Menschenrechtler kritisiert das “hässliche“ und “groteske Schauspiel“ des Hinrichtungsabends im Staatsgefängnis von Georgia in Jackson.
Washington/Berlin. m kurz nach 19.00 Uhr Ortszeit brandete vor dem Staatsgefängnis Jackson im US-Südstaat Georgia lauter Jubel auf. Drinnen hätte Minuten zuvor der Todeskandidat Troy Davis durch die Giftspritze sterben sollen, doch er lebte immer noch. Ein Gerücht machte unter den rund 500 Demonstranten vor der Todeszelle die Runde: Der oberste US-Gerichtshof habe dem verurteilten Mörder einen Aufschub gewährt – eine weitere Chance, seine Unschuld zu beweisen.
Rund eine Million Unterstützer des 42-Jährigen rund um den Globus hätten damit zunächst ihren Willen bekommen, darunter Papst Benedikt XVI., der ehemalige US-Präsident Jimmy Carter, die Europäische Union und zahlreiche Weltstars. Sie alle baten um Gerechtigkeit oder wenigstens um Gnade für den Schwarzen. Doch auch die letzte Hoffnung erlosch am Abend schnell. Um 23.08 Uhr war Davis tot.
Seit Wiedereinführung der Hinrichtungen in den USA vor knapp 35 Jahren wurden 1267 Todesurteile vollstreckt. Der Schuldspruch gegen Davis zählt zu den umstrittensten, Beweise gegen ihn waren Mangelware, die meisten Zeugen trauten irgendwann ihren eigenen Aussagen nicht mehr. „In seinem Tod wird Troy Davis als eine Mahnung über das defekte Justizsystem weiterleben, das einen Unschuldigen tötet, während ein Mörder frei herumläuft“, meinte der Präsident der schwarzen Bürgerrechtsorganisation NAACP, Benjamin Jealous.
Den US-Bürgern und der ganzen Welt führte der Fall wie ein Paradebeispiel vor Augen, was passiert, wenn der Staat zum Henker wird, ohne die Schuld des Verurteilten eindeutig beweisen zu können - und ohne den Zweifel abschütteln zu können, dass auch die Hautfarbe eine Rolle spielt. Die Hinrichtung wurde „zum internationalen Symbol des Streits über die Todesstrafe und das rassistische Ungleichgewicht im Justizsystem“, so die „New York Times“.
Die US-Fernsehsender berichteten am Abend der Exekution mit mehr als einem kritischen Unterton über die dramatischen letzten Stunden von Troy Davis. Doch ob die Empörung daheim und im Ausland über diesen Einzelfall ausreicht, in 34 US-Bundesstaaten mit der Todesstrafe ein Umdenken auszulösen, ist mehr als fraglich. Nach Umfragen hält immer noch mehr als die Hälfte der Amerikaner die ultimative Bestrafung für richtig.
„Ich glaube, Amerikaner verstehen Gerechtigkeit“, sagt denn auch Rick Perry, der führende Bewerber für die republikanische Präsidentschaftskandidatur bei der Wahl im kommenden Jahr. Der Gouverneur aus Texas präsidierte in seiner knapp elfjährigen Amtszeit bereits über 236 Hinrichtungen, ist damit ein unrühmlicher Rekordhalter. Doch mit seiner Haltung zur Todesstrafe ist er nicht allein. Seine innerparteilichen Kontrahenten sind genauso dafür wie US-Präsident Barack Obama, der sie im Fall von „heimtückischen“ Mordtaten oder Sexualverbrechen an Kindern angemessen findet.
Laut der „Los Angeles Times“ sehen sich die Befürworter der Todesstrafe zurecht auf der „populären Seite“. So eignet sich das Thema weder als Streitpunkt im Wahlkampf noch für einen populären Gesetzesvorstoß.
Einzig der Beweis von Fehlurteilen könnte eine Abschaffung herbeiführen. Zuletzt war vor einem halben Jahr der Staat Illinois zum Schluss gekommen, das staatlich verordnete Töten nicht mehr rechtfertigen zu können. „Ich bin tief besorgt über die Möglichkeit, dass eine unschuldige Person exekutiert wird“, sagte der Gouverneur Pat Quinn damals, nachdem er ein Gesetz zur Abschaffung von Hinrichtungen unterschrieben hatte.
