Schon Stunden nach der Schockmeldung begannen die Schuldzuweisungen. Das Parlament wollte am Donnerstag in Kairo zusammenkommen und über das “Massaker“ beraten. Die Muslimbruderschaft, die die stärkste Fraktion stellt, betonte in einem auf ihrer Website veröffentlichten Statement, dass Kräfte am Werk seien, die in enger Verbindung zu dem früheren Regime von Präsident Husni Mubarak stünden. Sie sah eine „unsichtbare“ Macht am Werke.
Port Said. Immer stärker werden die Gerüchte, die besagen, dass das Massaker beim Spiel zwischen Al-Masri und Al-Ahly Kairo in Port Said geplant war. Politisch motiviert soll es gewesen sein. Dafür spricht unter anderem die Tatsache, dass viele der 74 Getöteten zu den Ultra Fans des Clubs Al-Ahly gehören, die sich als Speerspitze der Revolution bezeichnen und heftig gegen das alte Regime und Mubarak gekäpft hatten. "Das ist die Rache der Revolutionsgegner an uns", sagt Mahmoud Abol Fotouh, ein Al-Ahly-Ultra aus Kairo zu "Spiegel Online". Die Polizei habe nicht so viele Sicherheitskräfte geschickt, wie sonst bei einem solchen Fußballspiel üblich. Die die vor Ort waren, sollen zugeschaut haben.
Auch der ägyptische Fußball-Rekordnationalspieler Hany Ramzy, deutschen Fans aus seiner Zeit bei Werder Bremen und beim 1. FC Kaiserslautern bekannt, schließt einen sportlichen Hintergrund der Ausschreitungen aus. "Das Spiel ging 3:1 für Al-Masri aus. Welchen Grund hat man, nach einem Sieg aufs Feld zu rennen und Menschen zu töten?“, sagte der ehemalige Bundesliga-Profi. "Das war vorher geplant. Das Stadion war voll, es war ein wichtiges Spiel. Es war ein guter Anlass, etwas Schlimmes zu tun“, sagte Ramzy weiter.
Er wisse nicht, wer die Verantwortlichen seien. "Wer hat das getan? Das ist das große Fragezeichen“, sagte Ramzy, der das Spiel in Kairo am Fernseher verfolgte. "Die Atmosphäre ist sehr seltsam. Jeder spricht über das, was gestern Abend passiert ist.“
Nach der Begegnung zwischen Al-Masri und Al-Ahly Kairo waren Hunderte Anhänger der Gastgeber auf den Platz gestürmt, wo sich erschütternde Szenen abspielten. Die Anhänger warfen Steine und Flaschen auf die Gästefans und schossen mit Feuerwerkskörpern, Panik brach aus. Viele Menschen wurden erdrückt, einige stürzten von den Tribünen, erlagen ihren Stichwunden und Kopfverletzungen.
Mohamed Zidan, derzeit einziger ägyptischer Bundesliga-Fußballer, hat mit Bestürzung auf die Stadion-Katastrophe in Port Said reagiert. „Die Nachrichten und die Bilder aus meiner Heimatstadt schockieren mich, sie machen mich sehr betroffen“, sagte der Angreifer vom FSV Mainz 05. „Al-Masry ist mein Heimatverein, für den ich lange gespielt habe, auch in diesem Stadion. Ich habe sehr viel mit der Heimat telefoniert, meine Familie und meine Freunde, die in Port Said leben, sind von dem Unglück nicht betroffen. Meine Gedanken und mein Mitgefühl sind bei den Opfern und ihren Angehörigen.“ Zidan (30) hatte 1998/99 für Al-Masry aus Port Said gespielt.
Der deutsche Fußball-Rekordmeister Bayern München hat nach der Stadion-Katastrophe von Port Said den Betroffenen sein Beileid bekundet. „Erst vor wenigen Wochen haben wir ein Freundschaftsspiel gegen Al-Ahly Kairo bestritten. Wir möchten allen Ägyptern, die von der Tragödie betroffen sind, unser Beileid aussprechen“, hieß es in einem Facebook-Eintrag der Bayern. Im Rahmen des Trainingslagers in der Winterpause in Doha hatte der Tabellenführer der Bundesliga Al-Ahly in einem Testspiel 2:1 bezwungen.
Hesham Sheiha, Staatssekretär des Gesundheitsministeriums, sprach am Mittwochabend vom „größten Unglück in der ägyptischen Fußball-Geschichte“. Premierminister Kamal El-Ganzouri rief das ägyptische Kabinett für Donnerstag zu einer Krisensitzung zusammen, in Port Said marschierte Militär auf, um die Gefahr weiterer Krawalle zu bannen. Die größte Ausfahrtsstraße aus der Stadt wurde abgeriegelt, die Regierung ordnete drei Tage Staatstrauer an.
