Cascada zählt beim Eurovision Song Contest an diesem Sonnabend zwar nicht zu den Favoriten, aber wer ist schon vor Überraschungen gefeit.
Malmö. Wer holt sich die Krone beim 58. Eurovision Song Contest – die barfüßige dänische Elfe Emmelie, der in höchsten Tonlagen jaulende „Graf Dracula“ aus Rumänien oder vielleicht doch die deutsche Natalie? Die Frontfrau von Cascada hat es als blonde Disco-Queen ja auch schon auf einen anderen Thron geschafft. Aber vor dem Finale an diesem Sonnabend (21 Uhr, ARD) führt die 20-jährige Emmelie de Forest mit „Only Teardrops“ so überlegen auf den Listen der Buchmacher und Experten, dass vielleicht nur eine schwache Tagesform oder ein böses Maleur ihr den Sieg noch nehmen kann.
„Auf die Fresse fliegen“ beschrieb Natalie Horler in einem Interview, wie so ein Maleur für sie beim Start für Deutschland als Nr. 11 (Auftritt gegen 21.45 Uhr, siehe Zeittabelle) in der Malmö Arena aussehen könnte. Die 31-Jährige aus Bonn, deren erfolgreichste Single „Evacuate the Dancefloor“ 3,5 Millionen Mal verkauft wurde und ihr in den USA Platin sowie in Deutschland Gold einbrachte, wird mit dem Dancesong „Glorious“ durchaus im vorderen Feld erwartet. Ihr goldfarbenes Kostüm soll kurz sein, dazu trägt sie eine lange Schleppe und Glitzerpumps.
Aber für eine Wiederholung des rauschenden Osloer Eurovisions-Erfolges 2010 von Lena Mayer-Landrut dürfte es wohl nicht reichen. Zu sehr ein Aufguss des letzten schwedischen Siegertitels „Euphoria“ von Loreen, ist auch in Malmö immer wieder zu hören. Doch den Vorwurf, bei „Glorious“ handele es sich sogar um eine Kopie davon, hatte der in Deutschland für den ESC zuständige NDR per Gutachten offiziell ausräumen lassen.
In den beiden Halbfinalentscheidungen dieser Woche hatte Cascada ihren Beitrag nicht zeigen müssen: Deutschland zählt neben Italien, Spanien, Frankreich und Großbritannien zu den Hauptgeldgebern des ESC, die mit Gastgeberland Schweden für das Finale gesetzt sind.
„Ach, ich glaube, die meisten Songs hier sind nicht mit Mozart zu vergleichen“, kontert Horler Meinungen, dass es bei dem Wettbewerb um allerlei anderes als musikalische Qualität gehe. Schrill gegen brav zum Beispiel. Von etlichen netten, adretten jungen Sängern, die man zwei Sekunden nach dem „Thank You, Europe, I Love you“ vergessen hat, hebt sich auf jeden Fall der rumänische Countertenor Cezar („It's My Life“) ab. Optisch als eine Art Graf Dracula im blutrot eingetauchten Bühnenbild und akustisch mit einer in die höchsten Falsett-Töne hochgeschraubten Stimme.
Bunt oder bescheuert oder beides: Die kleine Finnin Krista Siegfrids hat es mit ihrem musikalischen Wunsch „Marry Me“ beim zweiten Halbfinale genauso ins Finale geschafft wie der isländische Wikinger-Nachfahre mit dem schweren Namen Eythór Ingi Gunnlaugsson („Ég á líf“). Und vorher schon die dänische Superfavoritin samt ihrer ebenfalls hochgehandelten Konkurrentin Margaret Berger aus Norwegen im atemberaubenden Eisköniginlook („I Feed You My Love“). Zusammen mit dem Schweden Robin Stjernberg („You“) stellen die Nordeuropäer unter den 26 Finalteilnehmern eine wahrlich starke Hausmacht in der recht kleinen Malmö Arena. Umgekehrt sind alle Länder aus Ex-Jugoslawien in den Halbfinales weggestimmt worden. Das dürfte einiges für nationale Sympathien bei der Zuschauerwertung bis zu den von allen ersehnten „Douze points“, der Höchstpunktzahl 12, bedeuten. Aber was?
„Bis zum Ende weiß keiner, wie es ausgeht“, meint Natalie Horler schwer widerlegbar zu all den Expertentipps, Wettlisten und Sterndeutern in Sachen Siegchancen. Dass der deutsche Eurovisions-Veteran Ralph Siegel, 67, für den von ihm komponierten Beitrag San Marinos die Sängerin Valentina Monetta („Crisalide“) mit einer mächtig von innen beleuchteten Kristallkugel vor dem Bauch ausstatten ließ, half jedenfalls nichts. Das Halbfinale war Endstation für die 18. Siegel-Komposition bei diesem europäischen Wettbewerb, den man früher „Schlagerfestival“ nannte.
Heute sagt auch in Deutschland jeder „Song Contest“, und unter dem Strich setzten sich in Malmö unter den 33 Beiträgen der ersten Halbfinaldurchgänge eher die netten als die ausgefallenen durch. So wird den 125 Millionen erwarteten TV-Zuschauern ein Hip-Hop-Duo aus Montenegro in Raumanzügen mit Innenbeleuchtung im Helm ebenso vorenthalten wie die Schweizer Gruppe Takasa von der Heilsarmee, bei der ein 95-Jähriger den Bass zupfte.
Dafür ist eine alte Bekannte dabei: die Waliserin Bonnie Tyler. Mit ihr setzt Großbritannien erneut auf einen Superstar vergangener Zeiten. Das hatten die Briten schon im vergangenen Jahr probiert, doch Schmusesänger Engelbert Humperdinck landete nur auf dem vorletzten Platz.