Das „Innocence Project“ (Projekt Unschuld), eine Organisation, die mit ihren Recherchen bereits 17 US-Todeskandidaten vor möglichen Justizirrtümern bewahren half, zeigt sich in Bezug auf Davis sicher, dass die Zweifel an seiner Schuld berechtigt sind. Für sie ist der Fall mit seinem Tod noch längst nicht abgeschlossen.
Nach der umstrittenen Hinrichtung des als Polizistenmörders verurteilten Davis hat die Menschenrechtsorganisation Amnesty International der US-Justiz Versagen vorgeworfen. Der 42-Jährige sei "mit der Giftspritze getötet worden, obwohl es große und gut begründete Zweifel an seiner Schuld gab“, erklärte der USA-Experte der deutschen Amnesty-Sektion, Sumit Bhattacharyya, am Donnerstag. Dieser Fall zeige, dass das Justizsystem der USA "seinen eigenen Ansprüchen nicht gerecht wird“.
Mit einigen Stunden Verzögerung war die ursprünglich für 19 Uhr Ortszeit geplante Exekution am späten Mittwochabend (Ortszeit) im Staatsgefängnis von Jackson/Georgia durchgeführt worden. Die Richter beschlossen ohne Angabe von Gründen, die Hinrichtung nicht zu stoppen. Davis soll 1989 in Savannah (Georgia) den 27-jährigen weißen Polizeibeamten Mark MacPhail erschossen haben, als dieser einen Obdachlosen vor Schlägern schützen wollte. Nach Angaben von Journalisten, die Augenzeugen der Hinrichtung waren, beteuerte Davis bis zum Schluss seine Unschuld. An die bei der Exekution anwesenden Angehörigen des ermordeten Polizisten gewandt, habe er betont, er habe MacPhail nicht umgebracht. Die Anwälte des Verurteilten haben bis zuletzt erklärt, ihr Mandant sei unschuldig. Ein in letzter Minute eingereichter Antrag auf Aufschub der Exekution wurde vom Obersten Gerichtshof in Washington abgelehnt.
Der US-Direktor von Amnesty International, Harry Cox, kritisierte das "hässliche“ und "groteske Schauspiel“ des Hinrichtungsabends. Er habe in seinen 30 Jahren Arbeit gegen die Todesstrafe noch nie so gravierende Zweifel an der Schuld eines Verurteilten gesehen, sagte er dem Rundfunksender "Democracy Now“.
Sieben der neun Belastungszeugen in dem Prozess von 1991 hätten ihre Aussagen inzwischen zurückgezogen, erklärten Davis' Berufungsanwälte. Mehrere Zeugen hätten erklärt, sie seien von der Polizei unter Druck gesetzt worden. Der baptistische Pastor Raphael Warnock sagte bei einer Protestkundgebung vor dem Gefängnis von Jackson, Davis sei durch das Warten vor seiner Hinrichtung regelrecht gefoltert worden.
Vertreter der Staatsanwaltschaft von Georgia erklärten dagegen, Davis' Schuld sei bewiesen. Im Fernsehsender CNN kritisierte der Staatsanwalt Spencer Lawton, Gegner der Todesstrafe stützten sich auf Emotionen. Die Widerrufung der Zeugenaussagen habe nur begrenzten Wert. Die Zeugen hätten nur in den Medien und nicht unter Eid widerrufen.
Der USA-Experte der deutschen Amnesty-Sektion, Sumit Bhattacharyya, erklärte, Davis sei hingerichtet worden, obwohl es große und gut begründete Zweifel an seiner Schuld gebe. Damit versage ein Justizsystem, das seinen eigenen Ansprüchen nicht gerecht werde.
Die stellvertretende Vorsitzende der Linken, Katja Kipping, erklärte, die Exekution von Davis sei wie jede Hinrichtung Unrecht gewesen. Die Bundesregierung dürfe zu diesem „Akt der Barbarei“ nicht schweigen.
(epd/dapd/dpa/abendblatt.de)