des Unrechts“.
Der Verteidiger des nun nach sieben Jahren Psychiatrie freigekommenen Gustl Mollath sieht jetzt mit der Entscheidung des Oberlandesgerichts Nürnberg „den Rechtsstaat in Bayern wiederhergestellt“. Zugleich freue er sich, dass er mit seiner Prognose recht behalten habe, dass Mollath noch vor der bayerischen Landtagswahl freikomme, sagte er. Von der Entscheidung des Gerichts zeigte sich der Hamburger Anwalt nicht überrascht, wohl aber von der Schnelligkeit. „Der 1. Strafsenat des OLG Nürnberg hat bundesweit einen sehr guten Ruf.“ Daher sei er davon überzeugt gewesen, dass sich der Senat anders als das Landgericht Regensburg für ein Wiederaufnahmeverfahren aussprechen werde. Dass dies allerdings innerhalb von vier Wochen geschehen werde, habe ihn erstaunt. „Weil es um Freiheitsrechte geht, hat der Senat die Entscheidung wohl vorgezogen“, vermutet Strate.
Jetzt freut er sich über die „schallende Ohrfeige“ der „Verfassungsfreunde“ vom Nürnberger Oberlandesgerichts für die Regensburger Richter. Diese werden aber im neuen Prozess keine Rolle mehr spielen, das Oberlandesgericht hat das Verfahren an eine andere Kammer überwiesen, weil es besorgt ist, „dass die heute mit der Sache befassten Richter sich festgelegt haben“. Strate rechnet damit, dass das neue Verfahren erst Ende des Jahres beginnt.
Justizministerin Merk ist mit der Entscheidung des Oberlandesgerichts zufrieden. Für sie ist es ein „deutliches Zeichen, dass die Justiz mit solchen Punkten und auch Fehlern entsprechend umgeht und sie auf den Prüfstand stellt“. Auch wenn der Schaden für die Justiz nicht zu leugnen ist – die CSU-Politikerin sieht sich in ihrer Haltung bestätigt.
Sie habe immer die Unabhängigkeit der Gericht geachtet und sei für eine unpolitische Justiz eingetreten: „Das Ansehen der Justiz hat unter vielen Gesichtspunkten gelitten, unter anderem auch, weil Opposition und manche Medien das Thema Rechtstaatlichkeit und Gewaltenteilung in keiner Weise beachtet haben – das ist für mich etwas ganz Schlimmes“, sagte Merk.