Den Jungen will nun eine russische Familie aufnehmen. Was aber wirklich in der Adoptionsfamilie geschah, muss noch ermittelt werden.
Washington/Moskau. Eine Krankenschwester aus den USA hat ihren sieben Jahre alten russischen Adoptivsohn mutterseelenallein zurück nach Moskau geschickt und dort eine Welle der Entrüstung ausgelöst. Sie habe das Kind nicht mehr gewollt, schrieb die 34-jährige Torry Hansen aus Tennessee in einem Brief an das russische Bildungsministerium, den sie dem Jungen mitgab. „Dieses Kind ist psychisch instabil, gewalttätig und hat ernste psychopathische Probleme.“ Sie habe für ihr eigenes Leben, das ihrer Familie und ihrer Freunde gefürchtet: „Es tut mir leid es zu sagen, aber ... ich will nicht mehr Mutter dieses Kindes sein.“
Kremlchef Dmitri Medwedew sprach von einem „monströsen Akt“ der US-Familie. Außenminister Sergej Lawrow äußerte Empörung darüber, dass der Junge wie ein „Paket“ behandelt worden sei. Er drohte damit, alle Adoptionen durch US-Familien auf Eis zu legen. Eine solche Vereinbarung sei längst überfällig. John Beyrle, der US-Botschafter in Moskau, zeigte sich ebenfalls „äußerst schockiert darüber, dass sich eine Familie derart gefühllos einem Kind gegenüber verhält, das sie gesetzlich adoptiert haben“.
Der kleine Artjom, in Amerika Justin genannt, traf am Donnerstag an Bord einer Maschine aus Washington in Moskau ein. Er hatte nur einen Rucksack dabei, mit ein paar Süßigkeiten, Keksen, Buntstiften und der Botschaft der Adoptivmutter. „I am Artjom“, habe der Junge immer wieder gesagt, schrieb die Zeitung „Komsomolskaja Prawda". Am Wochenende befand er sich in einem Moskauer Krankenhaus. Nun will eine russische Familie den Jungen aufnehmen.
Es ist nicht der erste Skandal um russische Kinder in den USA, der hohe Wellen in den beiden Ländern schlägt. Vor wenigen Jahren prügelte eine Amerikanerin ihre zweijährige Adoptivtochter tot - sie wurde zu 25 Jahren Gefängnis verurteilt. Ein anderes russisches Kleinkind wurde von seinem US-Vater bei brütender Hitze stundenlang im heißen Auto alleingelassen und starb an einem Hitzschlag.
Torry Hansen hatte Artjom alias Justin im Sommer 2009 adoptiert: Nach einem Bericht der russischen Nachrichtenagentur Ria Nowosti lebte er zuvor seit 2008 in einem sibirischen Waisenhaus, nachdem seiner leiblichen Mutter das Elternrecht entzogen worden war. Die Verantwortlichen in dem Heim, so schrieb Torry Hansen auf dem Zettel, hätten sie irregeführt und über den Zustand des Jungen gelogen.
Justin sei ein gestörter, von Wut erfüllter Junge, dessen Verhalten sich im Laufe der Zeit immer mehr verschlimmert habe. „Er spuckte und trat um sich und bedrohte die Menschen in seiner Umgebung“, schilderte die Mutter der Krankenschwester, Nancy Hansen, dem Sender CNN. Justin habe eine Liste von Personen aufgestellt, die er töten wolle, darunter seine Adoptivmutter. Das Fass lief über, so Nancy Hansen, als der Junge in seinem Zimmer Papier angezündet habe: „Ich fürchtete um das Leben meiner Tochter und der gesamten Familie.“
Es war dann auch Nancy Hansen, die den Jungen nach Washington brachte und dort in das Flugzeug setzte. Sie arrangierte, dass der Junge - wie bei allein reisenden Kindern üblich - an Bord der Maschine von einen Flugbegleiter betreut wurde. Außerdem trieb sie im Internet einen Mann auf, dem sie 200 Dollar (rund 150 Euro) dafür zahlte, dass er Justin am Flughafen abholte und am Eingang des Bildungsministeriums absetzte. Dort fiel man aus allen Wolken.
Der Junge erzählte den Beamten eine ganz andere Geschichte. Er sei von seiner Adoptivfamilie misshandelt worden, klagte er. So habe ihn Großmutter Nancy wiederholt an den Haaren gezogen. Die US-Behörden ermitteln.
Nach russischen Angaben sind in den USA im vergangenen Jahr 1600 russische Kinder adoptiert worden - nur aus China und dem zentralamerikanischen Guatemala kamen mehr Jungen und Mädchen. Auch Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder hat mit seiner Ehefrau Doris zwei russische Kinder adoptiert.