Schreckliche Tage in Leipzig. Gedenkgottesdienst für das ermordete Mädchen. Das rät der Psychologe Eltern.
Leipzig. Vor dem mehrstöckigen Haus, in dem die ermordete Michelle (8) aus Leipzig gewohnt hat, legt eine Frau eine Blume auf den Bürgersteig. Sie weint. Andere Menschen stellen neue Kerzen auf. Einige Hundert Meter weiter liegen vor der Schule inzwischen Dutzende Stofftiere. Am Tag, nachdem das tagelange Bangen zur schrecklichen Gewissheit über Michelles Tod wurde, trauern viele Leipziger. Tränen flossen auch im Lehrerkollegium von Michelles Grundschule. Die Polizei fahndet unterdessen fieberhaft nach dem Mörder des rotblonden Mädchens - bisher allerdings noch ohne heiße Spur, wie eine Sprecherin sagt.
Die Arbeit der "Soko" Auf allen Ebenen treibt die 177-köpfige Sonderkommission "Michelle" die Suche voran. Mit technischen Hilfsmitteln und psychologischem Druck wollen die Fahnder dem Mörder auf die Spur kommen. Freitagmorgen: Erneut sucht eine Hundertschaft Polizisten den Park rund um den Teich ab, in dem Spaziergänger die Leiche am Donnerstag gefunden hatten. Gleichzeitig rücken Taucher an, um den schlammigen Grund des Gewässers abzusuchen. Auf allen Vieren kriechen sie durch das dunkle Wasser - offenbar ohne größere Erfolge. Denn anschließend pumpt die Feuerwehr das Wasser ab.
Über dem Osten Leipzigs kreist wie in den vergangenen Tagen ein Polizeihubschrauber. Zum wiederholten Mal werden der Park und die Umgebung fotografiert, die Bewohner der benachbarten Häuser befragt. Die rund um die Uhr arbeitende Soko "Michelle" und ihr Chef, Kriminaldirektor Uwe Matthias, haben jetzt einen Vorteil: Sie können die Fahndung gezielt auf das Gebiet um die Grundschule von Michelle und den Teich konzentrieren. Ob das Mädchen bereits am Montag, dem Tag ihres Verschwindens, oder erst später getötet wurde, hält die Polizei geheim. Das gleiche gilt für die Frage, ob sie Opfer eines Sexualverbrechers oder gequält wurde. Je weniger der Täter über den Stand der Ermittlungen wisse, umso eher mache er Fehler, erläutert ein Beamter die Polizeitaktik. Inzwischen wurden 10 000 Euro Belohnung für Hinweise zur Ergreifung des Täters ausgesetzt.
Psychologisch wollen die Ermittler dem Mörder mit sogenannten Profilern auf die Spur kommen. Die erfahrenen Kriminalpolizisten werden in Deutschland als Fallanalysten bezeichnet. Sie versuchen aus dem Fundort, dem Zustand der Leiche und anderen Spuren die Motive des Täters und seine Einstellung aufzudecken. Fühlt er sich sicher? Ist er risikobereit? Ist es ein Wiederholungstäter? Welcher Schicht gehört er an? Diese Fragen treiben die Experten um.
Gedenkgottesdienst Auf selbst gemalten Plakaten vor der Schule steht: "Warum nur, Michelle?" und "Wir vermissen Dich alle". Am Montag, dem ersten Schultag in Sachsen, wird Michelle in der dritten Klasse der 25. Grundschule fehlen. "Alle Lehrer der Schule werden natürlich diesmal nicht über das schönste Ferienerlebnis sprechen, sondern über Michelle", sagt Roman Schulz von der Sächsischen Bildungsagentur. Die Kinder dürfen, wenn sie wollen, einen Brief an ihre ehemalige Mitschülerin schreiben oder einen Blumenstrauß für sie malen. Die Erwachsenen können am heutigen Sonnabend bei einem Gedenkgottesdienst in der Trinitatiskirche (18 Uhr) Abschied nehmen. Ob auch Michelles Eltern dort sein werden, ist noch unklar. Sie werden von der Polizei abgeschirmt.
Rat des Psychologen Unterdessen rät der Hannoveraner Kinderpsychologe Wolfgang Bergmannach Eltern dringend, ihre Kinder mit Berichten über das Verbrechen zu verschonen. "Kinder können solch überwältigende Medieneindrücke nicht verarbeiten", sagte er. "Ich würde in diesen Tagen darauf achten, dass mein Kind die dramatischen Bilder zum Beispiel im Fernsehen nicht sieht und die Schreckensnachrichten im Radio nicht hört", sagte er. Den Eltern von Kindern, die Michelle kannten, rät Bergmann: "Das Wichtigste sind in den kommenden Tagen Trost und Nähe von Vater und Mutter." In den Familien müsse über das Verbrechen gesprochen werden. "Das ist eine schwere Aufgabe." Ein Kindertherapeut sei aber nicht nötig. "Ich könnte auch nicht mehr machen als Mama oder Papa", sagte der Leiter des Instituts für Kinderpsychologie und Lerntherapie in Hannover. Für alle Eltern gelte prinzipiell: "So sehr sie auch selber Angst haben, dass ihrem Kind ähnliches zustoßen könnte - sie dürfen es nicht zeigen. Dies würde eine allgemeine Ängstlichkeit erzeugen und ängstliche Kinder werden eher Opfer." Stattdessen müsse ruhig über mögliche Gefahren gesprochen und eine klare Anweisung gegeben werden: "Wenn dich ein Mann anspricht, den du nicht kennst, dann wende dich an einen anderen Erwachsenen und frage ihn 'Was will der Mann von mir?'. Dann läuft der potenzielle Täter weg."