Bis zuletzt hatten die Eltern auf ein Wunder gehofft. Jetzt müssen sie ihr Kind zu Grabe tragen. Beerdigung in der Türkei.
Paderborn. "Warum?" steht in roten Buchstaben auf einem Schild. Es lehnt an einem Baum - dort, wo Kardelen bis Montag noch gespielt hat. Nun ist die Achtjährige tot - missbraucht und erstickt von ihrem Mörder. Von einer "grausamen Welt" schreibt jemand und hat den Zettel auf einer Art Altar für das Kind niedergelegt. "Wir beten für Kardelen und ihre Familie", schreibt ein anderer. Daneben stehen Kerzen und Stofftiere.
Die Eltern des türkischen Mädchens haben inzwischen bei einer von einem Imam gestalteten Trauerfeier vor einer Moschee in Paderborn für immer Abschied genommen von ihrem Kind. Yasin und Dönde K. müssen von Freunden gestützt werden, als sie vor dem Sarg stehen, auf dem ein Bild Kardelens liegt. Ihre Mutter stürzt sich auf den mit einem Tuch bedeckten schwarzen Holzsarg, als wolle sie nicht wahrhaben, was passiert ist. Der Leichnam wurde nach Auskunft der türkischen Gemeinde in Paderborn noch am Freitag in die Türkei geflogen, wo das Mädchen in der Heimat seiner Eltern schon bald beerdigt werden soll.
"Es ist schrecklich, was passiert ist. Es gibt hier niemanden, den das nicht mitnimmt", sagt Daria Morawski. Mit ihren beiden Kindern Michelle (8) und Justin (3) ist die junge Mutter an diesem eisigen Freitagmorgen zu dem kleinen Gedenkort inmitten der dreistöckigen Wohnhäuser in der Paderborner Südstadt gekommen. Eine Nachbarin der Familie, bei deren acht Jahre alter Tochter Kardelen oft zum Spielen war, hat gerade die letzte traurige Gewissheit über den Tod des Mädchens erhalten: "Alles ist schwarz", sagt die 36-Jährige.
Unterdessen sucht die mit mehr als 50 Beamten besetzte Paderborner Mordkommission nach dem Täter. Am Fundort, dem 60 Kilometer entfernten Möhnesee im Sauerland, wurden Spuren gesichert. Spürhunde, die auch nach Tagen noch Witterung aufnehmen können, kamen zum Einsatz. Eine wichtige Spur unter den mehr als 300 Hinweisen aus der Bevölkerung ist laut Oberstaatsanwalt Ralph Vetter die Beobachtung eines Anglers, der ein mit einem rosafarbenen Mantel bekleidetes Mädchen in Begleitung eines Erwachsenen auf der Staumauer gesehen haben will. Die Polizei in Niedersachsen untersucht indessen Parallelen zum Fall Jenisa. Das ebenfalls achtjährige Kind, das Kardelen zum Verwechseln ähnlich sah, ist im September 2007 in Hannover verschwunden. Auch in diesem Fall wurde die Kleidung des Opfers aus einem fahrenden Auto geworfen.
Das Sexualverbrechen ist auch am Möhnesee das einzige Thema. Auf dem Staudamm haben Mütter mit Kindern ebenfalls Kerzen niedergelegt. Auch hier ist die Angst der Menschen greifbar. Noch weiß niemand, wer sich an Kardelen vergriffen hat, wer sie umgebracht hat. Bürokauffrau Jutta Griese-Jodwerschat aus Möhnesee-Wamel (40): "Jedes Mal, wenn ich an das Schicksal der kleinen Kardelen denke, läuft mir ein kalter Schauer über den Rücken. Ich bin selbst Mutter dreier kleiner Söhne - und natürlich mache ich mir Sorgen um meine eigenen Kinder. Dabei ist es bei uns auf dem Land so idyllisch. Niemand hätte ein solch grausames Verbrechen hier für möglich gehalten." Auch Grundschullehrerin Irmgard Voß aus Warstein (51) kann das Verbrechen nicht fassen: "Ich lehre an einer Schule, die in der Nähe des Tatortes liegt. Meine Schüler fragen mich ständig, was sie tun sollen, falls sie von Fremden angesprochen werden. Die Kinder sind verängstigt. Wir versuchen ihnen klarzumachen, dass sie zum Beispiel niemals in ein unbekanntes Auto einsteigen dürfen; dass sie aber auch keine unbegründete Angst im Alltag haben sollen." Und die Rentnerin Ursula Müller (75) aus Möhnesee-Günne sagtmit Tränen in den Augen: "Wer tut denn nur etwas so Fürchterliches?"
Tausende Paderborner haben am Freitagabend in einem Trauerzug durch die Stadt ihr Mitgefühl für die Familie von Kardelen zum Ausdruck gebracht. Ein Polizeisprecher: "Es waren etwa 4000 Menschen dabei."