Joseph S. Blatter, Präsident des Fußball-Weltverbandes Fifa, zeigte sich "schockiert und traurig. Das ist ein schwarzer Tag für den Fußball. Eine solch katastrophale Situation ist unvorstellbar. Meine Gedanken sind bei den Familien derer, die ihr Leben verloren haben.“
Wer hat Schuld an der Tragödie?
Schon Stunden nach der Schockmeldung begannen die Schuldzuweisungen. Das Parlament wollte am Donnerstag in Kairo zusammenkommen und über das "Massaker“ beraten. Die Muslimbruderschaft, die die stärkste Fraktion stellt, betonte in einem auf ihrer Website veröffentlichten Statement, dass Kräfte am Werk seien, die in enger Verbindung zu dem früheren Regime von Präsident Husni Mubarak stünden. Sie sah eine „unsichtbare“ Macht am Werke. „Das sind Mubaraks Leute“, sagte ein Lokalpolitiker in Port Said. Sie riefen den regierenden Militärrat auf, alle Maßnahmen zum Schutz der Menschen in Ägypten zu ergreifen. Zudem müsse untersucht werden, welche Verantwortung die Polizei an der Eskalation trage.
Ein für die öffentliche Sicherheit zuständiger Militärvertreter, Ahmed Gamal, wies in der Tageszeitung "Al-Tahrir“ jegliche Schuld zurück. Es habe einen guten Sicherheitsplan bei dem Fußballspiel gegeben, sagte er. Doch der Gewaltausbruch nach Abpfiff sei nicht mehr einzudämmen gewesen. Er verglich die Ereignisse mit dem Beginn der heftigen Massenproteste am 25. Januar vor einem Jahr gegen Mubarak, die schließlich zum Sturz des Machthabers führten.
Kurz nach der Katastrophe kam es auch in Kairo zu einem Zwischenfall: Die Begegnung Al-Ismailiya gegen Zamalek wurde vom Schiedsrichter nach der Kunde aus Port Said abgebrochen. Das ägyptische Staatsfernsehen zeigte wenig später Bilder vom Stadion in Flammen. Fans von Zamalek hätten aus Protest gegen den Abbruch Brände gelegt, teilte ein Offizieller mit. Das Feuer sei aber unter Kontrolle gebracht worden.
Zeugen zufolge sind zahlreiche Fußballfans erstochen worden, während andere auf der Flucht in einem schmalen Korridor erstickten. Dorthin hätten sie sich vor rivalisierenden Fans geflüchtet, die mit Messern, Knüppeln und Steinen bewaffnet waren, hieß es. Im Inneren des langen Korridors seien sie stecken geblieben und erstickt, berichtete Ahmed Ghaffar, einer der Fans des Kairoer Fußballvereins Al-Ahli.
Sogar die Börse reagierte: Die Anleger haben sich am Donnerstag aus dem Aktienmarkt in Kairo zurückgezogen. Der ägyptische Aktienindex brach um 4,7 Prozent auf 4469 Zähler ein. Anleger fürchten, dass die Auseinandersetzungen einen politischen Hintergrund haben. Einige Aktien mussten zeitweise vom Handel ausgesetzt werden, nachdem die Kurse um über fünf Prozent einbrachen.
Ein Fanclub von Al-Ahly warf Sicherheitskräften und Fans von Port Said vor, sich für die Rolle der Kairoer „Ultras“ während der Revolution, die im vergangenen Jahr zum Sturz von Präsident Husni Mubarak führte, rächen zu wollen. „Sie wollen uns dafür bestrafen, dass wir an der Revolution gegen die Unterdrückung teilgenommen haben“, hieß es in einer Erklärung. Viele Sprechchöre der Revolutionäre vom Tahrir-Platz waren Schmähchören von Fußballfans gegen die Polizei entlehnt.
Das ägyptische Innenministerium ging am Donnerstagvormittag von 78 Toten aus, darunter ein Polizist. Weitere 248 Menschen seien verletzt worden. Die Sicherheitskräfte hätten 47 Randalierer festgenommen. Eine lokale Fernsehstation rief zu Blutspenden auf. Um die Schwerstverletzten besser in Kairo behandeln zu können, entsandte die ägyptische Luftwaffe zwei Flugzeuge nach Port Said an der Mittelmeerküste.
Mit Material von sid, dpa und dapd